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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1187–1189

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Böttigheimer, Christoph, u. René Dausner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Vaticanum 21. Die bleibenden Aufgaben des Zweiten Vatikanischen Konzils im 21. Jahrhundert. Dokumentationsband zum Münchner Kongress »Das Konzil ›eröffnen‹«.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder 2016. 800 S. Geb. EUR 48,00. ISBN 978-3-451-37894-2.

Rezensent:

Jörg Bickelhaupt

Christoph Böttigheimer ist Inhaber des Lehrstuhls für Fundamentaltheologie an der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und René Dausner wirkt am selben Lehrstuhl als Privatdozent und Akademischer Oberrat. Vom 6. bis 8. Dezember 2015 fand in der katholischen Akademie München unter dem Titel »Das Konzil ›eröffnen‹« ein internationaler Kongress statt, an dem zahlreiche renommierte Theologen und Theologinnen aus dem weltweiten Katholizismus sowie der multilateralen Ökumene teilnahmen. Anlass der Tagung war der Abschluss des II. Vatikanischen Konzils 50 Jahre zuvor. Der vorliegende Band dokumentiert die im Verlauf des Kongresses referierten bzw. erarbeiteten Texte, Vorträge, Erklärungen etc.
Nach einer von den Herausgebern und Peter Hünermann verfassten Fragen und Intentionen von Konzil und Kongress verbindenden Einführung (13–16) ist unter A. (19–26) die Schlusserklärung des Kongresses dokumentiert, in der wesentliche Erträge der zwölf unter C. aufgeführten und unten näher erläuterten Workshops zusammengefasst sind.
Der Kongress startete mit einem Eröffnungspodium (dokumentiert unter B., 29–56). Auf Grundsatzreferate des Kirchenhistorikers Massimo Faggioli, Professor für Theology and Religious Studies an der Villanova University in Philadelphia (USA), sowie von Chris-toph Theobald SJ, Professor für Fundamentaltheologie und Dogmatik am Centre Sèvres in Paris, folgen Antworten von Eva-Maria Faber und Peter Hünermann »zum internationalen Stand der Konzilsrezeption – Bestandsaufnahme und Zukunftsperspektiven«.
Die Mitte des Kongresses bildeten die alle Teilnehmenden einbeziehenden zwölf Workshops, die grundlegende, im II. Vatikanum angestoßene Themen aufgriffen und für Gegenwart und Zukunft neu eröffneten. Die Darstellung ist im vorliegenden Band so aufgebaut, dass auf eine kurze Einführung in das jeweilige Thema mehrere darauf bezogene Impulse und Referate abgedruckt sind, die den Diskursen in den Workshops zugrunde lagen (dokumentiert unter C., 59–625). Ihre Erträge flossen, wie oben bereits angesprochen, in den Text der Schlusserklärung des Kongresses ein.
Um einen Eindruck zu vermitteln, dass zentrale Fragen und Anliegen des II. Vatikanischen Konzils aufgegriffen und erörtert wurden auf der Basis der jeweils einschlägigen Konzilstexte und in Richtung ihrer Öffnung und Konkretion auf Heute und Morgen, seien die Themen der zwölf Workshops kurz benannt: Freiheit und Glaube, Theologie als Wissenschaft, Theologie und bischöfliches Lehramt, Reform kirchlicher Strukturen, Innerchristliche Ökumene, Kirche und Judentum, Offenbarungsanspruch und Pluralität der Religionen, Interreligiöser Dialog und Mission, Liturgie und Inkulturation, Glaube und Bildung, Kirche und mediale Öffentlichkeit, Schöpfung und Ökologie.
Eine öffentliche Podiumsdiskussion unter dem einem unmittelbar nach Abschluss des Konzils gehaltenen Vortrag Karl Rahners entlehnten Titel »Das Konzil – ein neuer Beginn« beschloss den Kongress. Die vier der Diskussion zugrunde liegenden Referate der am Podium Teilnehmenden, Karl Kardinal Lehmann (†), Massimo Faggioli, Bernadeth Carmen Caero Bustillos sowie Annemarie C. Mayer, sind dokumentiert unter D., 629–654.
Dem vorliegenden Band ist auf den Seiten 663–785 die Dokumentation eines weiteren der Rezeption des II. Vatikanischen Konzils gewidmeten, internationalen Kongresses (vom 12.–15. April 2015 in Paris) mit der Absicht beigefügt, »die Diskussionsbreite und die bewusst internationale Rezeption des II. Vatikanums abzubilden« (663).
