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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1135–1137

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Matthes, Claudia

Titel/Untertitel:

Die Taufe auf den Tod Christi. Eine ritualwissenschaftliche Untersuchung zur christlichen Taufe dargestellt anhand der paulinischen Tauftexte.

Verlag:

Tübingen: Francke Narr Attempto 2017. 559 S. = NET – Neutestamentliche Entwürfe zur Theologie, 25. Kart. EUR 98,00. ISBN 978-3-7720-8635-9.

Rezensent:

Karl-Heinrich Ostmeyer

Die in Leipzig bei Jens Herzer entstandene Dissertation von Claudia Matthes verfolgt einen innovativen Ansatz zum Verständnis der Taufe bei Paulus. Ausgehend vom konkreten Taufritual fragt sie zurück nach den es ermöglichenden Inhalten und untersucht, welche Verständnisweisen der paulinischen Tauftexte sich aus den Tauf-/Tauchpraktiken und Wasserriten zur Zeit Jesu ableiten lassen. Zur Erklärung Letzterer zieht M. sachgemäß auch andere Texte des Neuen Testamentes und seiner Umwelt heran.
M. beschreibt zunächst Grundlagen der Ritualwissenschaften und setzt die neutestamentliche Exegese zu ihnen in Beziehung (16–51). Der mit »Begrifflichkeiten« überschriebene Folgeabschnitt konzentriert sich auf eine Erörterung der Herkunft und des Gebrauchs der Termini βάπτω / βαπτίζω und der beiden Taufformeln βαπτίζειν εἰς τὸ ὄνομα χριστοῦ und βαπτίζειν εἰς χριστόν (52–79).
Die Mitte der Studie bilden drei Hauptkapitel. In ihnen legt M. den Schwerpunkt ihrer Taufinterpretation auf ausgewählte Ausführungen des Paulus (so auch programmatisch im Untertitel). Weitere Taufaussagen des Neuen Testamentes (z. B. Apg 19,1–6; 1Petr 3,21) werden unterstützend mit einbezogen. Im ersten der Hauptkapitel nimmt M. die vier als zentral erachteten paulinischen Tauftexte in den Blick: Gal 3,23–29 (80–162); 1Kor 1,10–17 (162–173); 1Kor 12,12–20 (174–190) und Röm 6,1–11 (190–246).
M. benennt noch andere auf die Taufe beziehbare paulinische Texte wie die Taufe auf Mose (1Kor 10,1–6 [68 f.; vgl. 64 f.]) oder die Reinwaschung der Gemeindeglieder (1Kor 6,9–11 [528]), analysiert sie jedoch nicht im Detail unter ritualwissenschaftlichem Aspekt. So erscheint die »Taufe auf Mose« (68 f.) nur als kurzer Exkurs am Ende der begrifflichen Klärung der Taufe auf Christus (64–69) unter »Einzelaspekte« (66–69).
Die verschiedenen Exkurse finden sich nicht im Inhaltsverzeichnis (»1Kor 10,1–5« [68 f.]; »Position und Funktion[en] von Frauen in der hellenistischen Gesellschaft« [124–126]; »תו אוקמ – Miqvaoth« [256 f.]). Die in die Exegese von Gal 3,23–29 (80–162) eingebetteten Erörterungen zur Rolle der Frau zur Zeit Jesu (124–126) fußen u. a. auf den Angaben bei P. Billerbeck (1922 ff.) und A. Oepke im ThWbNT (1933). Sofern dieser Exkurs überhaupt erforderlich ist, wäre hier dringend aktuelle Literatur heranzuziehen gewesen. Rabbinische Quellen führt M. unkritisch nach P. Billerbeck an.
Das umfangreichste Kapitel der Monographie beschäftigt sich mit der »rituelle[n] Umwelt der christlichen Taufe« und setzt die verschiedenen Rituale zueinander in Beziehung (247–441). Wesentlich für die Studie als Ganze sind die Analyse der als Gerichtstaufe verstandenen Taufe Johannes des Täufers, des Ritus der Beschneidung und das Tauchbad der Proselyten. Eine Berücksichtigung der Untersuchungen des Rezensenten zu den genannten Punkten (Ostmeyer, Taufe und Typos, 2000) hätte Raum für Kürzungen eröffnet.
