Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Dezember/2018

Spalte:

1251–1253

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Holtz, Gudrun

Titel/Untertitel:

Jungfrauengeburt und Greisinnengeburt. Zur Rezeptionsgeschichte von Gen 21,1f im antiken Judentum und im frühen Christentum.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2017. 152 S. = Biblisch-Theologische Studien, 172. Kart. EUR 25,00. ISBN 978-3-7887-3253-0.

Rezensent:

Christfried Böttrich

Der Titel dieser kleinen, anregenden Studie von Gudrun Holtz spielt mit der Spannung zwischen zwei Begriffen, die für die Eckpunkte einer traditionsgeschichtlichen Entwicklung stehen: »Jungfrauengeburt« bezeichnet die Ursprungsgeschichte Jesu, wie sie bei Matthäus und Lukas erzählt wird; »Greisinnengeburt« (als glückliche Wortschöpfung eine Art Gegenbegriff) fasst das Schema der alttestamentlichen Geburtsgeschichten nach dem Modell von Gen 21 zusammen. Im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung geht es insgesamt jedoch weniger um die Vorstellung einer »jungfräulichen« Empfängnis als vielmehr um das, was die Ge­burtsgeschichte Jesu mit den »Greisinnengeburten« der alttestamentlichen Überlieferung verbindet – nämlich um das unmittelbare, schöpferische Handeln Gottes an den betreffenden Müttern.
Forschungsgeschichtlich (Kapitel 2) setzt die Studie bei der These von Billerbeck und Dibelius ein, die Vorstellung einer über-natürlichen Empfängnis Jesu sei allein im Kontext paganer Religiosität, nicht aber jüdischer Theologie plausibel zu machen. Das Eingreifen Gottes bleibe in den alttestamentlichen Geburtsgeschich- ten allein auf die Ermöglichung des biologischen Vorganges be­schränkt, könne und wolle dabei aber auf die Beteiligung eines Ehemannes gar nicht verzichten. Dem hält H. entgegen: Bereits in Gen 21 klingt der Gedanke an, dass Gott auf unmittelbare Weise in Sara den Sohn erschafft. Dass hier eine traditionsgeschichtliche Linie ansetzt, die bis in die Evangelienüberlieferung führt, lässt sich vor allem an der Rezeption von Gen 21 im hebräisch-aramäischen Ju­dentum ablesen. Darauf ist im Folgenden der Fokus gerichtet.
Den Ausgangspunkt bildet (Kapitel 3) eine gründliche Analyse von Gen 21, in der vor allem jene Textsignale herausgearbeitet werden, die eine bestimmte Lektüre nahelegen: Gott selbst habe »unter Absehung von Abraham die Schwangerschaft Saras gewirkt« (23). Das ergibt sich aus einer Reihe einzelner Beobachtungen, die erst in ihrem Zusammenspiel hinter den schwebenden Aussagen eine mögliche Absicht erkennen lassen: »Dem einfachen Wortsinn von Gen 21,1 nach verdankt sich die Schwangerschaft Saras jedenfalls keinem anderen als Gott selbst.« (31)
Als erste Rezeptionsstufe kommt sodann der Bereich der »Rewritten Bible« in den Blick (Kapitel 4), für den das Jubiläenbuch die bevorzugte Quelle darstellt. Deutlich zeichnet sich hier der Gedanke ab, dass Abraham Nachkommenschaft durch Geschlechtsverkehr mit Hagar, nicht aber mit Sara erhält. In Hinblick auf Sara führt Jub die behutsamen Andeutungen des Bibeltextes dahingehend aus, dass die Vaterschaft Abrahams in Bezug auf Isaak noch deutlicher in Frage steht. Wohl fehlt es auch in Jub an einer expliziten Aussage (abgesehen vielleicht von Jub 16,12), doch der Eindruck, dass die »Hervorbringung« Isaaks aus Sara das alleinige Werk Gottes sei, drängt sich auch hier bei einer unbefangenen Lektüre auf.
Die nachbiblisch-aramäische Traditionsbildung (Kapitel 5) bietet ein komplexes Bild, da hier vermutlich schon Reaktionen auf Diskurse mit christlichen Gesprächspartnern eingeflossen sind. So wissen z. B. die Targumim nicht nur von einem Wunder Gottes an Sara zu berichten, sondern auch von einer Verteidigung der biologischen Vaterschaft Abrahams – was deren Bestreitung vorauszusetzen scheint und auf die übernatürliche Empfängnis Jesu Bezug nehmen könnte. Im rabbinischen Midrasch stellt sich der Sachverhalt ähnlich dar. Gottes Handeln an Sara bringt ihren Sohn in ein Zwielicht, das nur durch eine Verteidigung der Vaterrolle Abrahams beseitigt werden kann. Die erfolgt freilich nur halbherzig und gibt damit zu erkennen, dass die Empfängnis Isaaks auch im Midrasch als ein Schöpfungshandeln Gottes jenseits der biologischen Möglichkeiten verstanden werden kann.
