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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1264–1266

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Salo, Reettakaisa Sofia

Titel/Untertitel:

Die judäische Königsideologie im Kontext der Nachbarkulturen. Untersuchungen zu den Königspsalmen 2, 18, 20, 21, 45 und 72.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2017. XV, 389 S. = Orientalische Religionen in der Antike, 25. Lw. EUR 129,00. ISBN 978-3-16-155338-7.

Rezensent:

Markus Saur

Das Königtum stellt in der ersten Hälfte des 1. Jt.s v. Chr. in Jerusalem und Juda die zentrale politische Institution dar. Das hat seine Spuren in zahlreichen Texten hinterlassen, vor allem in der alttes-tamentlichen Geschichtsschreibung, aber auch in der Prophetie und im Psalter, wo sich eine Reihe von Texten findet, die sich mit dem König und seinem Amt auseinandersetzen.
Bei der Erforschung der Königspsalmen steht der Ausleger vor einer Vielzahl von Problemen, die von der komplizierten Entstehungsgeschichte der Texte über ihre (psalter-)kompositionelle Bedeutung bis hin zu traditions- und religionsgeschichtlichen Fragestellungen reichen. Die letzte monographische Bearbeitung der Königspsalmen (cf. M. Saur, Die Königspsalmen. Studien zur Entstehung und Theologie [BZAW 340], Berlin/New York 2004) hat insbesondere im Blick auf die religionsgeschichtlichen Hintergründe der Texte viele Fragen offen gelassen – es ist daher zu begrüßen, dass mit der Untersuchung von Reettakaisa Sofia Salo, die der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Sommersemester 2016 als Dissertation vorlag und von Martin Leuenberger, Reinhard Achenbach und Hans Neumann betreut wurde, nun eine Studie zur Verfügung steht, die sich explizit diesen Fragen zuwendet.
Die Vfn. gliedert ihre Untersuchung in acht Kapitel. In der kurzen Einleitung (1–9) begründet sie ihre Textauswahl damit, »dass der Grundbestand der Psalmen 18, 20, 21, 45 und 72 allgemein in die (israelitisch-)judäische Königszeit datiert wird« (5). Ps 2 wird in die Analysen mit einbezogen, weil »seine Motive teilweise auf vorexilische Traditionen zurückgehen« (5). Ps 89 bleibt dagegen unberücksichtigt, »weil der Psalm vorwiegend das Ende des Königtums thematisiert und somit offensichtlich nicht in der Staatszeit geschrieben worden ist« (5). Der Arbeitshypothese der Vfn. zufolge ist davon auszugehen, »dass die Inhalte des altorientalischen Herrschaftsdiskurses im Kleinstaat Juda bekannt waren und dass er in seiner eigenen Königsideologie in der Staatszeit als Teil des Alten Orients an dieser kulturellen koine teilgenommen hat. Judäische Spezifika haben sich vielfach erst in der nachstaatlichen, königslosen Zeit herausgebildet.« (6, Kursiv im Original) Um diese These zu be­gründen, schreitet die Vfn. die Kulturen aus der Umwelt Judas ab: »Ägypten, Hethiterreich, Mesopotamien (Sumer, Babylonien, Assyrien), Ugarit, Levante (aramäische und phönizische Überlieferung), Achämenidenreich.« (6) Das ist allein schon deswegen beeindruckend, weil jede der genannten Kulturen mittlerweile Gegenstand einer eigenen Forschungsdisziplin ist und die divergenten Wissenschaftsdiskurse kaum noch von einer einzelnen Wissenschaftlerin oder einem einzelnen Wissenschaftler überblickt werden können. Der Vfn. gelingt das in den folgenden sechs Kapiteln allerdings durch eine strikte Konzentration auf ihre Fragestellung nach den religions- und kulturgeschichtlichen Hintergründen der judäischen Königsideologie.
Auf die Einzelexegesen kann hier nicht im Detail eingegangen werden. Auf die Übersetzung und Gliederung sowie die literar- und redaktionsgeschichtliche Erschließung folgen jeweils motiv-, traditions- und religionsgeschichtliche Analysen, innerhalb derer Motive und Traditionen aus den Psalmen mit Vorstellungen aus den Nachbarkulturen Judas in Beziehung gesetzt werden. Die Texte werden dabei philologisch genau erschlossen und kulturgeschichtlich kontextualisiert. Auf dieser Grundlage weist die Vfn. nach, wie sehr die Königspsalmen in den Kulturen des Alten Orients verwurzelt sind. Es seien hier nur einzelne Aspekte herausgegriffen.
