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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1126–1128

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Lass, Magdalena

Titel/Untertitel:

… zum Kampf mit Kraft umgürtet. Untersuchungen zu 2 Sam 22 unter gewalthermeneutischen Perspektiven.

Verlag:

Göttingen: Bonn University Press bei V & R unipress 2018. 410 S. m. 10 Abb. = Bonner Biblische Beiträge, 185. Geb. EUR 55,00. ISBN 978-3-8471-0816-0.

Rezensent:

Beat Weber

Die vorzustellende Studie von Magdalena Lass verbindet Überlegungen zu (modernen) Umgangsweisen und Deutungen von Gewalt mit der Erarbeitung von 2Sam 22 (// Ps 18), eines mit König David in Verbindung gebrachten »Gewalttextes«. Als Dissertation ist sie an der Katholischen Privat-Universität Linz angenommen und für die Drucklegung überarbeitet worden. Sie reiht sich ein in die am dortigen Institut für Bibelwissenschaften gepflegten Studien über Verbindungen von biblischen Texten mit neuzeitlichen Themen und Rezeptionen (vgl. Arbeiten von S. Gillmayr-Bucher und S. Eder).
Gerahmt von kurzen Eingangs- und Schlusskapiteln (Einleitung; Gewalt in der Heiligen Schrift; Zusammenschau und Schlussgedanken) sowie einer Bibliographie (Register fehlen leider) wird die Thematik in drei Hauptkapiteln erarbeitet. Im ersten geht es um textlich dargestellte Gewalt und ihre Hermeneutik. Die Vfn. konstatiert, dass man sich im gesellschaftlichen wie kirchlichen Um­feld schwer tut mit biblischen Gewalttexten, und diese (und teils das Alte Testament insgesamt) als unvereinbar mit dem »Gott der Liebe« angesehen wird. Dabei ist die Problematisierung weithin ein modernes (westliches) Phänomen. Sie setzt freilich schon in der alten Kirche bei Markion ein, wird in der Moderne aber erst mit den 1970er Jahren (Friedensbewegung u. a.) richtig virulent. Die Vfn. geht der neueren Forschungsgeschichte entlang und nennt wichtige Fragestellungen und Studien mit ihren Lösungsansätzen (G. Baumann, W. Dietric h/C. Link, O. Fuchs, S. Krahe, B. Obermayer, J. Schnocks u. a.). Gegenüber der »Skandalisierung« von Gewalt findet sich in neusten Studien eine größere Zurückhaltung und Differenziertheit. Im Anschluss daran nimmt die Vfn. im Blick auf die Gewalt in der Bibel Differenzierungen (göttliche/menschliche Ge­walt; rettend, strafend, lehrend etc.) und Kategorisierungen (Formen/Umgangsweisen/Deutungen) vor. Die diversen Einstellungen werden überführt in zwei »Hermeneutikbäume«, in denen die verschiedenen Positionen zur göttlichen bzw. menschlichen Gewalt schematisch dargeboten, erörtert sowie teils bewertet werden. Die Vfn. selbst vertritt eine »neutrale« Betrachtung der Gewalt und sieht ihre Hermeneutik als »Ermutigung zur Lebensbewältigung« (119). Das Problem der Gewalt liege nicht bei den Texten, sondern bei uns Menschen und unserer Auslegung dieser Texte. »Es ist die Hermeneutik, die zu Gewaltlegitimation und Gewaltmissbrauch führen kann.« (120)