Das Kapitel über die »rituelle Umwelt der christlichen Taufe«, das sich an die Exegese der zentralen paulinischen Tauftexte anschließt, entgrenzt die Materialgrundlage: Der Sache angemessen geht M. zum Erklären der Wasserkonzeptionen auch auf frühe rabbinische Texte ein und behandelt zur Deutung Johannes des Täufers und seiner Taufe die Aussagen bei Josephus und in den Evangelien. Hier stellt sich dem Rezensenten die Frage, ob der ge­nannten Entgrenzung auf der einen Seite die programmatische Beschränkung auf ausgewählte paulinische Taufabschnitte ad­äquat ist. Denn am Ende der Untersuchung stehen Aussagen und Folgerungen zur Taufe allgemein (498–531), und die aus ritualwissenschaftlicher Perspektive gezogenen Schlussfolgerungen gelten für alle an die Taufe geknüpften Aussagen des Neuen Testamentes.
Im dritten Hauptkapitel (»V. Ritologische [Deutungs]Motive«, 442–497) systematisiert M. das bisher Präsentierte und fragt auf der Basis des Erarbeiteten nach übergreifenden theologischen Deutungen. Als entscheidendes Motiv hebt M. die Vernichtung der alten Existenz des Täuflings und den sich im Ritus vollziehenden Übergang in ein neues Leben hervor (442–474). Die Eingliederung in den einen Leib (474–482), die (Abrahams-)Kindschaft (482–487), die Befreiung (487 f.) etc. versteht M. als Variationen des Hauptmotivs (Tod – Leben).
In einer ausführlichen Zusammenfassung (498–531) folgert M. auf das Verständnis der christlichen Taufe insgesamt und deutet sie als »ein Initiationsritual der besonderen Art« (527–531).
Überzeugend plädiert M. dafür, dass der Aspekt des Abwaschens für Paulus keine Rolle spielt (511.527 f.). Stattdessen stehen für Paulus der Tod des Täuflings, das Mitsterben mit Christus und das neue Leben in Christus im Mittelpunkt. Es stellt sich die Frage, ob diese Taufdeutung in der Exklusivität, wie sie in der Arbeit stark gemacht wird, tatsächlich aus der Analyse des Ritus ableitbar ist, denn gerade ein Wasserritus beinhaltet als solcher auch das Moment der Waschung. Hier hätte ein Blick auf die im Ritus implizite Anthropologie weiterführen können. Waschung und Reinigung setzen ein reinigungswürdiges und reinigungsfähiges Objekt voraus. Demgegenüber folgt aus einem Verständnis von Taufe als Vernichtung und Tod, dass am Täufling nichts zu retten und zu reinigen ist, sondern dass er einer neuen Existenz bedarf. Wird der Mensch als grundsätzlich nicht reinigungsfähig angesehen, dann lassen sich auch Metaphern wie in 1Kor 6,11 oder Tit 3,5, die aus sich heraus für ein Verständnis als Ritus einer Waschung offen sind, nicht im Sinne einer bloßen Abwaschung missdeuten. Vor diesem Hintergrund werden die zu wiederholenden kultischen Selbstreinigungen auf jüdischer Seite und auf der anderen Seite die Taufe als ein sich bewusst davon abhebender, an einen Täufer gebundener einmaliger Ertränkungsakt plausibel.
Beachtenswert sind M.s Überlegungen zur Rolle der bei der Taufe anwesenden Gemeinde. In die Gemeinde als Leib wird der Täufling integriert. Daraus folgt, dass sich der Taufakt nicht nur auf den Täufling, sondern auch auf die Gemeinde existentiell auswirkt (519). Vor diesem Hintergrund fragt M. nach der Berechtigung einer Nottaufe ohne eine anwesende Gemeinde (517). Mit der pointierten Formulierung: »Wirklich alle werden in gleicher Weise einmalig getaucht« (523), erinnert M. an das »revolutionäre Element« (526) im Ritual der christlichen Taufe.
Verweise auf konkrete Seiten statt auf Kapitel und Abschnitte hätten das Auffinden von Bezügen erleichtert; etliche der in der Untersuchung erwähnten Quellen (darunter u. a. auch Philo und Josephus) sind im Literaturverzeichnis nicht aufgeführt; das Fehlen von Registern erschwert die gezielte Suche nach Themen oder Bibelstellen.
Mit ihrem Ansatz beim konkreten Taufritual nähert sich M. dem paulinischen Taufverständnis gleichsam von hinten. Auch wenn die Herangehensweise nicht zu grundsätzlich neuen Ergebnissen führt, ist doch das Erzielen bekannter Resultate auf einem anderen Weg für die Wissenschaft ein Gewinn. Alte Erkenntnisse werden neu abgesichert und erhärtet.