Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1128–1131

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Eskola, Timo

Titel/Untertitel:

A Narrative Theology of the New Testament. Exploring the Metanarrative of Exile and Restoration.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2015. XVIII, 477 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 350. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-154012-7.

Rezensent:

Eve-Marie Becker

Timo Eskolas »narrative Theologie« unternimmt den Versuch, unter Berücksichtigung neuerer methodischer Fragen besonders in den Literaturwissenschaften und hier speziell der Semiotik einen kohärenten Entwurf einer neutestamentlichen Theologie zu skizzieren und die ihr unterliegenden »metanarratives« freizulegen. Denn: »Theology is a matter of the content of the texts and, therefore, depends on the semiotic nature and narrative structure of the texts in question« (1). E., Privatdozent an der Universität in Helsinki, knüpft mit dem Thema seiner Monographie an die Methodik seiner zweiten Dissertation im Bereich der Kompara-tistik an (VII). Er sucht – mit einem Ausgangspunkt im »post-Bultmannian vein« (1) und den biblisch-theologisch geprägten Schultraditionen – einer eher durch Geschichtsdenken bestimmten Sicht auf den interpretativen Zugriff auf die neutestamentlichen Texte eine narrativ bestimmte, biblisch geleitete Konzeption entgegenzustellen (1 ff.). Wieweit allerdings ein wirklicher Gegen-satz zwischen »Geschichte« und »Narration« zu konstruieren ist, scheint mir fraglich – das wurde sowohl von Seiten der Narratologie als auch der Geschichtswissenschaften inzwischen ausgiebig dargestellt (vgl. auch 7 f.).
E. versteht, wie der Untertitel seiner Monographie bereits an­deutet, die Themen von Exil und Restauration als die entscheidenden »metanarratives«, die der neutestamentlichen Theologie, die er von der Verkündigung Jesu über Paulus zur »Jewish Christianity« nachvollzieht (Kapitel 5: 387–417), zugrunde liegen. E. will also sehen, wieweit sich eine »restoration eschatology in New Testament theology« (13) zeichnen lässt. In einem einleitenden Kapitel (»Introduction«, 1–15) stellt E. seinen Ansatz kurz vor (1–8) und de-fi niert die Erforschung von »theological themes« als »matter of semiotics« (5). In Anwendung von Peirces Zeichentheorie be­schreibt E. die Verwendung alttestamentlicher Motive und Traditionen bei neutestamentlichen Autoren als »process of significa-tion«, d. h. als »interplay between former signs and new significa-tions produced in their reception« (6). »Signification processes« wiederum führen zu »construction and use of meta-narratives« (7). In der vorliegenden Monographie untersucht E. das ihm zentral erscheinende »metanarrative […] of exile and restoration« (7), das er als »growing issue in New Testament theology today« identifiziert (ebd.). Bei der forschungsgeschichtlichen Einordnung seines Zu­griffes auf eine neutestamentliche Theologie knüpft E. besonders an die Arbeiten von Sanders und Wright (8–11) zur sogenannten »new perspective on Jesus« und deren Wirkung in der jüngsten Forschungsgeschichte an. E. erarbeitet gleichsam eine theologische Adaption des »Jesus Research« seit der new perspective, die nicht zuletzt auch die offenen Fragen der new perspective on Paul zu lösen beansprucht (422) – so etwa die Funktion der paulinischen nomos-Kritik (273 ff.). Im Ergebnis sucht E. zu belegen, dass die »Meyer-Sanders-Wright hypothesis concerning the significance of the metanarrative of ›exile and restoration‹ … on the right track« (419) ist. Gleichwohl nimmt E. im Laufe seiner Studie forschungsgeschichtliche »adjustments« vor, um die Mission Jesu präziser im sogenannten »Second Temple Judaism« verorten und den »gap be-tween Jesus’ teaching and early Christian soteriology« überwinden (419) zu können.
Im zweiten Kapitel des Buchs (16–188) wendet sich E. »Jesus’ message« unter gesamtbiblisch geprägten, eschatologisch orientierten Aspekten zu (z. B. »Exile and restoration«, »Son of David as a builder of an eschatological temple«, »A suffering Messiah: on Jesus’ identity«). Botschaft und Identität Jesu werden auch hier versuchsweise kohärent in das gesamtbiblische Narrativ der eschatologischen Restauration Israels eingezeichnet. Schon eingangs hatte E. festgehalten: »Jesus’ identity may be fruitfully studied from the standpoint of the restoration of Israel« (14). Im Lichte der »new perspective« diskutiert E. u.a. die Möglichkeit, dass der historische Jesus seinen Tod und Auferstehung antizipiert habe, insofern der Glaube »in restoration […] simultaneously, belief in the new crea-tion and resurrection« (188) war. Im dritten Kapitel (189–245) vollzieht E. den Übergang zu »The teaching of earliest Christianity« und damit zur »post-Easter theology« (189). E. verzichtet auf eine historische Rekonstruktion der Problemlage des sogenannten Ur­christentums und geht stattdessen von einer theologischen Hoffnungsbeschreibung aus: »Their hope […] was in the great metanarrative proclaiming the themes of God’s new creation, the building of an eschatological temple, and atonement for the fallen people« (189). E. greift hier vor allem sechs christologische Narrat ive heraus (215–232), mit Hilfe derer die frühchristliche Erhöhungschristo-logie fassbar werden soll – als neutestamentliche Textbasis dienen insbesondere die Apostelgeschichte, die Paulusbriefe und die synoptischen Evangelien. Den »natural birthplace for early Christo-logy« macht E. in der jüdischen Synagoge fest (232).