Im zweiten Hauptkapitel werden Perspektiven aus den Humanwissenschaften zur Gewalt sondiert, zusammengestellt und diskutiert. Der erste Abschnitt orientiert über Bemühungen, Gewalt zu definieren und zu kategorisieren (Arten, Motive, Rechtfertigungen). Der zweite sichtet soziologische Untersuchungen zur Ge-walt und ihrer Entstehung. Zu den »klassischen« Ansätzen gehö-ren Katharsisthese, Frustrations-Aggressions-Theorie, Ärger-Ag­gressions-Theorie, Nachahmungsthese, Scham-und-Schuld-These (Selbstwertgefühl), »Kick«-Phänomen (Nervenkitzel) und Stimulustheorie. Demgegenüber legen neue Ansätze der Gewaltforschung ihr Augenmerk verstärkt auf die Gewalt als solche und fragen nach dem »Wie« der Verletzung und des Leidens, aber auch nach dem »Sinn« der Gewalt. Trutz von Trotha definiert zehn wichtige Tatsachen der Gewalt. Auch die Vorstellungen von Zeit, Raum, Körper, Identität und Produktivität werden einbezogen. Die letzten beiden Abschnitte widmen sich der Rolle von (gewalthaltigen) Medien, zunächst bei der Entstehung von Gewalt, danach im Zu­sammenhang der Lebensbewältigung. Die Vfn. streicht die Bedeutung der Unterscheidung zwischen Realität und Fiktion heraus, die sie dann auch zur Einstufung des biblisch-lyrischen Ge­betstextes als »fiktiv« führt. Im Zusammenhang mit der Lebensbewältigung werden (positive Strategien im Umgang mit) Gewalt in Märchen und Fantasy-Literatur sowie in Spielen erörtert.
Der dritte Hauptteil beginnt mit der exegetisch-theologischen Text- und Gewaltanalyse zum königlich-davidischen Dankgebet in 2Sam 22, wobei die Parallelfassung von Ps 18 mitbedacht wird (209). Nach der Übersetzung folgen in einem ersten Teil Erörterungen zu Datierung (unsicher), Textgestalt (einheitlich), Doppelüberlieferung (Abhängigkeitsrichtung offen gelassen), Kontexten in Samuelbüchern (im Zentrum der Schlusskomposition 2Sam 21–24) und Psalter (in Gruppe Ps 15–24, erster Königspsalm nach Ps 2). Danach werden poetische Stilmittel und ihre Wirkung sowie Kontexte und Vernetzungen dieses Davids-Stücks aufgezeigt (mit David, Hanna, Mose und Jakob verbundene Texte).
Was die vom Forschungsinteresse beeinflusste Gliederung von 2Sam 22 betrifft, geht die Vfn. von drei, in einem Rahmen (V. 1–7|47–51) eingelagerten Hauptteilen (zu 13 Versen) aus, die sich – außer im Zentrum (V. 21–33) in Subeinheiten von zehn bzw. drei Versen untergliedern (V. 8–17.18–20|34–43.44–46) und insgesamt nach dem Schema ABCA’B’ arrangiert sind: Die Abschnitte A/B zeichnen Gott als Krieger, im Zentrum (C) steht eine Reflexion über Gerechtigkeit und Rechtfertigung von gewaltsamem Eingreifen und A’/B’ zeichnen den Menschen (David) als Krieger. Der nächste Teil (rund 70 Seiten) geht den 51 (übersetzten) Versen entlang und bietet eine Detailexegese mit besonderem Fokus auf die Gewaltthematik (die Monographie zur Metaphorik von Ps 18 von A. R. Gray wird stark rezipiert).
Im letzten Teil dieses Hauptkapitels wird der exegetisch-theologische Ertrag mit human- und sozialwissenschaftlichen Zugängen vermittelt. Die Gewalt-Aussagen werden anhand von sieben »W«-Fragen aufgeschlüsselt, Subjekte und Objekte der Gewalt erfasst, kommunikative und handelnde Körperbegriffe erörtert und der Handlungsverlauf (Verben) nachgezeichnet. Es folgen Raum- und Zeitvorstellungen und Rechtfertigungsstrategien der menschlichen und göttlichen Gewalt. Daran schließen sich Überlegungen zu göttlicher und menschlicher Gewalt (Gottes- und Menschen-bilder) sowie das Zusammenwirken der beiden Ebenen an. Den Schluss machen psychologische Ansätze im Umgang mit dem biblischen Gewalttext mit den Stichworten: Spieltheorie, Märchen, Realität/Fiktion, Hermeneutik.
