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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1189–1191

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Hoff, Gregor Maria

Titel/Untertitel:

Gegen den Uhrzeigersinn. Ekklesiologie kirchlicher Gegenwarten.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018. 272 S. m. 2 Abb. Kart. EUR 59,00. ISBN 978-3-506-78793-4.

Rezensent:

Christoph Böttigheimer

Anders als der Untertitel vielleicht suggeriert, handelt es sich bei dem vorliegenden Band von Gregor Maria Hoff um keine systematisch ausgearbeitete Ekklesiologie, sondern um eine Sammlung verschiedener Aufsätze und Zeitungsartikel, von denen die meisten in den letzten zehn Jahren an unterschiedlichen Orten veröffentlicht wurden. Titel und Untertitel sollen anzeigen, dass die katholische Kirche im 21. Jh. »gegen Erwartungen und Festlegungen«, will heißen, »gegen den Uhrzeigersinn« vorzugehen habe und dabei der Ungleichzeitigkeit ausgesetzt sei, sprich »in disparaten Gegenwarten« lebe.
Eine der Hauptthesen des Buches klingt bereits im ersten Aufsatz an: Die Kirche befinde sich in einer Krise, gar in einer ihrer schwers-ten Krisen, welche im Prozess der Entkirchlichung, in Transformationen von Traditionen, voranschreitender Individualisierung etc. ausfindig gemacht werden könne. Mitunter stellt sich allerdings die Frage, ob die allenthalben festgestellten krisenhaften Szenarien – »Krise ist immer« (13) – nicht besser als Herausforderungen zu bezeichnen wären, mit denen Kirche und Theologie stets konfrontiert sind. Muss das Konstatieren aller möglichen Krisen womöglich zu den Problemen unserer Zeit gerechnet werden? Wie dem auch sei, Papst Franziskus wird in diesem Zusammenhang als Referenz modellhaften Lernens vorgestellt. Im darauffolgenden Beitrag wird der Zusammenhang zwischen »Traditionskontinuierung« und Innovation thematisiert und herausgearbeitet, dass nichts so sehr des diskursiv ausgehandelten Wandels bedarf wie die Bewahrung der Tradition. Sie berge grundsätzlich ein Potential zur Innovation, welches bei ihrer dialogischen Aktivierung zutage trete. Diese Erkenntnis leitet zum Aufsatz »Ekklesiologische Diskurse seit den 1980er Jahren« über, der einen guten Überblick über die diversen ekklesiologischen Ansätze, Perspektiven und Akzente der letzten Jahrzehnte bietet. In den unterschiedlichen ekklesiologischen Theorien und Debatten bilden sich, so urteilt H. zu Recht, die pragma-tischen Herausforderungen ab, mit denen Theologie und Kirche gegenwärtig konfrontiert würden.
An das mit »Grundlegung« überschriebene und drei Artikel bündelnde erste Kapitel schließt sich ein zweites an, das sechs Beiträge umfasst und wesentlich dem Verhältnis von Kirche und Judentum gewidmet ist. Ausführlich kommt in diesem Zusammenhang NA 4 zur Sprache, die Fortschritte im jüdisch-christlichen Dialog, Veröffentlichungen der Kommission für die religiöse Beziehung zum Judentum sowie die Konsequenzen, die es heute aus all dem zu ziehen gelte. NA »wartet weiter auf die Einholung und Einlösung der Möglichkeiten, die dieses einzigartige Dokument bietet.« (75) Nä­herhin sieht H. die israeltheologische Leitlinie von NA 4 in der systematischen Theologie bislang noch nicht oder nur anfänglich umgesetzt, weil in ihr der Israelbezug noch nicht zum Ausgangspunkt und kontinuierlichen Bezugspunkt geworden sei. Auch die Diskussion um die Karfreitagsfürbitte bzw. um die Frage der Judenmission, die die jüdisch-christlichen Beziehungen schwer belastet hat, wird angesprochen und in Anlehnung an die Argumentation von Kardi nal Kasper von den zwei unterschiedlichen Interpretationen der einen Selbstoffenbarung Gottes negativ beantwortet: »Man muss nicht missionieren, man muss zugleich nicht abweisen«, wer konvertieren möchte (108). Nicht zuletzt wird das jüdisch-christliche Gespräch selbst zum Gegenstand theologischer Reflexion, in­dem H. nach seinen offenbarungstheologischen Implikationen fragt, insbesondere nach der offenbarenden Bedeutung des Bundesgedankens im jüdisch-christlichen Dialog.
