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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1087–1089

Kategorie:

Interkulturelle Theologie, Missionswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Köller, Andreas

Titel/Untertitel:

Mission in neuer Mission? Die Basler Mission in Indien vor den Herausforderungen von Dekolonisation und Ökumene, 1947–1972.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 299 S. m. 2 Ktn. = Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, 245. Lw. EUR 65,00. ISBN 978-3-525-10152-0.

Rezensent:

Heinrich Balz

Das Spiel mit den unterschiedlichen Bedeutungen von »Mission« ist nicht nur unter Theologen üblich. Auch Profanhistoriker können sich wie in diesem Titel darauf einlassen. Das hinzugefügte Fragezeichen freilich ist nicht ganz ernst: Andreas Köller ist überzeugt, dass die tiefere Bewegung hin zu neuer Mission im Gange ist und trotz mancher Widerstände ihr Ziel auch überwiegend schon erreicht hat. »Mission« im alten Sinne meint konkrete Institutionen; auf dem Einband ist das Stammhaus der Basler Mission abgebildet. Um sie geht es, sie ist bei aller Wandlung und Namensänderung auch nach dem Zweiten Weltkrieg und bis zur 1972 abgeschlossenen vollen rechtlichen Autonomie der Church of South India dieselbe geblieben. Zum Gegenstand der Forschung wird sie als ein Stück europäischer Geschichte, das heißt, dass die außereuropäischen Akteure der indischen Kirchengeschichte zwar einbezogen sind, aber nicht das eigentliche Frageinteresse bestimmen. Die Beschränkung auf Indien und auf einen begrenzten Zeitraum macht die Untersuchung zur »Fallstudie«. Sie erlaubt K., tief ins Detail zu gehen, sie führt ihn aber am Ende auch zu vorsichtigen Thesen über die Veränderung »protestantischer Mission« allgemein. Gleichläufige und vergleichbare Wandlungen in der katholischen Mission vor und nach dem Vaticanum II finden dagegen, außer in wenigen knappen Fußnoten, keine Erwähnung, was verwundert, da K. sich selbst als Katholik zu erkennen gibt.
Die geschichtliche Untersuchung fächert ihr Thema nach sachlichen Gesichtspunkten auf. Kapitel III beschreibt die Antwort der Basler Missionare auf die Dekolonisation, d. h. auf Indiens politische Unabhängigkeit 1947. Insgesamt arrangiert man sich, auch mit den neuen Restriktionen der Missionsarbeit. Strittig bleibt jedoch die in der Verfassung des säkularen Staats garantierte Toleranz für alle Religionen: Für die Missionare bedeutet sie die Freiheit auch zum Religionswechsel, zu Konversion, für die an Bedeutung wachsende Hindu-Partei dagegen bedeutet sie die strenge Bestandwahrung aller religiösen Zugehörigkeiten. Kapitel IV handelt von Mission und Entwicklungshilfe: Wesentliches verschiebt sich von der religiösen hin zur Sozialarbeit. Dennoch kann die Basler Mission nicht, wie von konservativen und evangelikalen Kritikern in Europa beargwöhnt, als »säkularisiert« verstanden werden: Der re­ligiöse Antrieb bleibt, angebotenen staatlichen Hilfen aus Europa für ihre Arbeit verweigert sie sich. Bei der neuen Selbständigkeit der aus der Mission hervorgegangenen indischen Kirchen widerstreiten sich auf Seiten der Missionare nach Kapitel V »Paternalismus und Übertragungswille«: die Selbständigkeit ist in der Missionstheorie seit Langem als Ziel festgelegt, aber unterschiedliche Motive und menschliche Bedürfnisse nicht nur bei den Missionaren, sondern auch bei indischen kirchlichen Gruppen, lassen etliches noch lange beim Status quo beharren.