Die Monographie reiht sich ein in Studien über biblische Ge­waltaussagen mit dem Bemühen des Übersetzens über einen großen Zeit- und Kultur-»Graben« hinweg. Im Rahmen ihrer bi­belwissenschaftlichen Qualifikationsarbeit leistet die Vfn. Bewundernswertes: Sie bietet nicht nur eine eingehende Untersuchung zu einem biblischen »Gewalttext«, sondern sondiert in breitem Um­fang zugleich human- und sozialwissenschaftliche Studien nach Einsichten und Strategien im Blick auf Deutung und Um­gang mit Gewalt im Allgemeinen und in Bibeltexten. Es ge­lingt ihr, zwei unterschiedliche Forschungsgebiete miteinander ins Ge­spräch zu bringen. Dazwischen und im Zentrum der Studie steht die Frage der Übersetzung, der Hermeneutik. Geerdet an einem konkreten Bibeltext, bringt sie in einer herausfordernden, aber im Blick auf die Unterschiedlichkeit der Zeiten und Beurteilungen zugleich als »klassisch« geltenden Thematik neue Sichtweisen ins Spiel. Offen, unaufgeregt und kaum mit moralischem Zeigefinger– außer der mehrfachen, vehementen Ablehnung einer Nachahmungshermeneutik – nimmt sie sich der Fragestellung an, und es gelingt ihr, auch Positives in der Gewaltthematik zu akzentuieren. Bei einem derart großen Ausgriff ist es naheliegend, dass nicht alles gleich fundiert und einsichtig ist. Einige Hinweise seien angefügt, wobei sich der Rezensent (angesichts seiner beschränkten Expertise) auf den biblischen und hermeneutischen Bereich be­schränkt. Hilfreich ist die Differenzierung zwischen göttlicher und menschlicher Ge­walt. Dabei sagt die Vfn. zu Recht, dass die göttliche Gewalt in aller Regel das größere hermeneutische Problem darstellt. Sie konstatiert, dass in 2Sam 22 der Mensch gewalttätiger als Gott erscheine.
Das mag sein, allerdings hat der gesalbte König – jedenfalls in altorientalisch-alttestamentlichem Kontext – eine Sonderstellung inne, gleichsam zwischen Gott und dem Volk (vgl. Ps 2). Der Königspsalm ist daher für ein gewalthermeneutisches Beurteilungsschema göttlich/menschlich nur bedingt tauglich. Beim Hermeneutikbaum »göttliche Gewalt« scheint mir die der Verästelung zugrundeliegende ontologisch gestellte Ausgangsfrage »Ist Gott nur gut?« unangemessen (»gut« und »gewalttätig« sind auch nicht die rechten Gegensatzbegriffe). Wer soll dies nach welchem Maßstab beurteilen? Eher noch könnte man fragen: Ist Gottes Gewalthandeln als »gut« (gerechtfertigt, angemessen) zu beurteilen? Zum Schluss schreibt die Vfn.: »Der hohe Humanitätsstandard war in früherer Zeit so noch nicht tragend gewesen, und darum wurde m. E. die biblische Gewalt nicht als drängendes Problem wahrgenommen.« (32)
Dem zweiten Teil kann man beipflichten, beim ersten bleiben Fragen. Dass der Hermeneutik eine derart entscheidende Rolle zugewiesen und ihren je unterschiedlichen Vertreterinnen und Vertretern eine justiziable Funktion zugestanden wird (oder auch nicht), hängt am anthropologischen Einstichpunkt allen Denkens und Beurteilens in der (Post-)Moderne: Auch Gott hat sich und sein Handeln vor der Instanz menschlich selbstkonstruierter »Humanität« zu verantworten. Aus biblisch-reformatorischer bzw. offenbarungstheologischer Sicht stellt sich der Sachverhalt umgekehrt dar (und der »Hermeneutik« wird nicht der große Stellenwert eingeräumt): Die Heilige Schrift beurteilt unser (Gewalt-)Handeln. Ob das nicht mehr »vermittelbar« ist? Einige Gedanken in diese Richtung hätte man sich gewünscht.
Gleichwohl: Die Monographie der Vfn. ist ertragreich, verdienstvoll und aufgrund der Vielfalt von Einsichten und Überlegungen allen zu empfehlen, die sich mit dem Thema »Gewalt und Bibel« auseinanderzusetzen haben.