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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1155–1156

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Roesner, Martina

Titel/Untertitel:

Logik des Ursprungs. Vernunft und Offenbarung bei Meister Eckhart.

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Karl Alber 2017. 228 S. Geb. EUR 29,00. ISBN 978-3-495-48939-0.

Rezensent:

Markus Vinzent

Diese eher schmale Monographie ist, wie Martina Roesner im Vorwort (13) angibt, aus zwei ihrer vom »Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung« (FWF, Österreich) finanzierten Projekte hervorgegangen, wobei es auch inhaltlich hilfreich gewesen wäre, deren Titel dem Leser nicht vorzuenthalten. Es handelt sich zum einen um das im Jahr 2012 bewilligte Projekt »Natural reason and revealed theology in Meister Eckhart« und das 2014 bewilligte Projekt »Der historisch-systematische Ort von Meister Eckharts lateinischen Bibelkommentaren«. Insgesamt wird deutlich, dass das frühere Projekt die Leitideen vorgab, an welche fortführende Überlegungen aus dem zweiten Projekt eher angedockt wurden. Dies ist insgesamt etwas zu bedauern, da, wie hier betont wird, gerade die Schrifthermeneutik einen besonderen Stellenwert in­nerhalb der Systematik von Eckharts Wissenschaftsansatz besitzt, wie bereits auch aus dem dritten Teil seines geplanten und vielleicht nie völlig ausgeführten Opus Tripartitum abzulesen ist, der der Exegese gewidmet war. Man hätte sich folglich gerne ein eigenes Kapitel zur Schrifthermeneutik gewünscht, auf das man nun allerdings mit Vorfreude als Ergebnis des zweiten Projekts hoffen darf.
Nachdem ich bereits mit kritischen Überlegungen begonnen habe, will ich gleich noch eine weitere anschließen, die sich aus dem Aufriss des Buches ergibt. Denn dieses ist nach einer Einleitung gegliedert in drei große Teile, einen ersten zu den »historischen Voraussetzungen von Meister Eckharts wissenschaftstheoretischem Entwurf« (27–72), einen zweiten zu den »systematischen Grundkoordinaten« seines »philosophisch-theologischen Denkansatz(es)« (73–112) und einen dritten zu seiner »Wissenschaftsarchitektonik« (113–199), gefolgt von einer Schlussbetrachtung und verschiedenen Registern. Während man im ersten Teil meist chronologisch in die wichtigsten Stationen der historischen Zuordnung von Philosophie und Theologie von der Antike bis zum wissenschaftstheoretischen Neuansatz im 13. Jh. eingeführt wird (Aver-roes ist erstaunlicherweise nur gestreift – erkennbar daran, dass er im Register keinen Fetteintrag hat), wird erstaunlich selten im zweiten und noch weniger im dritten Teil auf diese lange Einführung zurückgegriffen. Plotin etwa oder Thales von Milet, Heraklit, Anaximenes, Xenokrates, Chrysippus, Justin Martyr und Iamblich tauc hen etwa nicht mehr auf, Porphyrius und Proklos werden nur mehr kurz erwähnt, während neue Namen eingeführt werden (Alanus ab Insulis, Johannes Damascenus, Maimonides u. a.), die im ersten Kapitel unerwähnt blieben, und ein weiterer historischer Durchgang durch verschiedene Modelle der Transzendentalien folgt (78–103). Der zweite und noch stärker der dritte Teil wirken entsprechend wie eigene Traktate, die zum Teil zumindest des ersten Teiles hätten entbehren können. Die Teildisjunktion hängt wohl auch damit zusammen, dass trotz des ersten Teiles und den darin verhandelten »historischen Voraussetzungen« R. zu dem gut nachvollziehbaren Schluss gelangt, dass »Eckhart sich nicht einfach einer bestehenden philosophischen bzw. theologischen Schulrichtung zurechnen lässt, sondern […] ganz neue Wege beschreitet« (161).
Diese kritischen Vorbemerkungen sollen jedoch in keiner Weise das Verdienst der vorliegenden Monographie schmälern. Die wichtigsten Erträge liegen m. E. nicht im ersten, sondern im zweiten und dritten Teil.
Zunächst wird darauf verwiesen, dass Eckhart »das aristotelische Substanzmodell […] nicht einfach auf die Sphäre des Denkens und der methodisch-wissenschaftlichen Erkenntnis der Wirklichkeit« appliziert, sondern von einem »wesentlich vollzugshaften Charakter« ausgeht, das »Seinsart« und »Selbstverständnis des Er­kennenden« mit einbezieht (77), also von einer Akthaftigkeit und Performativität ausgeht, die dann im dritten Teil wieder aufgegriffen wird (118). Wenn dann auch auf den Unterschied zu Platon verwiesen wird, weil Eckhart »den grammatikalischen Tiefenstrukturen der konkreten Sprache eine philosophisch-metaphysische Be­deutung zumisst« (77), wäre ein Hinweis auf Parallelen und Unterschiede zu dem nicht erwähnten Erfurter Zeitgenossen Eckharts, dem Modisten Thomas von Erfurt, zu ergänzen, da beide eine Ontologie der Grammatik vertreten, mit der vor allem Thomas international durch seine »spekulative Grammatik« bekannt wurde, die aber nachweislich auch Eckhart tief geprägt hatte.
Im dritten Teil gelingt es, die »Architektonik« Eckharts herauszuarbeiten und seine Logik nicht nur als eine abstrakte Transzendental- oder Ursprungsphilosophie zu beschreiben, sondern dieses Prinzip als »lebendiger, produktiver Ursprung« zu kennzeichnen, das sich nicht im Sein, nicht einmal im Intellekt zeigt oder greifen lässt, sondern als »Ich« (insbesondere in der Schrift, Ex 3,14: »Ego sum qui sum«) vor Augen tritt, das aus sich heraus »in der gleichursprünglichen Erzeugung einer anderen Selbstheit (sich) zu verwirklichen vermag« (145). Dieser erneut grammatikorientierte An­satz (143) hat eminente Konsequenzen für die gesamte Wis-senschaftstheorie Eckharts, da durch dieses kreative Prinzip nun auch die aristotelische Kategorie der Relation von der »ontologisch schwächste[n] und unwesentlichste[n]« zum »grundlegende[n] Prinzip allen Selbstbewusstseins, aller Lebendigkeit und aller Produktivität und Fruchtbarkeit im Bereich des Seins wie der Erkenntnis« avancierte (146). Wichtig ist in diesem Zusammenhang die Bemerkung R.s, dass Eckhart hierbei Bonaventura näher steht als Thomas von Aquin (150), was vielleicht erklärt, warum Eckhart über den eigenen Orden hinaus auf Franziskaner und Mitglieder anderer Orden inspirierend gewirkt hatte. Eine weitere Konsequenz ergibt sich für die Relation von Philosophie, Theologie und aller anderen Wissenschaftsdisziplinen. Indem Eckhart das Prinzip als grundsätzlich kreativen Ursprung allen Disziplinen voranstellt und im göttlichen und in dem ihm univoken menschlichen Intellekt verankert, stellt er alle Disziplinen auf eine kommunikative, dynamische Ebene, schließt deren Hierarchisierung und Exklusivität aus und nimmt sie in die normativ-ethische Verantwortung für das von ihnen Geschaffene.
Auf diese Konsequenzen eines kommunikativ-dynamischen Wissenschaftsverständnisses hingewiesen zu haben, macht das vorliegende Werk in diesem Punkt wegweisend für die künftige Forschung, die über Philosophie und Theologie weit hinausführt.