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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1156–1158

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Yamaki, Kazuhiko

Titel/Untertitel:

Anregung und Übung. Zur Laienphilosophie des Nikolaus von Kues.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 405 S. = Texte und Studien zur Europäischen Geistesgeschichte. Reihe B, 15. Kart. EUR 26,00. ISBN 978-3-402-16003-9.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Kazuhiko Yamaki, Präsident der japanischen Cusanus-Gesellschaft, bietet in diesem Band mit seinen Aufsätzen zur Laienphilosophie des Nikolaus von Kues (NvK) eine reiche Ausbeute seiner Jagd nach Weisheit. Anlass dazu ist sein 70. Geburtstag. Die 24 Aufsätze sind (nicht ganz konsequent) in der Reihenfolge ihrer Entstehung abgedruckt, sie liegen alle in deutscher Sprache vor, die meis-ten sind auch ursprünglich auf Deutsch erschienen.
Es ist unmöglich, sie alle in einer Rezension zu würdigen. Einiges sei darum herausgegriffen. Y. geht es darum aufzuzeigen, dass bei NvK der Laie der eigentlich Weise ist, der Theorie und Praxis miteinander verbindet. »Er meinte nicht, dass es möglich sei, mit der Philosophie die Wahrheit, das Absolute, den Gott ein für alle Mal zu erreichen. Vielmehr ermöglicht das Philosophieren den Philosophierenden die innere Bereitschaft, Wahrheit aufzunehmen – insofern und solange sie ihm zukommt« (9).
Im ersten Aufsatz »Die ›manuductio‹ von der ›ratio‹ zur Intention in De visione dei« (11-32) betont Y., dass nach NvK der Verstand auf die Gottesschau ausgeht mit einem von der göttlichen Liebe entflammten Verlangen, dass das Herz nur in Gott Ruhe findet. Der Verstand scheitere aber, wenn er mit Begriffsunterscheidungen und mit Schlussfolgerungen Gottes Wesen zu begreifen sucht. Die Gotteserkenntnis gelingt nur über das Scheitern des Verstandes. Die Einsicht begreift, dass Gott jenseits aller Gegensätze liegt. Ist die Einsicht gescheitert, eröffnet sich dem Menschen »die Möglichkeit der Entrückung«, er nennt sie raptus mentalis. Christus lehre beides, Glaube und Liebe: »Durch den Glauben tritt die Einsicht zum Wort hinzu, durch die Liebe wird sie mit ihm geeint« (De visione Dei, c. 24, n. 113). Diese Verbindung lehre uns, den Gedanken des raptus mentalis zu begreifen. Der Affekt (NvK spricht von Liebe) ist in die volle Einsicht (intellectus) integriert. Die Tür in das Paradies, wo Gott wohnt, ist Christus. Damit ist das ganze Heilsgeschehen gemeint, das von Gott ausgeht. Wenn NvK in De visione Dei von der »Mauer des Paradieses« spricht, so sei dies ein »Bild für die noetische Grenzerfahrung des Geistes«. Y. gelingt damit eine überzeugende Interpretation der Gedanken des NvK.
Y. betont, dass für Nikolaus die Weisheit Gottes Jesus Christus ist und dass von ihm der Geist des Intellekts ausfließt. Der Geist des Menschen (mens) sei das Abbild Gottes. Dieser Geist könne die in der Welt innewohnende Weisheit auf der Ebene der Wahrscheinlichkeit fassen. Von daher seien die Bezeichnungen des Menschen als humanus deus, viva imago dei, alius deus zu verstehen. Doch das lebendige Bild Gottes ist allein Christus (86.95.282.287 f.). In einigen Aufsätzen vertieft er das Denken der coincidentia oppositorum bei NvK und stellt fest, dass er Gott vom Ort des Ineinsfalls des Widersprüchlichen unterscheidet. Der vertikale Ineinsfall entstehe am Tor der Mauer des Paradieses, nämlich durch das Sein Jesu Christi (110 f.). Ein anderer Gedanke: Die Welt und der Mensch selbst sei ein Buch, »das gelesen werden soll, um Gott als den wahren Verfasser zu erkennen« (144.148). Und wenn der Mensch das Weltbuch lesen, die Weltordnung verstehen kann, dann, um damit die göttliche Vernunft zu erfassen (158).
