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Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1255–1258

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Sommer, Michael, Eynikel, Erik, Niederhofer, Veronika, u. Elisabeth Hernitscheck[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Mosebilder. Gedanken zur Rezeption einer literarischen Figur im Frühjudentum, frühen Christentum und der römisch-hellenistischen Literatur.

Verlag:

Tü­bingen: Mohr Siebeck 2017. IX, 478 S. m. Abb. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 390. Lw. EUR 149,00. ISBN 978-3-16-155790-3.

Rezensent:

Heinz-Josef Fabry

Der Band bietet die Beiträge des Regensburger Abschlusssymposions der »Benedikt XVI.«-Gastprofessur von Günter Stemberger am 22.5.2014. Die Beiträge sind untergliedert auf vier Teile mit einem Nachwort von G. Stemberger (457–463), das ausgezeichnet in den Gesamtduktus des Buches einführt, im Grunde aber korrigierend in die Struktur des Buches eingreift. Der Umfang des Buches mit insgesamt 20 Einzelbeiträgen erlaubt es nicht, selbige mit der gebührenden Einzelkritik zu durchdringen. Sie sollen deshalb vorgestellt werden, um Leserinnen und Lesern Auswahl und Lektüre zu erleichtern.
Teil I: »Mose in den Schriften Israels und im frühen Judentum« bildet mit ca. 190 S. den größten Abschnitt. Er wird eröffnet von C. Dohmen, »Mose und die Väter Israels« (3–12), der anhand der Notationen der »Gebeine des Josef« (Gen 50,24–26; Ex 13,19; Jos 24,32) über die Verbindung zwischen der Patriarchen- und der Mosegeschichte räsoniert. – Auf diesen auffällig dünnen Beitrag folgt die sehr gründliche Arbeit von M. Ederer, »Ohne David kein Mose? Die Bedeutung des ›befehlenden Mose‹ (vgl. 1Chr 6,34; 15,15) und sein Verhältnis zu David in der Chronik« (13–34). Hier geht es um die Diskrepanz, die sich aus den Funktionsbeschreibungen von Leviten und Priestern in 1Chr 6,34; 15,15 und 2Chr 8,12–16; 23,18 ergibt. Ihre Aufgabenbereiche werden auf Befehle des Mose zurückgeführt, um ihre Tora-Konformität zu behaupten. Das prolevitische Interesse des Chronisten ist deutlich zu erkennen. – Cécile Dogniez, »La figure de Moïse dans la Bible grecque des Septante« (35–62) untersucht die verschiedenen Titel (Diener, Prophet, Gesetzgeber u. a.), die Mose in der LXX beigelegt werden mit der Tendenz, die biblisch behauptete Redeschwäche des Mose abzumildern. – Erik Eynikel, »Mose or Aaron, who is the Most Important Figure in the Dead Sea Scrolls?« (63–76) behandelt die Qumrantexte 1Q22 (Worte des Mose); 4Q375/376/408 (Mose-Apokryphon); 4Q368 (Pent.-Apokryphon A); 4Q377 (Pent.-Apokryphon B), in denen es immer um Mose als den Vermittler der Tora geht. Der Beitrag kann sich auf die ausgezeichnete Studie von Ariel Feldman stützen (böse Namensverwechslung auf S. 67, wo er Friedman ge­nannt wird). Den in 4Q175 (Testimonia) genannten »Propheten wie Mose« identifiziert der Vf. mit dem »Lehrer der Gerechtigkeit«, was füglich bezweifelt werden darf. Aus 4Q374; CD 5,18 f. und 2Q21 erarbeitet der Vf. eine interessante Sicht auf das Nebeneinander von Mose und Aaron: Letzterer ist der eigentliche Schriftkundige, was der Hochwertung der aaronidischen Priesterschaft in Qumran entspricht. Bei der Betrachtung ihres Verhältnisses zu den Zadokiden bleibt der Rückgriff auf Publikationen von Charlotte Hempel letztlich zu einseitig. – Cana Werman, »Moses in Jubilees« (77–95) beobachtet eine geringere Wertschätzung des Mose im Jubiläenbuch, da ein Mittlerengel zwischen Gott und Mose zwischengeschaltet wird, was durchaus der Apokalyptik entspricht. Bedeutsam ist die Dif-ferenzierung in eine doppelte Tora, in tôrāh und te‛ûdāh »Zeugnis«(= Jub). Beides hat Mose vom Sinai mitgebracht, Letzteres aber ist eine apokryphe Schrift. Damit wird Mose zum Offenbarungsvermittler einer jüdischen Gruppierung, die in bedeutenden Fragen (z. B. Ka­lender) in Opposition zum Jerusalemer Tempel steht. – Jed Wyrik, »Hellenistic Biography, the ›Method of Chamaeleon‹, and the Moses of Artapanos« (97–121), analysiert Peri Joudaion des Artapanos und offeriert uns dabei die Wertung des Mose aus ägyptischer Sicht: Mose als Ingenieur, Landvermesser, Philosoph und Ausbilder der Priester. In seiner Mose-Biographie bediente sich Artapanos der Methode des Chamaeleon aus Herakleia, eines Zeitgenossen des Theophrast, der seine Biographien als bunte Mischung aus Fakten und Fiktionen zusammenstellte. Widersprüchlich erscheint die Notiz, Artapanos habe sich auf die LXX gestützt (98) vs. er habe eine protomasoretische Version des Pentateuchs benutzt (120).
Jutta Leonhard-Balzer, »Mose als Mittler bei Philo von Alexandrien« (123–142) legt eine Analyse der Vita Mosis 1 f. vor: Hier wird Mose geschildert als idealer hellenistischer König, Gesetzgeber, Priester und Prophet. Diese detaillierteste Darstellung des Mose außerhalb der Bibel ist geradezu eine Apotheose dieses Hierophanten und Mystagogen, der die Menschen zu Gott führt. – József Zsengellér, »Between the Angels. Moses in Making in Liber Antiquitatum Biblicarum« (143–166) geht besonders auf LAB 19 ein, das er als »Testament des Moses« qualifiziert, das seinen sündenfreien und Gott immediaten Mose dem himmelsreisenden Henoch entgegenstellt. – Jan Dochhorn, »Der Tod des Mose in der Assumptio Mosis« (167–185), klärt zunächst über die schwierige literarische Situation der Assumptio auf, in der es um eine Auseinandersetzung des Erzengels Michael mit dem Teufel um den Leichnam des Mose geht. Der Rezensent bezweifelt, dass die Textschwierigkeiten überzeugend beantwortet sind.
Teil II: »Mose in frühchristlichen Schriften« umfasst den Beitrag von Carsten Claußen, »Die Gestalt des Mose im Johannesevangelium« (189–210), der sich mit der Frage befasst, wie das Verhältnis von Mose und Jesus Christus zu beschreiben ist. Das Nebeneinander ist als synthetischer Parallelismus zu verstehen, in dem Mose grundsätzlich von Jesus Christus überboten wird. – Thomas Johann Bauer, »… angeordnet durch die Engel mit Hilfe eines Mittlers« (Gal 3,19). Gestalt und Rolle des Mose in den Briefen des Paulus« (211–252). Paulus hat in seinen Briefen keine einheitliche Vorstellung von Mose. Bestimmend ist jedoch seine weitgehende Ablehnung als Vertreter des Gesetzes, der in der paulinischen Soteriologie keinen Platz hat. – Hans-Ulrich Weidemann, »Zwei gegen einen. Die Idee des Mose im 2. Timotheusbrief« (253–278), konzentriert sich auf 2Tim 3,8 f. und die dort genannten ägyptischen Zauberer Jannes und Jambres, die als Gegner des Mose aufgetreten sind. Der Vf. hellt den literarischen Hintergrund und die Wirkungsgeschichte der J.-J.-Tradition auf, die auch hinter CD 5,17–19 stehen könnte, wo ein Jaḥaneh (der Vf. nennt ihn trotz defektiver Schreibung Yôḥanah) und sein Bruder offensichtlich als Widersacher der Gemeinde auftreten. Er stellt mit Recht heraus, dass in diesen Texten Mose als Vertreter der »Wahrheit« nur noch ein Schatten seiner selbst ist. – David M. Moffitt, »Modelled on Mose. Jesusʼ Death, Passover, and the Defeat of the Devil in the Epistle to the Hebrews« (279–297). Der Vf. stellt heraus, dass Mose und das Passahfest helfen zu erklären, wer Jesus ist. – Michael Sommer, »Von politischen Räumen. … Das Lied des Mose und die Apokalypsen des frühen Judentums und frühen Christentums« (299–317). Der Vf. konzentriert