Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1150–1152

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Horst, Ulrich

Titel/Untertitel:

Thomas von Aquin. Predigerbruder und Professor.

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017. 338 S. Kart. EUR 69,00. ISBN 978-3-506-78679-1.

Rezensent:

Volker Leppin

Diese Aufsatzsammlung stellt eine Art Summe der Forschungen dar, die der Dominikaner Ulrich Horst jahrzehntelang seinem großen Ordensbruder Thomas gewidmet hat. Der früheste Aufsatz stammt von 1974, die Veröffentlichungsjahre reichen bis 2010, ein Beitrag war bislang unpubliziert. Innerhalb des reichen Œuvres, das der langjährige Leiter des Münchner Grabmann-Instituts vorgelegt hat, war Thomas immer wieder ein ganz selbstverständlicher Bezugspunkt, dem er sich mit Sympathie, doch nicht unkritisch genähert hat.
Diese Zentralität des Thomas in seinen Forschungen zeigt sich auch daran, dass manche der Aufsätze nicht ausdrücklich Thomas im Titel führen, aber lange Passagen zu diesem bieten. Thematisch zeigen sich Schwerpunkte im Verhältnis des Thomas zu seinem Orden, im Armutsverständnis sowie in der Ekklesiologie. Wer die Arbeiten von H. kennt, weiß, dass ihn hier saubere Philologie gepaart mit einem wachen Bewusstsein für die Sozialgestalt der Kirche erwartet.
Der Eröffnungsaufsatz stellt die Frage, was Thomas veranlasst habe, in den Dominikanerorden einzutreten. Das ist bei einem scholastischen Theologen, dem an der eigenen Person nicht viel liegt, gar nicht so leicht zu beantworten, denn Thomas selbst sagt hierzu »nichts – wenigstens nicht direkt« (9). Es ist der Zusatz, der es H. ermöglicht, indirekt aus den Aussagen des Thomas über das Leben im traditionellen monastischen Zusammenhang oder eben bei den Mendikanten im Verbund mit sekundären Biographien zu erschließen, dass es tatsächlich das Motiv der Armut war, das Thomas zu den Dominikanern bewegte, und nicht, wenigstens nicht primär, so darf man mithören: die bekannte dominikanische Gelehrsamkeit. Das Gegenüber also ist die Benediktinerexistenz, die eigentlich mit der Oblation des fünf- oder sechsjährigen Thomas in Montecassino vorgeprägt schien.
Die Abgrenzung zu den Franziskanern spielt bei der Motivation des Ordenseintritts, wie H. sie schildert, also noch keine maßgebliche Rolle. Doch dienen die weiteren Aufsätze implizit wie explizit dazu, die Unterschiede zwischen den Armutskonzeptionen beider Orden zu profilieren. Diese zeigen sich schon darin, dass Thomas in aller Armut ein entspannteres Verhältnis zum Geld selbst hatte als die Franziskaner: Der loculus, über welchen einst Judas verfügte, galt ihm als Beleg für eine »Jüngerkasse« (55), die der Ernährung des Kreises um Jesus dienen sollte. Mit diesem Vergleich deutet sich an, dass das thomasische Ideal der Armut, so arbeitet es H. in dem einzigen englischsprachigen Beitrag des Bandes heraus, am Vorbild Christi orientiert war.
Es sind die ersten fünf Aufsätze des Bandes, die um dieses Thema der Armut kreisen – möglicherweise hätte man diesen von Re-dundanzen nicht ganz freien Abschnitt um einen Beitrag reduzieren können. Auf keinen Fall wegfallen dürfte allerdings der Aufsatz über »Evangelische Armut und Kirche« – in großen Studien hat H. sich mit dem Armutsstreit befasst und dabei neben der franziskanischen besonders die dominikanische Tradition gewürdigt, die oft im Schatten der ersteren steht: Konflikte mit dem Papst sichern mehr Aufmerksamkeit als die bedächtige Abwägung in einem papstnahen Umfeld. Der Aufsatz präsentiert diese Studien in nuce, vorwiegend anhand der Protagonisten Thomas und Bonaventura und mit dem unüberhörbaren Unterton, dass die Dominikaner als die Vertreter eines gemäßigten, lebbaren Armutsideals erscheinen, die Franziskaner hingegen zunehmend als Radikale. Das zeigt sich nicht zuletzt in der Zuordnung zum Papst, die nach H. in beiden Konzeptionen eine große Rolle spielt. Während der Papst aber für Thomas vor allem in der Hinsicht bedeutsam ist, dass er sich des lokal nicht gebundenen mendikantischen Ordensverbandes bedient, um die Ideen der Armut zu streuen, wird er für Bonaventura zum unhintergehbaren Angelpunkt, der die Armut der Franziskaner de jure ermöglicht, indem er sich selbst die Eigentumsrechte an deren Ordensbesitz zuschreibt.