Der Begriff »Umstellungen« bildet den Titel des dritten der insgesamt sieben Kapitel des Bandes, welche gegen Ende des Buches hin immer kürzer werden. Was mit »Umstellungen« genau ge­meint ist, erschließt sich nur indirekt im Durchgang durch die drei Aufsätze, die drei ekklesiologische Herausforderungen behandeln: Ökumene, cultural turns und neuer Atheismus: Es geht um theologische Veränderungen, zu welchen die Problemkreise nötigen und die vor allem methodologischer und epistemologischer Art sind. Wieder stärker ekklesiozentrisch ausgerichtet erweist sich das vierte Kapitel, in welchem es weniger um theologische Erkenntnistheorie als vielmehr um »Kirchenkonflikte« geht. Zu ihnen rechnet H. das von Papst Benedikt XVI. bei seinem letzten Deutschlandbesuch bemühte Stichwort von der »Entweltlichung der Kirche«, die oftmals gewaltsamen Reaktionen auf religiöse Blasphemien, das Theologenmemorandum sowie den Finanzskandal in der Limburger Diözese.
Zweifellos handelt es sich hier um kirchliche Ereignisse, die für entsprechende Schlagzeilen sorgten, ob sich in ihnen aber schon die entscheidenden »Kirchenkonflikte« der Gegenwart abbilden, darf wohl nicht zu Unrecht kritisch angefragt werden. »Kirche – in den Zeichen der Zeit«, so lautete der Titel des fünften Kapitels, das eine biblische Kategorie – »Zeichen der Zeit« (Lk 12,56; Mt 16,1–41) – aufgreift, welche heute oftmals inflationär gebraucht und missbraucht wird, sind doch mit dieser Kategorie keineswegs alle möglichen Zeitsignaturen gemeint. H. legt in diesem Kapitel Überlegungen zu Papst Franziskus vor, zur »eucharistischen Ernährung«, zur Genderfrage sowie zum Theologiestudium und möchte mit ihrer Hilfe eine prophetische Ekklesiologie skizzieren.
Einen eigenen Charakter weist das sechste Kapitel auf, insofern es sich um sieben Kurzbeiträge handelt, die als »journalistische Arbeiten« charakterisiert werden und Themen behandeln, die meist zuvor schon anderweitig angeklungen sind (Papst Franziskus, Fall Limburg, Zweites Vatikanum etc.). Der Titel des letzten der sieben Kapitel ist mit dem des Buches identisch: »Gegen den Uhrzeigersinn«. Weshalb die acht Kurzbeiträge nicht unter das siebte Kapitel subsumiert wurden, bleibt offen, werden doch auch hier auf jeweils zwei bis drei Seiten Themen behandelt, die vom Wert des Lebens über Europa bis hin zu Weihnachten und Ostern reichen und die theologischen und kirchlichen Ressourcen für die gegenwärtige Gesellschaft herausarbeiten, ebenso, wie dies der letzte, das Buch wie ein Schlusswort abrundende Beitrag tut, der vom Ende der theologischen Bescheidenheit spricht und dazu aufruft, »dass die Theo logie selbstbewusst und nachdrücklich ihre Expertisen gesellschaftlich anmeldet und kirchlich zur Geltung bringt.« (269)
Der Sammelband bündelt eine Fülle von Beiträgen unterschiedlicher Genres. Redundanzen sind dabei naturgemäß unvermeidlich. Auch sind nicht alle Beiträge für eine Ekklesiologie, die auf der Höhe der Zeit sein möchte, gleichermaßen von Bedeutung. Diese Kritikpunkte können aber auch als Stärken des Bandes ausgelegt werden: Die vielen anregenden und lesenswerten Beiträge sind in sich stehend und können je nach Themeninteresse selektiv gelesen werden, wobei über ekklesiologische Themen hinaus zugleich Interessantes über die Theologie im Allgemeinen und ihre Methodologie und Erkenntnistheorie zu erfahren ist.