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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1174–1176

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Gutschmidt, Rico, u. Thomas Rentsch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Gott ohneTheismus? Neue Positionen zu einer zeitlosen Frage.

Verlag:

Münster: mentis-Verlag 2016. 276 S. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-95743-057-1.

Rezensent:

Martin Hailer

Der Klappentext des Bandes versteht ein theistisches Gotteskonzept als eines, das ihn als »buchstäblich existierendes Wesen« sieht. Theistische Selbstauskunft sagt, »dass ein Gott existiert, der die wesentlichen Eigenschaften des jüdisch-islamisch-christlichen Gottesbildes hat: Er ist eine Person, […] allmächtig, allwissend, allgütig« (W. Löffler, Einführung in die Religionsphilosophie, Darmstadt 2006, 17). Es muss demnach um die Frage gehen, was »buchstäblich existieren« in Bezug auf Gott genau heißt und ob die Rede von den Eigenschaften Gottes systematisch davon abhängt, wie der Existenzquantor in Bezug auf ihn zu gebrauchen ist.
Die Herausgeber, beide mit Projekten zur Negativen Theologie hervorgetreten, stellen ihren Leitbegriff ins Zentrum: »Negativität und Transzendenz sind gleichursprünglich.« (7 f.) Der Beitrag von Thomas Rentsch wiederholt im Wesentlichen die aus seinem Buch »Gott« (Berlin 2005) bekannten Bestimmungen, wonach Negativität und Sinnstiftung in konstitutiver Weise zusammenhängen: Nur weil Gott entzogen ist, vermag der Bezug auf ihn sinnstiftend zu sein. So verhält es sich mit den drei von Rentsch ausgemachten Transzendenzen, der kosmologischen (Voraussetzung der Existenz der Welt, obwohl sie als Ganze nie Gegenstand werden kann), der existentiellen (Menschen sind sich selbst unverfügbar) und der Transzendenz des Logos (das Dass und das Wie des Sprechenkönnens geht jedem Kommunikationsakt voraus). Weitere Informationen zur Negativen Theologie bei Adorno, Derrida und Wittgenstein finden sich im Beitrag von Hilmar Schmiedl-Neuburg.
Rico Gutschmidt berichtet aus seinen Analysen des Spätwerks Heideggers (Sein ohne Grund, Freiburg i. Br. 2016): Erfahrungen der Irritation in ganz normal gelebten Leben führen dazu, der Grundlosigkeit des Seins innezuwerden, obwohl das Konzept ›dasjenige, was allem, was ist, zugrunde liegt, ist grundlos‹, nicht konsistent gedacht werden kann. Hier geht es aber um eine Haltung des Da­seins: Richtig reagiert, wer sich dem grundlosen Grund überlässt und also »grundloses Vertrauen« (221) entwickelt. Dies ist ohne Krisen nicht zu haben und erweist Glaube primär als Haltung, nicht als Überzeugtsein von bestimmten Inhalten. Gutschmidt konkretisiert das im Gegenüber zu theologischen (Luther) und religionsphilosophischen (Tillich) Konzepten. Sein Entwurf hat ein existentielles Moment, da er selbst eine Störung und nur im persönlichen Nachvollzug verstehbar sein soll (230).
In systematischer Nähe dazu steht der Beitrag von Hans-Julius Schneider (vgl. Religion, Berlin 2008). Er differenziert zwischen objektivistischen und nichtmetaphysisch-mystischen Ansätzen in der Religionsphilosophie, wobei Letzteren seine Sympathie gilt: Religionen sind »[t]raditionsbewährte Geschichten […] in denen es um das Ganze des menschlichen Lebens« (159) geht, und zwar so, dass daraus Sinnorientierung hervorgeht. In einem so verstandenen religiösen Sprachspiel geht es nicht um die Identifikation von opaken Gegenständen, sondern um die Frage, ob religiöse Erzählungen angemessen zu orientieren vermögen.