Diese Ausführungen zeigen auch, dass die Armutsfrage in H.s Rekonstruktion unmittelbar mit der Papstfrage verbunden ist, die in den Aufsätzen 11, 13 und 14 maßgeblich behandelt wird. H. hebt Thomas hier von späteren Problemkonstellationen ab: Zwar ist der Papst für Thomas unzweifelhaft Inhaber der universalis praelatio wie der plenitudo potestatis (191). Eine Unfehlbarkeit aber lehrt der Aquinate, bezogen auf den Papst, nicht – so, wie er umgekehrt eine kollegiale Einbindung des Papstes, sei es in den Rat der Bischöfe, sei es ins Konzil, nicht thematisiert. Die Aufnahme entsprechender kanonistischer Konzepte in die Theologie war erst eine Sache der übernächsten Generation etwa eines Wilhelm von Ockham. Der Historiker H. zeigt sich hier auch als der engagierte Theologe, der Thomas ebenso einen »vereinfachten« Blick wie eine »undifferenzierte Sicht des Konzilsproblems« vorhält (199). Die dann doch erfolgte Differenzierung zeichnet er wieder historisch nach: In einem großen Aufsatz schildert H. den Umgang der spanischen Dominikanerscholastik des 16. Jh.s mit Fragen des Konzils und des Papstes. Eingehend würdigt er hier nicht allein die Herausforderungen durch den Konziliarismus, sondern auch die der Reformation, die das Koordinatennetz von Konzil und Papst durch das Schriftprinzip um eine Abwägung gegenüber der biblischen Autorität erweitert hat.
Das in der Armutsfrage zu beobachtende Bemühen von H. um eine Differenzierung zwischen dominikanischer und franziskanischer Theologie, das von einer selbstverständlichen Sympathie für den eigenen Orden begleitet ist, zeigt sich auch in einem der interessantesten Beiträge dieses Bandes: einem Aufsatz über theologische Positionen zur Zwangstaufe jüdischer Kinder (201–229), einst Werner Dettloff, dem Münchener Kollegen aus dem Franziskanerorden, gewidmet. Der Aufsatz ist so lesenswert, weil er ein ganzes Panorama unterschiedlicher Antworten ausbreitet – bis hin zu Gabriel Biel und dessen Wirkungen in das 16. Jh. Das Grundmuster aber wird durch Thomas einerseits, den Franziskaner Duns Scotus andererseits gebildet: Während Thomas selbst noch im Rahmen der servitus Iudaeorum den jüdischen Eltern grundsätzlich »Freiheit im strikt religiösen Bereich« zubilligt (205), begründet Duns aus der Verantwortung der Fürsten vor Gott deren Recht und sogar Pflicht, jüdische Kinder aus der Hoheit der Eltern zu nehmen und zu taufen.
Dieses Beispiel mag etwas von der großen Breite der Studien von H. erkennen lassen. Scholastik gehört heute zu jenen Bereichen der Geschichte des Christentums, in deren geringer Wertschätzung sich die katholische Forschung der evangelischen weitgehend angeschlossen hat. Ob dies eine ungewollte Folge der Ökumene ist oder auch etwas mit geänderten Bildungsvoraussetzungen auch im Hause der Theologie zu tun hat, mag dahingestellt bleiben. Dass es nicht daran liegt, dass man sich, wenn man sich auf die Scholastik einlässt, in einen Elfenbeinturm begäbe, machen die hier versammelten fünfzehn Aufsätze deutlich. Sie zeigen H. als einen jener Altmeister des Fachs, an denen die mittlere und jüngere Generation sich orientieren kann. Seinen dominikanischen Impetus verbirgt er nicht – warum sollte er auch? Stärker als dieser ist aber stets die Bereitschaft und Fähigkeit zur präzisen Lektüre und Argumentation.
Dieser Band enthält kaum einen Satz, der nicht durch eine Quelle belegt und so überprüfbar wäre. In ihrer Gesamtheit rufen die Studien in Erinnerung, wie wichtig ein genauer theologischer Blick auch und gerade dort bleibt, wo es um die gedankliche Durchdringung sozialer Phänomene geht. Mit der Zusammenstellung dieses Bandes hat H. sich und der theologischen Wissenschaft ein Geschenk gemacht.