Bei der Analyse von Ps 18 (10–53) beschränkt sich die Vfn. hinsichtlich der Motivkonstellationen auf die Ausrüstung des Königs durch Gott und die göttliche Unterrichtung des Königs in der Kriegskunst: Während das erste Motiv in der Umwelt Judas breit bezeugt ist, finden sich für letzteres im Alten Orient nur wenige Korrespondenztexte. Im Blick auf Ps 20 (54–96) geht die Vfn. im Vergleich mit Papyrus Amherst 63 11,11–19 von einer gemeinsamen Vorlage aus, auf die sich beide Texte beziehen und in deren Tradition sie stehen. Von den Motiven und Traditionen in Ps 21 (97–149) ausgehend rekonstruiert die Vfn. das von ihr angenommene judäische Königsritual: »Ps 21,2–7 hat das eigentliche Einsetzungsritual begleitet, während Ps 21,9.11.13 als das anschließende Heilsorakel zu interpretieren ist.« (107) Bei der Analyse von Ps 45 (150–204) und den instruktiven Ausführungen zur Göttlichkeit des Königs kommt die Vfn. zu der These, »dass die Differenzierung zwischen dem göttlichen Königsamt und den einzelnen Königen als menschlichen Innehabern (sic!) dieses Amtes von zentraler Bedeutung für das Verständnis der altorientalischen Königsideologien ist« (194). Bei der Auslegung von Ps 72 (205–273) geht die Vfn. insbesondere der Bedeutung des Motivkomplexes Recht und Gerechtigkeit für die judäische Königsideologie nach, der nicht nur mit der Sonne, sondern auch mit dem Mond verknüpft werden kann, wie die Vfn. anhand einer Bauinschrift Asarhaddons zeigt: »In diesem Text hat Sîn als Rechtsgott eine Šamaš gleichwertige Stellung inne und ist ihm sogar übergeordnet. Diese gehobene Stellung des Mondgottes im Rechtskontext sollte mit der Aramaisierung der neuassyrischen Religion – vor allem durch den Kult von Sîn von Harran, dem im 1. Jt. große Bedeutung zukam – zusammenhängen.« (244) Im Blick auf Ps 2 (274–330) rekonstruiert die Vfn. eine Grundschicht in V. 1–2a.3–11.12aβδ und datiert diese »in die ersten Jahre nach der Einweihung des Zweiten Tempels im Jahr 515« (330), rechnet allerdings mit vorexilischen Traditionen, wie etwa ihre Analysen zum Königsprotokoll und zum Motiv der Gottessohnschaft zeigen. In der knappen Ergebnissicherung (331–334) kommt die Vfn. zu der These, »dass der religionsgeschichtliche Vergleich zum Alten Testament nur in einzelnen Fällen zu monokausalen Erklärungen bezüglich eines direkten Einflusses aus einer einzelnen Kultur zu einem bestimmten Zeitpunkt führen kann« (332). Die Königspsalmen bzw. ihre vorexilischen Fassungen »sind tief verwurzelt in einer sprach- und kulturübergreifenden Tradition, die über drei Jahrtausende hinweg in Grundzügen konstant blieb, zugleich aber offen war für Erneuerungen und gegenseitige Beeinflussung in veränderten gesellschaftlichen und politischen Situationen« (331). In nachexilischer Zeit werden die Texte der Vfn. zu-folge dann überarbeitet und gehören in den »Kontext der Hoffnungen, die sich auf eine Restitution des davidischen Königtums richteten« (333).
Die vorliegende Studie ist eine beachtliche Leistung, die den religions- und kulturgeschichtlichen Rückraum der behandelten Königspsalmen sehr genau erschließt. Im Blick auf die Techniken und Wege der Vermittlung zwischen zeitlich und geographisch sehr weit auseinanderliegenden Kulturräumen hätte man gern noch etwas mehr erfahren – die Vfn. bleibt hier jedoch sachgemäß zurückhaltend. Zu hinterfragen ist allenfalls die Textauswahl der Vfn.: Wenn die behandelten Psalmen neben vorexilischen auch nachexilische Textanteile haben, unterscheiden sich die Königspsalmen Ps 18, 20, 21, 45 und 72 nicht von den Königspsalmen Ps 2 (der ja ausgelegt wird), 89, 101, 110, 132 und 144, die ebenfalls auf ihre vorexilischen Traditionen hin befragt werden können. Es wäre daher sehr zu wünschen, dass die Vfn. ihre grundlegende Arbeit an den letztgenannten Texten fortsetzte. Damit würde dann auch die Frage nach der psalterkompositionellen Relevanz der Königspsalmen auf einer breiteren Grundlage verhandelt werden können, was im Blick auf die Bedeutung des Königtums in nachexilischer Zeit noch zu anderen Ergebnissen führen könnte als der These der Vfn., man habe die nachexilische relecture der Königspsalmen vorwiegend im Kontext restaurativer Tendenzen zu verstehen. Damit soll nun aber in keiner Weise die Leistung der Vfn. geschmälert werden: Wer künftig an den Königspsalmen und der judäischen Königsideologie arbeitet, wird an dieser materialreichen Studie nicht vorbeigehen können.
Ein Literaturverzeichnis (335–361) sowie Stellen-, Autoren-, Sach- und Namenregister (363–389) schließen die leserfreundliche und formal sorgfältig gestaltete Arbeit ab.