Der Kongresstitel »Die ›Eröffnung des Konzils‹« wird bereits in den eröffnenden Statements (29 ff.) als Neubeginn mit der Person von Papst Franziskus verbunden und im Blick auf Zukunftspotentiale konkretisiert. Jener im ersten Moment scheinbar kontradiktorisch scheinende Titel (schließlich liegt das Konzil als historisches Geschehen in der Vergangenheit, gegenwärtig auf der Grenze des Übergangs von der Kirchlichen Zeitgeschichte in die Neuere Kirchengeschichte) nimmt die Diktion jenes bereits erwähnten historischen Festvortrags von Karl Rahner auf, den er im Herkulessaal vier Tage nach Abschluss des Konzils in der Münchner Residenz unter dem Titel hielt »Das Konzil – ein neuer Beginn« (veröffentlicht in Batlogg/Raffelt [Hrsg.], Das Konzil – ein neuer Beginn: Mit einer Hinführung von Kardinal Lehmann, Freiburg i. Br. 2012).
Rahner bezeichnete die gerade zu Ende gegangene Kirchenversammlung als »Anfang eines Anfangs« (37) und fügte im Blick auf eine notwendige receptio continua hinzu: »Freilich wird es lange dauern, bis die Kirche, der ein II. Vatikanisches Konzil von Gott geschenkt wurde, die Kirche des II. Vatikanischen Konzils sein wird« (49). Der Gedanke, dass Rezeption stets in der Neu-Aneignung besteht, damit in der erneuten »Er-Öffnung« des Konzils resp. seiner Themen, war damit unmittelbar angelegt.
Dieser sich im Kongresstitel abbildenden Auffassung kann ich nur zutiefst zustimmen: Ein Konzil ist und war (auch kirchenhis-torisch) nie ein mit seinem Ende abgeschlossenes Geschehen, das man in der Rezeption ahistorisch auf den Literalsinn seiner Texte reduzieren konnte und könnte (so wichtig diese sind und bleiben). Ein rein materiales Verständnis von Überlieferung (bezogen sowohl auf ihre Gestalt, ihren Gehalt und den Vorgang selbst) wäre ein die eigenen Grundlagen reduktionistisch wahrnehmendes Selbstmissverständnis der Kirche(n). Rezeption als Neu-Aneignung und Öffnung ist vielmehr ein im Grunde nicht abschließbarer Prozess. Das im II. Vatikanum apostrophierte »Aggiornamento« beschränkt sich also nicht auf das Ereignis selbst oder gar nur auf die Konstitution »Gaudium et Spes«. Die Notwendigkeit, sich mit den Grundlagen von Glaube und Verkündigung je neu auseinanderzusetzen, sie zu aktualisieren und »neu zu (er)öffnen«, betrifft auch nicht nur das II. Vatikanum, sondern (bei aller historischen Distanz und z. B. religionsphilosophischer Differenz) etwa auch die grundlegenden theologischen Bestimmungen der altkirchlichen Konzilien – denken wir an unsere heutigen multireligiösen Gesellschaften und die sich in ihnen aufs Neue stellende Notwendigkeit, analog zur Zeit der Alten Kirche, sich der Fundamente des christlichen Glaubens nach innen gemeinsam zu vergewissern, sie im Horizont der eigenen Zeit zu formulieren, um sie nach außen gegenüber einer multireligiösen Gesellschaft vertreten und plausibilisieren zu können. Nicht zuletzt, sondern zu allererst gilt dies natürlich auch bezüglich der Schrift, vor allem der Fragen zu ihrer Hermeneutik, als der grundlegenden, ökumenisch verbindenden, Lehre und Glaube der Kirche normierenden, mit Israel verbindenden Urkunde der Christenheit.
Dieser Kongress unternahm es zudem, das II. Vatikanum ökumenisch in den Blick zu nehmen, obwohl es – aus der Perspektive der nicht-römisch-katholischen Christenheit – zunächst einmal ein Konzil der römisch-katholischen Kirche war. Dass dies auf diese Weise geschah, nicht nur in einer konfessionellen Binnenperspektive, stellt eine weitere Form der »Er-Öffnung« dar. Ökumene muss auf ihrem Weg die unterschiedlichen Traditionen in den Blick nehmen – dazu gehört auch das Anerkennen und Würdigen von Differenz –, nicht als Selbstzweck, sondern mit dem Ziel, Vielfalt zu verstehen um sie, wo möglich, zu versöhnen. Dass dabei Rezeption von Tradition (fremder wie eigener) stets auch kritisch zu erfolgen hat, unterscheidend und weiterführend, versteht sich von selbst. Um es auf ein Diktum von Jürgen Moltmann aus seiner Theologie der Hoffnung zu beziehen: Kritische Rezeption versteht Tradition nicht einfach als ein zu bewahrendes materiales traditum, das als Asche des Vergangenen zu bewahren wäre, sondern als Fackel, die auf dem Weg voran führt und das, was uns gegeben ist, »neu öffnet«. Der Band ist hierfür ein Beispiel und sei der Lektüre in der Ökumene unbedingt empfohlen.