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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1161–1162

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Gregersen, Niels Henrik, Uggla, Bengt Kristensson, and Trygve Wyller [Eds.]

Titel/Untertitel:

Reformation Theology for a Post-Secular Age: Løgstrup, Prenter, Wingren, and the Future of Scandinavian Creation Theology.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 274 S. = Research in Contemporary Religion, 24. Geb. EUR 60,00. ISBN 978-3-525-60458-8.

Rezensent:

Dietz Lange

Die »Schöpfungstheologie« der Dänen Prenter und Løgstrup sowie des Schweden Wingren ist bei uns immer noch wenig bekannt, ob­wohl ihre wichtigsten Werke längst übersetzt sind. Das hat zwei Gründe: Ihre wichtigste Schaffensperiode fällt in die Zeit, in der die Wiederentdeckung Schleiermachers, das Erscheinen der Werke Tillichs und Pannenbergs Vorstoß die noch bestehenden Fronten des Kirchenkampfes aufbrachen und viele Kräfte banden. Erschwerend kam hinzu, dass ihr geistiger Ziehvater, N. F. S. Grundtvig (1783–1872), hierzulande weithin unbekannt war. Doch birgt ihr Ansatz ein Potential an Anregungen, das über die regionale Bedeutung weit hinausreicht. Deshalb ist den Herausgebern für ihren Versuch zu danken, ihn einem internationalen Publikum näherzubringen. Sein Gelingen setzt freilich voraus, dass die 2010 erschienene deutsche Auswahlausgabe von Werken Grundtvigs gebührende Aufmerksamkeit findet.
Die skandinavische Schöpfungstheologie entstand um die Mitte des 20. Jh.s in Dänemark als Gegenbewegung einerseits gegen die Theologie der Schöpfungsordnungen im deutschen konservativen Luthertum, die den Deutschen Christen den Weg bereitet hatte, andererseits gegen die Theologie K. Barths. Die Hauptstoßrichtung galt freilich der Tidehverv-Bewegung der 30er Jahre im eigenen Land, die sich an Kierkegaard und Barth orientierte. Deren soteriologischer Verengung der Perspektive begegnete sie im Anschluss an Grundtvig mit einer positiven Rückbesinnung auf die Volks- und Staatskirche und deren weiten Raum für profane Kultur. Das verflüssigte die Grenze zwischen Religiosität und Säkularität. Damit ist keine liberale Herleitung des modernen Autonomiegedankens aus dem reformatorischen Freiheitsverständnis verbunden. Es ging um die Entdeckung von Gottes schöpferischem Handeln in den natürlichen menschlichen Lebensäußerungen, in Geschichte und Natur, jenseits expliziten christlichen Glaubens. Mit Grundtvig gesprochen: »Zuerst der Mensch, dann der Christ«. Der Blick auf die Schöpfung Gottes als creatio continua eröffnet den universalen Horizont, innerhalb dessen die Erlösung ihren Platz findet.
Die Hauptvertreter der »Schule« sind untereinander sehr verschieden. Løgstrup ist Religionsphilosoph. Seine von präreflexiven Phänomenen wie Vertrauen ausgehende deskriptive Ethik hat in Deutschland eine gewisse Wirkung gehabt, nicht dagegen seine von Heidegger und Lipps geprägte phänomenologische Metaphysik, die mit Bezug auf naturwissenschaftliche Erkenntnisse Tod und Vernichtung als opus alienum Dei der Schöpfung zuordnet. Prenter, der Konservativste der Gruppe, verortet die Kontinuität von Schöpfung und Erlösung in der lutherischen Lehre der Realpräsenz von Leib und Blut Christi im Abendmahl. Damit verbindet er im Anschluss an Luther eine theologia crucis. Wingren ist bekannt durch sein Buch über Luthers Berufslehre. Er grenzt sich sowohl von Barth als auch von dem Eros/Agape-Dualismus seines Lehrers A. Nygren ab und beschreibt im Sinne der recapitulatio bei Irenäus den Weg von der Schöpfung zur Erlösung als dynamischen Prozess.