Im umfangreichsten vierten Kapitel »Paul the theologian« (246–386) beschreibt E. die paulinische Theologie im Lichte der Exils- und Restaurationsvorstellungen Israels. Paulus wird in programmatischer Kontinuität zu den eschatologischen Vorstellungen Jesu gesehen (251). E. deutet die paulinische nomos-Kritik als Strukturparallele zur Tempelkritik Jesu (253). Insgesamt schreibt E. Paulus »two kinds of traditional material in his teaching« zu: Paulus »continues Jesus’ preaching by making good use of restoration escha-tology«, und »he borrows kerygmatic material and confessional formulas from the preaching of the early Christian community« (273). E. stellt Paulus ganz in die Tradition jesuanischer Lehre: »the main theme in his teaching derives directly from Jesus’ teaching« (281). Die paulinische nomos-Kritik versteht E. vor dem Hintergrund der ministratio mortis (2Kor 3) und als Motiv, das sich aus der »exilic condition of human beings« speist (288). Die Rechtfertigungslehre des Paulus zeichnet E. in innerjüdische Theodizee-Diskurse ein (313 ff.). Auch hier geht es E. vor allem darum, die new perspective mit dem rechtfertigungstheologisch geprägten protestantischen Paulusverständnis ins Gespräch zu bringen (vgl. 336 ff.): Das Metanarrativ von »exile and restoration« dient einmal mehr als Deutungskategorie für das paulinische Christologoumenon von »justification by faith« (341). E. schließt seinen Durchgang durch die paulinische Theologie mit jeweils einem Kapitel zur »Christology of enthronement« (360 ff.) und »Gathering the new Israel« (373 ff.) ab.
Im fünften Kapitel (387–417) untersucht E. die Funktion der »restoration eschatology« im »Jewish Christianity«. Dabei greift E. besonders auf den Hebräerbrief (387 ff.), den Jakobusbrief (394 ff.), den 1. Petrusbrief (397 ff.), Teile der johanneischen Schriften (399 ff.) und die Johannesapokalypse (410 ff.) als Referenztexte zurück. In der Johannesoffenbarung sieht er »the great metanarrative […] brought to completion« (417) – bei dieser Beschreibung klingen nicht nur Überlegungen einer biblischen Theologie, sondern auch des canonical approach an. Das sechste Kapitel »Conclusion« (418–425) enthält resümierende und weiterführende Schlussfolgerungen im Blick auf die Konzeption einer neutestamentlichen Theologie. Bibliographie und ausführliches Register folgen (427–477).
Fazit: E. verfolgt den Ansatz einer neutestamentlichen Theologie, die nicht (primär) von dogmatischen loci geleitet ist (so auch 418). Sie erhebt, obgleich sie in der »restoration«-Theologie ein bib-lisches Kernnarrativ erkennt »that direct(s) theological thought« (ebd.), nicht den Anspruch eines exklusiven Deutungsansatzes. E.s Entwurf ist insofern bedenkens- und lobenswert, als er zum einen um eine synthetische Zusammenschau der Jesus- und Paulusforschung bemüht ist. Zum anderen sucht er, ein Gesamt-panorama, ja eine kohärente, narrativ basierte Deutung neutestamentlichen theologischen Denkens zu entwerfen, ohne bei Einzelschriften oder -texten oder exegetischen Einzelfragen stehen zu bleiben. Mit dem Anspruch der Kohärenz geht gleichwohl das kaum lösbare Dilemma der angemessenen Suche nach dem Fokussierungspunkt – klassisch dogmatisch gesprochen: der »Mitte der Schrift« – einher. Wieweit also kann das an die Botschaft Jesu gebundene Narrativ von »exile and restoration« letztlich wirklich reichen, um das im Neuen Testament versammelte, breit gefä-cherte theologische Denken zu beschreiben – eignet es sich etwa als Schlüssel zur Deutung der johanneischen Logos-Christologie (nicht thematisiert 399 ff.)? Wie passen die sogenannten Pastoralbriefe ins Bild?
Weitere Einzel- und Anschlussfragen seien erlaubt: So bleibt die konkrete Funktion der semiotischen Methode bei der Textinterpretation unklar – fungiert sie (lediglich) als (eher dehnbare) hermeneutische Denkvoraussetzung der Interpretation und tritt so faktisch an die Stelle dessen, was im historisch-kritischen Paradigma die motiv-, form- oder traditionskritische Analyse in der exegetischen Detailarbeit zu leisten beansprucht hat? Hier wäre eine deutlichere methodische und hermeneutische Positionierung E.s hilfreich. Schließlich: E. sucht ein umfassendes Panorama einer neutestamentlichen Theologie zu entwickeln, die sich letztlich als ein kohärentes Narrativ darstellt. So sehr sich theologisches Denken in den Kategorien von Narrativität vollzieht – eine Einsicht, die die systematische Theologie in jüngster Zeit in vielfältiger Weise aufgegriffen hat –, so sehr wird man doch auch weiter fragen müssen, welches Konzept und Verständnis von Theologie sich daraus am Ende ergibt. Lässt sich theologisches Argumentieren, das weite Teile der Paulusbriefe bestimmt und paradigmatisch für die frühchristliche Epistolographie werden wird, als Beitrag zu einem narrativ geprägten »signification process« hinreichend beschreiben? Über den Rahmen einer neutestamentlichen Theologie hinaus ist die zuletzt genannte Frage für das Selbstverständnis des Fachs »Theologie« konstitutiv, das nicht zuletzt durch den Rückbezug auf die Denkversuche des frühesten Christentums ja in entscheidender Weise seine eigene Identität herleitet und untersucht.