sich auf das Lied des Mose in Offb 15, das in der Rezeptionsgeschichte von Dtn 31 f. steht. Der sehr gründlich erarbeitete Beitrag sagt über Mose jedoch kaum etwas aus. – Tobias Nicklas, »Mose in den Apostolischen Vätern« (319–338), geht auf die Mose-Nennungen bei Ignatius von Antiochien, im Barnabas- und 1. Clemensbrief ein. Mose gilt hier als Vorausverkünder Jesu Christi, sein Stab ist Vorabbild des Kreuzes. Nach dem Barnabasbrief sei Mose Hauptzeuge dafür, dass der Bund Gottes mit Israel nie zustande gekommen ist, Israel verworfen ist und als verworfenes Volk Christus gekreuzigt hat (338). Der Rezensent ist verwundert über dieses harte Diktum, das so nicht im Brief enthalten ist.
Teil III: »Mose in der rabbinischen Literatur und in spätantiken Zeugnissen« beginnt mit dem Beitrag von Tzvi Novick, »The Wrath of Mose. On the Construction of Exemplary Dichotomics in Rab-binic Literature« (341–363). Der Vf. behandelt das Verhältnis Mose – Aaron in der rabbin. Literatur, das sich in seiner Gegensätzlichkeit später bei Hillel und Shammai wiederfindet. – Yuval Harari, »Mose, das Schwert und ›Das Schwert des Mose‹. Zwischen rabbinischer und magischer Überlieferung« (365–401). Der Vf. behandelt den wenig bekannten spätantiken magischen Traktat »Das Schwert des Mose«. Das »Schwert« besteht aus hunderten von Geheimnamen, deren Aussprechen nicht nur die Engel dienstbar macht und Gott zur Erhörung zwingt, sondern auch töten kann. Meisterhaft handelt der Vf. die Einleitungsfragen zu dieser seltenen Literatur ab, er sieht auch einen biblischen Bezug zum »zweischneidigen Schwert« in Ps 149,6, womit die Tora und ihre richtige Handhabung gemeint ist, und zu den Pirke de-Rabbi Elieser. Für die Charakterisierung des Mose fällt allerdings nicht viel ab. Er ist der Archetyp der Magier. – Michal Bar-Asher Siegal, »Moses in the Apophthegmata Patrum and Rabbinic Literature« (403–414), hat in ihrem Buch »Early Christian Monastic Literature and the Babylonian Talmud«, Cambridge 2014 (vgl. ThLZ 141 [2016], 893 f.) ihre Kompetenz in diesem Gebiet eindrucksvoll erwiesen. So geht es ihr in diesem Beitrag zwar darum, einige Anekdoten über Mose zusammenzutragen (Mose sitzt unter den Schülern des R. Aqiba und kann seinen Auslegungen nicht mehr folgen vs. Mose erklärt einem alten Mönchsvater kompetent die Bibel), wichtiger aber erscheint ihr, auf die Fruchtbarkeit einer parallelen Lektüre der Apophthegmata und der antiken Mönchsliteratur hinzuweisen. – Geza G. Xeravits, »The Figure of Mose in Ancient Synagoge Art« (415–428) analysiert die Mose-Darstellungen in der Wandmalerei der Synagogen in Wadi Ḥaman nahe Magdala und Dura Europos am Euphrat, in denen Mose als jemand dargestellt wird, der in einer außerordentlich engen Beziehung zu Gott steht. Die beigefügten Abbildungen sind redlich schlecht.
Teil IV: »Mose in der paganen Literatur«. Dieser Teil besteht nur aus einem Beitrag von John Granger Cook, »Mose and Paganism« (431–453), der den Mose-Nennungen u. a. bei Hekataios von Abdera, Manetho, Diodorus Siculus, Strabo, Tacitus, Apion, Celsus und Julian nachgeht. Obwohl es sich hier um eine Fleißarbeit handelt, wirft sie für Mose kaum etwas ab.
Die hier kurz vorgestellten Beiträge sind allesamt sehr instruktiv, manche gewähren dem theologischen Normalleser Einblicke in regelrechtes Neuland. Die Anordnung der Beiträge geschah aus historischen Gesichtspunkten und hat als solche sicher einen Wert. Die Zusammenfassung durch Stemberger zeigt jedoch, dass eine Sortierung nach Schwerpunkten der Mose-Beschreibung wohl im Ganzen instruktiver gewesen wäre. In jedem Fall ist die Lektüre dieses Buches zu empfehlen.