Eine herausragende Rolle spielt in der Diskussion von jeher die Deutung Philos (Kapitel 6), der als Vertreter mittelplatonischer Philosophie den hellenistischen Bildungskosmos schon längst verinnerlicht hat. Bei ihm wird die Überzeugung explizit, dass die Söhne der Erzmütter, besonders aber Isaak, nicht infolge einer natürlichen Zeugung, sondern durch das unmittelbare Handeln Gottes empfangen wurden. Der metaphorische Sprachgebrauch und die Allegorese Philos rücken diese Überlegungen weiter von den neutestamentlichen Zusammenhängen ab, als dies in Jub oder in der rabbinischen Tradition der Fall ist. Dennoch erscheint auch Philo – gerade in seiner besonderen Eigenart – als ein starker Zeuge für die schöpfungstheologische Deutung der Entstehung Isaaks im Grenzbereich traditionell jüdischer und pagan hellenistischer Bildung.
Zwei weitere Belege beleuchten die Rezeption der Geburt Isaaks von christlicher Seite (Kapitel 7) aus. Paulus, als Pharisäer sozialisiert, stellt in Gal 4,21–31 die Zeugung Ismaels und Isaaks einander gegenüber, wobei er Letztere offensichtlich »gemäß dem Geist« und damit im Sinn der bereits ermittelten jüdischen Rezeptionslinie versteht. In ProtEvJac 1–6 wird Gen 21 erneut aufgenommen und nun für die Empfängnis der Anna fruchtbar gemacht. Was die An- oder Abwesenheit des Ehemannes betrifft, so neigt sich auch hier die Waage stärker zu jenen Argumenten, die für ein unmittelbares Schöpfungshandeln Gottes an Anna sprechen. Der Gedanke einer »Jungfräulichkeit« der Mutter spielt noch keine Rolle und kommt erst bei der nachfolgenden Empfängnis Jesu ins Spiel – nun aber umso massiver und mit einer rein biologisch formatierten Radikalität, die auch die neutestamentlichen Berichte noch weit hinter sich lässt. Darin wird eine neue Interessenlage spürbar; wie viel an »juden-christlichem« Profil man dem ProtEvJac freilich zugestehen möchte, mag dahingestellt bleiben. Immerhin – »So spricht alles dafür, in der Empfängnis Marias durch Anna ein exklusives Schöpferhandeln Gottes zu sehen, an dem Joachim keinen Anteil hat. Im Horizont antiken Denkens ist dies aber nicht mit einer ›jungfräulichen‹ Empfängnis zu verwechseln, die das Protevangelium Jacobi für die Empfängnis Jesu durch Maria reserviert.« (113)
Das Fazit der Untersuchung (Kapitel 8) vermag die These von Billerbeck und Dibelius nun auf einer soliden Quellenbasis zu korrigieren: Die »Vorstellung einer allein durch die Wirkmacht Gottes hervorgerufenen Empfängnis ohne männliche Beteiligung« ist dem hebräisch-aramäischsprachigen Judentum sehr wohl bekannt. »Es gibt einen breiten Traditionsstrom, der beginnend mit dem Jubiläenbuch bis hin zu Raschi Gen 21,1 f. auf ein exklusives Gotteshandeln an Sara unter Ausschluss Abrahams deutet.« (115) Die Vorstellung der »Jungfräulichkeit« bleibt davon zu unterscheiden. Lukas fügt seine Erzählung (zusätzlich vorbereitet durch die Geburtsgeschichte des Täufers) in die Geschichte Israels ein – und setzt zugleich ein starkes Signal für die Macht Gottes und seines Geistes als Triebkraft für die folgende Erzählung.
Dass Gen 21 auch von anderen vergleichbaren Erzählungen (wie der Geburt eines Simson, Samuel oder Johannes des Täufers) flankiert wird, kann stillschweigend mitbedacht werden. Aufschlussreich wäre allerdings noch ein Blick auf die Geschichte von der wunderbaren Empfängnis und Geburt Melchisedeks in 2Hen 70–71. In dieser merkwürdigen Erzählung spiegelt sich vieles wider, was diese Studie anhand von Gen 21 entwickelt – teils in reduzierter, teils in zugespitzter Form. Selbst wenn man dabei der Annahme eines jüdischen Ursprungs (für die es gute Argumente gibt) mit Skepsis begegnete, bliebe 2Hen 70–71 auch als christliche Erzählung noch immer von hoher Relevanz!
Die Studie, anregend und fesselnd zu lesen, leuchtet jenen Raum jüdischer Theologie aus, in dem die Geburtsgeschichte Jesu angesiedelt ist – und lädt damit ein, ihn noch einmal ganz neu zu erkunden. Denn welche Art Geburtshilfe die »Greisinnengeburt« aus Gen 21 nun auch für ein angemessenes Verständnis des Reizwortes »Jungfrauengeburt« in unserer Zeit zu leisten vermag, bleibt auf anderen Ebenen weiter zu entfalten.