Das hier zu besprechende Buch ist – nach einer instruktiven Einleitung der Herausgeber (11–34) – in vier Teile gegliedert.
Der erste Teil stellt die »Gründerväter« vor: Knud Ejler Løgstrup, 1905–1981 (Niels Gregersen), Regin Prenter, 1907–1990 (Christine Svinth-Põder), und Gustaf Wingren, 1910–2000 (Bengt Uggla). Die drei Aufsätze bieten auf knappem Raum vorzügliche Darstellungen. (Ein Detail: Uggla berücksichtigt den Einfluss der politisch weit links stehenden zweiten Frau Wingrens, Greta Hofsten, den die Literatur meist verschweigt).
Der zweite Teil behandelt die wichtigsten Ideengeber der Vergangenheit: Luther (Allen G. Jorgenson) und Grundtvig (A. M. Allchin). Während Jorgensen mit der Erweiterung des simul iustus et peccator durch et innocens (124) allzu sehr die Betrachtungsweise der skandinavischen Theologie in Luther hineinliest, ist Allchins Darstellung des nicht leicht zugänglichen Grundtvig souverän, ja fast kongenial. (Sein Name fehlt im Autorenverzeichnis. Arthur Macdonald Allchin [1930–2010] war ein vielseitiger anglikanischer Kirchenmann, interessiert an der orthodoxen und römischen Kirche und am Mönchtum, Autor von N. F. A. Grundtvig, An Introduction to his Life and Work [1997]).
Der dritte Teil untersucht die Bedeutung des schöpfungstheologischen Ansatzes für Gegenwartsprobleme. Jakob Wolf analysiert präzise Løgstrups schöpfungstheologische Deutung präreflexiver Erfahrung, wird aber mit der Barthschen Offenbarungstheologie zu leicht fertig, die er einseitig auf ihre Opposition gegen die Staatsfrömmigkeit deutscher Lutheraner zurückführt. Ole Jensen arbeitet das Potential der Schöpfungstheologie zur Überwindung der in der Dialektischen wie der Liberalen Theologie verbreiteten Einengung auf das Gottesverhältnis des Menschen heraus, die der Natur allenfalls in der Ethik einen Platz zugesteht. In diesen Zusammenhang gehört auch der Aufsatz von Pia Søltoft über die erotische Dimension der Liebe bei C. S. Lewis, Kierkegaard und Løgstrup. Ein wichtiger Aspekt ist ferner die sorgfältige Verhältnisbestimmung von Schöpfung als Gabe zu dem emanzipatorischen Ansatz der Menschenrechte durch Elisabeth Gerle. Thematisch in der Nähe steht der Beitrag von Benedicte H. Præstholm über die Gender-Diskussion. Zwei Aufsätze diskutieren das Verhältnis von christlichem Universalitätsanspruch zur Realität religiöser Mannigfaltigkeit: Trond S. Dokka erörtert das konfessionelle Problem im Gegenüber zu Henri de Lubac, und Jakob Wirén behandelt anhand von Wingren den religiösen Pluralismus. Beide Male erweist sich der schöpfungstheologische Ansatz als besonders fruchtbar.
Der letzte Teil, Theological and Social Contexts, hat mich in Aufbau und Inhalt am wenigsten überzeugt. Der Aufsatz von Jan-O. Henriksen über die Trinitätslehre versucht als einziger das Verhältnis von Schöpfung und Soteriologie systematisch zu reflektieren, bleibt jedoch im Referat der skandinavischen Positionen stecken. Derek R. Nelsons Blick auf die USA ist unergiebig, weil die Skandinavier dort keine nennenswerten Spuren hinterlassen haben. Der letzte Artikel (Trygve Wyller) plädiert geistreich für das Eigenrecht des »säkular-religiösen Anderen« gegen ekklesiozentrischen »Kolonialismus«, gehört aber eigentlich in Teil 3.
Die Kritik der Autoren dieses Bandes an soteriologischer bzw. anthropozentrischer Engführung leuchtet mir ein. Doch wäre zu fragen, ob nicht umgekehrt die durch das Staatskirchensystem unterstützte Nivellierung der Grenze zwischen Religiös und Profan das christliche Profil ebenso abzuschleifen droht, wie es unter anderen Voraussetzungen bei uns der Fall ist.