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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1166–1167

Kategorie:

Systematische Theologie: Dogmatik

Autor/Hrsg.:

Axt-Piscalar, Christine, u. Claas Cordemann[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Taufe und Kirchenzugehörigkeit. Zum theologischen Sinn der Taufe, ihrer ekklesiologischen und kirchenrechtlichen Bedeutung. Hrsg. im Auftrag d. Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD).

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 224 S. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-374-05205-9.

Rezensent:

Jan Hermelink

Mit diesem Band will der Theologische Ausschuss der VELKD – im Anschluss an das Jahr der Taufe (2011) – eine »Orientierung« zu theologischen, kirchenrechtlichen und praktischen Fragen geben, und zwar für Pfarrerinnen/Pfarrer und Kirchenvorsteherinnen/ Kirchenvorsteher und für »alle Getauften sowie solche, die die Taufe anstreben« (17). Für diesen denkbar weiten Adressatenkreis bietet der Band fünf Beiträge von Mitgliedern des Theologischen Ausschusses und dazu M. Luthers »Sermon vom […] Sakrament der Taufe« (1519) sowie die einschlägigen Passagen aus dem Großen Ka­techismus (1529).
Eine knappe Einleitung bietet zunächst die »theologischen Grundaussagen der Tauflehre« (7–10), die (zum Teil wortgleich) in den Beiträgen von Axt-Piscalar und Nitschke aufgenommen werden, und fasst sodann die Beiträge instruktiv zusammen (11–16).
Die Dogmatikerin Christine Axt-Piscalar erläutert die »Bedeutung der Taufe für das ganze Leben des Christenmenschen« (19–45), die sie im »zuhöchst individualisierenden« und zugleich »auf theologisch elementare Weise […] sozialisierenden« Charakter der Taufe findet (19.21). Sie umreißt den Zusammenhang von sinnlichem Zeichen und verheißendem Wort sowie von einmaligem Vollzug und lebenslanger, selig machender Aneignung im Glauben. Sie nennt theologische Gründe für die Kindertaufe, die auch die Er­wachsenentaufe prägen sollten; und sie wünscht sich angesichts aktueller Entwicklungen, dass nicht nur die schöpfungstheologische, sondern auch die christologische, die ekklesiologische und die ethische Dimension der Taufe in Gottesdienst und Predigt zur Sprache kommen sollten. Dies alles präsentiert sich vor allem als Auslegung von L uthers einschlägigen Texten – diese werden erstaunlicherweise nicht nach den im Band selbst abgedruckten Versionen zitiert, sondern nach der VELKD-Ausgabe der Bekenntnisschriften (Unser Glaube, 2013).
Der Neutestamentler Ulrich Heckel skizziert in einem längeren Beitrag (47–109) unter der Überschrift »Die Taufe im Neuen Testament« zunächst kirchenhistorische Entwicklungen und urchrist-liche Praxis und geht dann sehr gründlich die einschlägigen Texte durch, vor allem Mk 16,16 – hier wird en passant, aber klar die »Heilsnotwendigkeit der Taufe« verneint (60 f.) –, Röm 6 und Mt 28. Heckel ist vor allem am Verhältnis von Glauben und Taufe sowie an der biblischen Legitimation der Kindertaufe interessiert – beide Probleme werden großkirchlich-vermittelnd angegangen. Schließlich werden – hermeneutisch etwas unscharf – »Folgerungen für die heutige Taufpraxis« gezogen, die zu einer aktiven Werbung für die Taufe, ihren »Ur-Segen« (109) und die Gemeinschaft der Gemeinde aufrufen.
Während diese beiden Beiträge kaum etwas bieten, was nicht auch in den einschlägigen Handbüchern und Kasualtheorien zur Taufe zu finden wäre, entfaltet der Praktische Theologe Michael Herbst einen neuen Gedanken (111–137). Er verbindet »Taufe und Katechumenat« so, dass er – nach einer instruktiven Wahrnehmung gegenwärtiger Taufpraxis (114–122) und einem Verweis auf die vorkonstantinische Taufvorbereitung – die diversen »Glaubenskurse«, die sich in den letzten Jahrzehnten in vielen kirchlichen Regionen etabliert haben, als Taufvorbereitung und nachgehende Taufvertiefung interpretiert. Durchaus kritisch gegenüber pietistischer Programmatik fordert er, von der Orientierung an einer »freischwebenden Entscheidung« zu einem Verständnis zu kommen, das jene Kurse als »reditus ad baptismum« gestaltet (136).
So knapp wie klar referiert der Kirchenrechtler Heinrich de Wall das geltende Mitgliedschaftsrecht in der EKD (139–148). Er reflektiert die Frage, unter welchen Umständen eine von »freien Taufanbietern« vollzogene Taufe zur Mitgliedschaft in einer Gliedkirche der EKD führen kann; und er äußert – dem juristischen mainstream folgend – Bedenken gegenüber einer Mitgliedschaft eingeschränkten Umfangs, die die Taufe nicht voraussetzt.
Der Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitschke versucht unter der (etwas irreführenden) Überschrift »Taufe und Kirchenmitgliedschaft« (149–177) schließlich, diverse »Rückfragen [aus] Taufgesprächen und […] Pfarrkapiteln« zu beantworten (165). Unter Rückgriff auf die Taufagende und die »Leitlinien kirchlichen Lebens« der VELKD benennt er »Prüfkriterien für das Handeln vor Ort« (157 ff.), skizziert »rote Linien« (164) und betont zugleich die Verständigung in Gemeinde und Region. Das Taufgespräch wird tendenziell als ein Lehrgespräch skizziert, das »ein evangelisch-lutherisches Taufverständnis […] erschließen« und die Verantwortung von Eltern und Patinnen/Paten »deutlich machen« soll (158). Die derzeit drängenden Fragen nach der Kirchenmitgliedschaft von Patinnen/Paten, nach der Möglichkeit einer Taufe jenseits des Sonntagsgottesdienstes, jenseits des Kirchengebäudes und der Ortsgemeinde (vgl. 155) finden nur knappe, etwas ausweichende Antworten; der Umgang mit freikirchlichen Taufen wird breiter bearbeitet. Den Abschluss bildet das Plädoyer, die Taufe bei der Anstellung bei einem kirchlichen oder diakonischen Arbeitgeber nicht mehr zwingend vorauszusetzen.
Viele der hier gesammelten Texte vollziehen die Orientierung der kirchlichen Akteure in einem etwas belehrenden Gestus, der vorgegebene Normen eher erläutert als rekonstruiert. Die aktuellen Fragen und Probleme der Taufpraxis werden zwar – meist knapp – genannt, aber kaum einmal auf ihre sozialen und religiösen Bedingungen reflektiert. Stattdessen dominiert die Kritik an einer »Verflachung« der Taufpredigt (24), am Ausfall der ethischen Bezüge und an den individuellen, zu sehr erlebnisorientierten Wünschen der Tauffamilien (155). Die zahlreichen praktisch-theologischen Beiträge, die diese Sicht in den letzten Jahrzehnten differenziert haben, werden nur in dem Beitrag von Herbst zur Kenntnis genommen. Was dagegen die systematisch-theologische Reflexion der Taufe nach Luther zu einem konstruktiven, den gegenwärtigen Sinn der Taufe für alle Beteiligten erschließenden Handeln vor Ort beitragen könnte, das wird in diesem Band leider kaum erkennbar.