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Ausgabe:

November/2018

Spalte:

1124–1126

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hildebrandt, Samuel

Titel/Untertitel:

Interpreting Quoted Speech in Prophetic Literature. A Study of Jeremiah 2.1–3.5.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XV, 242 S. = Vetus Testamentum. Supplements, 176. Geb. EUR 97,00. ISBN 978-90-04-35172-1.

Rezensent:

Georg Fischer

Zitate fassen in prägnanter Weise Haltungen und Einstellungen der jeweiligen Sprecher. Ihnen kommt deswegen eine besondere Bedeutung zu. Dies lässt sich auch in allen Bereichen der Bibel beobachten, angefangen von der Tora mit den allerersten Zitaten in Gen 3,1.3 über die Prophetie, z. B. in den Disputationsworten Ezechiels (Ez 12,27; 18,19.25.29 …, s. dazu die Arbeit von Alban Rüttenauer, »Und ihr wollt das Land besitzen?« [Ez 33,25]. Ezechiels Umgang mit repräsentativen Redensarten, FzB 123, Würzburg 2011), bis zu den Schriften, wofür Psalm 2 mit den drei Zitaten in den Versen 3.6.7b–9 ein Beispiel sein mag.
Dieses Phänomen ist bisher nur wenig systematisch untersucht worden. Die Dissertation von Samuel Hildebrandt, unter der Be­treuung von David Reimer in Edinburgh geschrieben, begegnet diesem Manko auf mehreren Ebenen. Der Haupttitel gibt das Grundthema an, der Untertitel den dafür ausgewählten speziellen Textbereich am Beginn der Poesie im Jeremiabuch. Eine kurze Einleitung (1–6) erhellt die Bedeutung des Themas: Innerhalb der (Schrift-)Prophetie finden sich fast 300 Fälle zitierter Rede, wobei der Schwerpunkt mit 130 Belegen auf Jeremia liegt. Der zur Untersuchung ausgewählte Text, Jer 2,1–3,5, enthält mit zwölf solchen Zitaten die höchste Dichte und erweist sich von daher als sehr geeignet. Bisherige Studien fokussierten sich dabei oft auf die Frage der Echtheit dieser Äußerungen und beachteten den Zusammenhang der Zitate kaum, wie H. im ersten Kapitel, einem kurzen Abriss der Forschungsgeschichte, aufweist. Er dagegen geht intensiv ihren Verbindungen mit der Textumgebung nach (in seiner Terminologie: »frame« für den Kontext, und »inset« für die Zitate).
Das zweite Kapitel legt die methodischen und interpretativen Grundlagen dar (26–59). Dabei treten neben der Dynamik der Zitate Fragen ihrer Funktion, der Kommunikation und der Identifizierung hervor. Spezialthemen, wie z. B. die Unterscheidung zwischen zitierter Rede und poetischer Stimme, erhalten eine Sonderbehandlung in Exkursen (53; später auch Jerusalem als weiblich Angeredete JHWHs, 76–79). Ausgewogen ist die Präsentation der heiklen Diskussion zum Text von Jeremia; hier kommen beide Hauptpositionen zur Sprache, und die Entscheidung fällt dahingehend, sich in der Untersuchung vorwiegend an MT zu orientieren (56–58).
Abgrenzung, Übersetzung und Gliederung bilden die Inhalte des dritten Kapitels (60–88). Die Entscheidung, über das Ende von Jer 2 hinaus auch 3,1–5 einzubeziehen, wird mit deren interner Kohärenz und dem Neueinsatz in 3,6 begründet (63) – allerdings bringt 3,1–5 mit dem Stichwort בושׁ ein neues Thema ein, das bis Jer 4 hineinzieht und von daher eine alternative Abteilung zwischen 2,37 und 3,1 erlaubt. Die Übersetzung ist sehr feinfühlig bezüglich der Eigenheiten des Textes und erfolgt in reichlicher Auseinandersetzung mit den in der Sekundärliteratur vertretenen Positionen. Für die Wiedergabe von שׁאונ in 2,25 als »Forget it!« wäre aber eine Begründung angebracht. Die vorgeschlagene Struktur (86) mit den sechs Einheiten 2,1–3.4–13.14–25.26–32.33–37 und 3,1–5 und mehreren Untereinheiten zwischen 2,4 und 2,32 entspricht gut den Akzenten des Textes und dient als Grundlage für die Unterteilung der folgenden Kapitel vier bis acht, die sich jeweils den zu findenden Zitaten in den Einheiten ab 2,4 widmen.
In diesen Hauptteilen der Arbeit bespricht H. sehr ausführlich die zitierten Äußerungen, charakterisiert sie bezüglich ihrer Eigenart – z. B. die »irrealis insets« in 2,6.8 (92.97), der Wechselwirkung mit ihren Umgebungen, den nahestehenden Metaphern (so in 2,21–25), den darin sich zeigenden Themen (»Verbrechen und Schande« in 2,26) usw. Am Ende, manchmal sogar zwischendurch (132), finden sich Zusammenfassungen, wie auch am Schluss des Buches (212–214), wobei Kapitel neun bereits zuvor noch einmal die Ergebnisse für Jer 2,1–3,5 bündelt und einen Blick darüber hinaus wirft, der entsprechend dem Haupttitel die Relevanz für weitere Bereiche andeutet (200–211). Darin geht H. auf das gesamte Jeremiabuch ein, besonders Jer 16,19–21, und zeigt, ganz kurz, noch Parallelen zu anderen Schriftpropheten auf. Drei Verzeichnisse, zu Autoren (allerdings unvollständig), Bibelstellen und Sachen, runden die Arbeit ab.
Als Ertrag dieser Studie ist offensichtlich, dass die Zitate in Jer 2,1–3,5 integraler Bestandteil des Textes sind und mit ihrer Umgebung interagieren. Sie üben damit spezielle Funktionen aus und tragen wesentlich zur Dynamik bei. Ihre Platzierung erscheint in allen Fällen mit Bedacht gewählt. Diese Resultate sind auch, wie an einigen weiteren Beispielen gezeigt, auf andere prophetische Literatur übertragbar. Hier bietet sich ein offenes Feld für anschließende Studien mit derselben Ausrichtung an. Dies zeigt sich u. a. am knappen Hinweis auf Jer 14,20, das als »model confession« vorgestellt wird (209, Anm. 8); diese wird aber, wie aus dem folgenden Kontext (Jer 15,1) ersichtlich, von Gott keinesfalls so aufgefasst. Gelegentliche kleine Fehler (z. B. der Artikel von McKane in der Festschrift Cazelles, und nicht »Conzelles«, 184, Anm. 19) vermögen den Wert dieser Arbeit nicht zu schmälern. Sie weist einen Weg für zukünftige Untersuchungen im Bereich der Prophetie.