Mehrfach beschäftigt sich Y. mit den Namen Gottes. An sich ist er unaussprechlich. Wenn NvK trotzdem nach ihnen fragt, so, um die Immanenz Gottes zu erläutern, ohne dabei seine Transzendenz zu leugnen. Sie sind für ihn eigentlich keine Namen, sondern Rätselbilder (aenigmata) (248 f.318). Im Unterschied zu Thomas von Aquin ist für ihn nicht das Sein der eigentliche Name Gottes, sondern das possest sei »ein hinreichend angenäherter Name Gottes nach menschlichem Begreifen« (252–254). Y. spricht dabei vom »elliptische(n) Denken des Cusanus« (271–277). Das Philosophieren sei für NvK Jagd nach Weisheit, die er manchmal spielerisch und mit großer Freude betrieben habe (298). Bis zu seinem Tod hat er sich mit der Frage befasst, ob der Mensch mit seiner Sprachfähigkeit Gott erfassen kann. Er ist dabei zu der Überzeugung gelangt, »dass es in der Tat eine dialektische Beziehung zwischen Gott und der Geschöpfen in der Tat (sic! – K.) gibt« (212). Von dieser Beziehung spricht NvK immer wieder, um das Problem der Verschiedenheit ( diversitas) zu lösen. Zuerst gebraucht er dafür den Begriff repraesentatio, später spricht er von complicatio-explicatio, dann von unitas-alterias. Schließlich nimmt er den von ihm gebildeten Begriff idem absolutum in das complicatio-explicatio-Schema auf. Ihm geht es darum aufzuzeigen, dass die Schöpfung »ein dynamischer Prozess« ist und Gott nicht nur in der Schöpfung, sondern auch durch sie redet, wobei Y. von einer »intime(n) Beziehung zwischen Gott, der Welt und dem Menschen« spricht (385–402).
In mehreren Aufsätzen vergleicht Y. die ostasiatische Weisheitstradition mit der von NvK. Sowohl bei Zen-Buddhisten wie bei japanischen Christen stößt das cusanische Denken auf großes Interesse, wobei es zu Konversionen zum Christentum gekommen ist.
Den Rezensenten reizt der Gedanke, inwieweit sich die Laienphilosophie des NvK mit der biblisch-lutherischen Auffassung vom Priestertum der Getauften berührt. Sicher, beide unterscheiden sich, aber Berührungspunkte gibt es – und diese sollten einmal erforscht werden. Wenn der Laie auch vor der Weisheit unwissend ist, so ist er erfahren in seiner handwerklichen Kunst. Durch diese Erfahrung gewinnt er einen Weg zur Weisheit und ist so eine viva imago dei (324.330.348). Seinen eigenen Status reflektiert NvK aus der Sicht des Laien: »Der Laie (wird) als Gläubiger betrachtet, solange Nikolaus sich selbst als Kleriker betrachtet. Der Laie wird als Ungebildeter betrachtet, solange Nikolaus sich selbst als Gelehrter betrachtet« (353).
Zur »Theorie der religiösen Toleranz« meint er, die Frömmigkeit könne sich »aber erst in einer konkreten Religion wie dem Chris-tentum oder dem Buddhismus verwirklichen«, doch sei »eine ideale allgemeine Religion vorstellbar, die in der Schrift De pace fidei ›una fides orthodoxa‹ genannt ist«. Dabei seien die verschiedenen Religionen »untereinander gleichbedeutend und gleichwertig« (368). M. E. interpretiert Y. hier NvK falsch. Wenn NvK auch von der »una religio in varietate rituum« spricht (c. 2, n. 6), so heißt es doch wenig später, dass »die ganze Verschiedenheit der Religionen zu dem einen rechten Glauben (in unam fidem orthodoxam) geführt werden« (c. 3, n. 8). Und dieser eine orthodoxe Glaube ist – der Zu­sammenhang macht es deutlich – doch eben der christliche.
Es fällt auf, dass Y. kaum andere Forschungsliteratur heranzieht, dafür lässt er NvK selbst reichlich zu Wort kommen.
Manche Ausführungen wiederholen sich mehrfach; aber das ist bei Aufsatzsammlungen häufig der Fall. Leider sind einige Druckfehler stehen geblieben, aber sie sind leicht zu erkennen. Ein Verzeichnis der Orte der Erstpublikationen ist beigegeben, soweit die Aufsätze schon gedruckt vorliegen. Es fehlen aber Register. Das ist zu bedauern.
Mit diesem Band liegt ein sehr beachtlicher Beitrag zur Gedankenwelt von NvK vor. Es ist nach wie vor erstaunlich, wie diese auch in einer ganz anderen Umwelt als der von Cusanus aufgenommen und verarbeitet wird. Y. gehört zweifellos zu einem ihrer profilierten Kenner. Das dokumentiert der Band überzeugend.