Der Band enthält auch Beiträge, die dem Konzept einer Negativen Theologie kritisch gegenüberstehen. Der von Holm Tetens (vgl. Gott denken, Stuttgart 22015) zieht die Idee, »auf nichtmetaphysische Weise religiös von Gott zu reden« (167), explizit in Zweifel. Dafür differenziert er zwischen einem harten und einem weichen Naturalismus: Beide kommen darin überein, dass die Wirklichkeit nur aus dem besteht, was sich erfahren lässt. Der harte Naturalismus liest das im Sinne von naturwissenschaftlicher Erfahrung und erklärt entsprechend alle Religion für Phantasterei. Der weiche Naturalismus sieht eine Vielfalt von Sprach-, Rede- und Lebensformen, führt sie aber genauso auf Beobachtbares zurück. Dann ist es möglich, von Religion zu reden. Freilich wird der Naturalist Aussage n über Gott in Aussagen über die Beschaffenheit der Welt verwandeln. Demgegenüber plädiert Tetens für einen philosophischen Theismus, dessen Möglichkeit (nicht: dessen Wirklichkeit) philosophisch gezeigt werden kann.
Die Naturalismus-Kritik erscheint konsequent; sehr fraglich ist allerdings, ob die Vertreter Negativer Theologie sich als Variantengeber eines weichen Naturalismus verstehen würden. Henning Tegtmeyer beginnt bei Immanuel Kants moralischem Gottespostulat und zeiht diejenigen, die diesen Anspruch unterlaufen, des »me­taphysischen Deflationismus«. Von manchen Formen des Deflationismus unterschieden sieht er die Negative Theologie, die aber aufgrund ihres Beharrens auf der Unnennbarkeit Gottes die Frage nach dessen Vorsehung und Gerechtigkeit nicht in den Begriff bekommt. Auch für ihn scheint zu gelten: lieber die Sperrigkeit theistischer Grundannahmen konzedieren als mit nicht erklärungskräftigen Ersatzannahmen Vorlieb nehmen zu müssen.
Interessant ist die Studie von Silvia Jonas über mathematischen und religiösen Glauben: Vergleichbar mit Tetens ist ihr Anspruch nicht, die Wahrheit des (christlichen) Glaubens zu begründen. Sie will allerdings zeigen, dass es genauso rational ist zu glauben wie nicht zu glauben. Dafür unterstellt sie, dass der weit überwiegende Teil der Menschheit die Mathematik für etwas Richtiges und sehr gut Brauchbares hält. In einer Analyse der Axiomatik der Mengenlehre – deren Details der Rezensent nicht beurteilen kann – zeigt sie, dass die meisten dieser Axiome nicht in evidenter Weise wahr sind. Da aber offensichtlich kaum jemand an der mit ihnen grundgelegten Mathematik zweifelt, ist es schlicht irrational, am Sinnangebot einer Religion zu zweifeln, nur weil ihre Axiomatik nicht in evidenter Weise wahr ist. Über die Annehmbarkeit einer oder einer anderen Religion ist damit noch nicht entschieden, auch ist klar, dass Religion mehr ist als ein abstraktes System. Aber: » Qua abstrakte Systeme sind Mathematik und Religion gleichermaßen rational oder irrational.« (211)
Der Band enthält ferner Beiträge philosophiehistorischen Charakters (Pirmin Stekeler-Weithofer zum Konzept des Absoluten mit weitgespanntem Horizont von Heraklit bis Hegel, Rudolph Langthaler zum Gottesbegriff und zu dem Phänomen der Grenzreflexion bei Kant und Schelling), eine Studie zum Terminus des Nichtverstehens (Dirk Westerkamp), Erwägungen zur Rolle der Imagination im religiösen Kontext (Amber L. Griffioen) und Analysen zu Jean-Luc Nancy von Hartmut von Sass. Er endet mit einem Beitrag von Karlheinz Ruhstorfer, in dem er seine These von der enorm großen geistesgeschichtlichen Prägekraft des biblisch-trinitarischen Denkens skizziert (vgl. Gotteslehre, Paderborn 2010). Sein Programm ist eine philosophisch grundierte rationale und alltagstaugliche Erneuerung der Religion, die möglich ist, weil »die bewährte Wahrheit der [Heiligen, Rez.] Schrift […] die Potenz ihrer spekulativen Durchdringung« enthält (275). Diese genauso katholische wie durchaus hegelianisch mitgeprägte Position traut der Erschließungskraft des Begriffs einiges zu. Die Titelfrage »Gott ohne Theismus?« würde sie wohl verneinen.
Angesichts des sehr heterogenen Themenfelds hätte die Dokumentation der Diskussion(en) oder eine Zusammenschau der Herausgeber nicht geschadet. Einen Einblick in die vielfältigen Debattenlagen jenseits der Analytischen Religionsphilosophie bietet der Band aber allemal.