Kapitel VI behandelt dieselben Fragen unter dem Blickpunkt der ökumenischen Herausforderung, das heißt der Integration in die 1947 aus vielen protestantischen Kirchen in Indien gebildete Unionskirche der Church of South India, welcher von den drei Basler Missionskirchen zwei erst mit Verzögerung beitreten. K. unterscheidet im Basler Erbe »kirchenferne« und »kirchennahe« Traditionen. Aber auch die kirchennahe Gruppe, die sich schließlich durchsetzt, hat erhebliche Probleme besonders mit dem anglikanischen Verständnis des Bischofsamtes, welches in der Union das presbyterianische Erbe zu überfremden droht. Besonders lebhaft entwickelt sich dies bei Missionar Richard Lipp, der selber Bischof der CSI wird, das Amt aber auf seine eigene nicht anglikanische Weise ausgestaltet. Kapitel VII schließlich wendet sich der Basler Mission in der gelebten Union der Church of South India zu: Das überkonfessionelle Denken und Verhalten setzt sich unaufhaltsam durch, nur wenige Missionare, Basler und auch andere, verlassen der Kirchenunion wegen Indien. Ein ausgeglichen versöhnter Zustand der Kirche scheint erreicht, freilich mehr auf pragmatisch-organisatorischer Ebene als in Fragen der Theologie und des Be­kenntnisses.
Anregend und weiterführend ist K.s Untersuchung vor allem darin, dass sie mit einem Minimum an Theologie einen verfremdenden Blick wirft auf Wandlungsprozesse, die in der Missionswissenschaft seit Langem und ausführlich verhandelt werden. K. weist in Kapitel II, an den englischen Historiker J. Cox angelehnt, auf drei Meisternarrative in der allgemeinen und besonderen Missionsgeschichtsschreibung für die Zeit seit 1945 hin: Mission verliert im Zuge der Säkularisierung ihre Bedeutung; sie schafft eine ökumenische globale Glaubensgemeinschaft; oder sie hört als eurozentrisch destruktive Aktivität – so von den Historikern in den neuen außereuropäischen Kirchen gesehen – endlich auf. Alle diese Sichten haben für K. ihre Teilwahrheit, aber keine wird der komplexen Wirklichkeit gerecht. Dies darum nicht, weil Identität und Selbstverständnis der Mission in der Geschichte immer »fluid« waren und jeweils erst unter den Herausforderungen der Situation Gestalt annahmen, wofür die Philosophie von G. H. Meads und H. Bhabbas Lehre von den Zwischenräumen in Anspruch genommen werden (Kapitel I). »Aushandeln« ist für diesen Vorgang ein Leit- und Lieblingswort der Untersuchung.
Der eigentlich forschende Blick geht darum nicht auf die Vertreter der selbständig werdenden Kirche, sondern auf die europäischen Missionare, die diesen Wandel in Indien vor Ort mitgestalten, vor allem aber zu ertragen und zu verkraften haben: ihren eigenen Macht- und Bedeutungsverlust, vielfältige Missverständnisse, Anfeindungen und Instrumentalisierungen für innerindisch konfligierende Interessen, und hinter dem allen das Aufgeben alter Gewissheiten, um das neue Überkonfessionelle wirklich zu wollen. Nur so wird aus der alten neue Mission. Mit viel konkretem Detail, auch etwa zur gespaltenen Loyalität der Basler Zentrale und der indischen Kirchenleitung gegenüber, wird dies eingehend an den bestimmenden Gestalten Jacques Rossel (1915–2008) und Richard Lipp (1908–1994) aufgewiesen.
Am Ende haben sich alle bedeutsamen Basler Missionare in der Sicht K.s aus innerer Überzeugung der überkonfessionellen Union der CSI zugewandt. In Zweifel lässt sich gegen K. freilich ziehen, ob sie erst die unmittelbare Situationserfahrung dazu bewegt hat – hier stößt auch die »Fallstudie« an ihre Grenze: Die Basler Mission war schon von ihren Anfängen her ökumenisch und hat fast immer die erstrebte größere Einheit über das fixierte Bekenntnis gestellt. Den Kontrast dazu hätte man in Bekenntnismissionen wie der Leipziger suchen müssen, die lutherische Kirchen auch in Asien und Afrika ins Leben gerufen hat. Fragen und Zweifel sind auch an der Zeitbegrenzung der Untersuchung möglich: Sie lässt die 1972 erreichte Übergabe aller Aktivitäten von der Mission an die CSI wie ein positiv erreichtes Ziel erscheinen, das weitere tiefe Krisen im Verhältnis zwischen der indischen Kirche und den alten europäischen Partner-Missionen auszuschließen scheint. Dem ist aber, etwa in der Erfahrung europäischer Mitarbeiter in der indischen Kirche, nicht in allem so.