Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1083–1084

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Kunz, Ralph [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Seelsorge. Grundlagen – Handlungsfelder – Dimensionen.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2016. 215 S. = Elementar, 4. Kart. EUR 28,00. ISBN 978-3-525-62013-7.

Rezensent:

Andrea Bieler

Der in der Reihe ELEMENTAR erschienene Band zum Thema Seelsorge bietet eine anregende und zugleich solide Orientierung im Feld der Poimenik, die sich sowohl an Studierende als auch an Berufsanfängerinnen und -anfänger richtet. Das Spezifikum dieses Bandes besteht darin, dass das Thema der Seelsorge auf die Gemeinde fokussiert wird; entsprechend werden klassische Seelsorgefelder wie die Spital- oder die Gefängnisseelsorge nicht weiter berücksichtigt.
Der Herausgeber folgt mit dieser Konzentration einem grundlegenden Impuls eines evangelischen Seelsorgeverständnisses, das die mündigen Gemeindemitglieder als religiöse Subjekte ernst nimmt, die sowohl der Seelsorge bedürfen als auch in Prozesse gegenseitiger Fürsorge involviert sind. Dieses an Schleiermacher und Nitzsch ausgerichtete Verständnis stellt m. E. eine zukunftsweisende Ausrichtung dar. Dies soll selbstverständlich keine Ab­wertung derjenigen Seelsorgelehren bedeuten, die sich spezifischen Institutionen zuwenden, wohl aber über den Rahmen hinausweisen, in dem Seelsorge unter vier Augen geschieht und eine Pfarrperson bzw. professionell ausgebildete Seelsorgerin anwesend ist.
Der Band ist in drei größere Abschnitte untergliedert. Im ersten Teil werden Grundlagen der Seelsorge beschrieben. Wolfgang Drechsel reflektiert den Zusammenhang von Seelsorgelernen und theoretischen Konzepten der Seelsorge. Michael Meyer-Blanck entwickelt Überlegungen zu einer Theologie der Seelsorge, die sich als Unterscheidungslehre versteht, die insbesondere in der Reflexion von Grenzerfahrungen relevant ist. Isabel Noths Beitrag befasst sich mit dem Verhältnis von Seelsorge und Psychoanalyse anhand des Austauschs zwischen dem Zürcher Pfarrer Oskar Pfister und Sigmund Freud. Dieses historische Beispiel zeigt, wie fruchtbar der Dialog zwischen diesen beiden Welten sein kann.
Der zweite Teil wendet sich dann der Seelsorge in den Handlungsfeldern der Gemeinde zu. Eberhard Hauschildt reflektiert partizipative Ansätze der gegenseitigen Fürsorge, wie sie sich in Besuchsgruppen oder Nachbarschaftshilfen zeigen. Es folgen Beiträge zu Kindern und Jugendlichen (Bernd Beuscher), zur Arbeit im Alten- und Pflegeheim (Ralph Kunz), zur Seelsorge an Trauernden (Kerstin Lammer) und Sterbenden und ihren Angehörigen (Traugott Roser). Darüber hinaus wird die poimenische Dimension der Kasualpraxis in den Blick genommen (Dörte Gebhard). Gesellschaftliche Entwicklungen, die einen Einfluss auf seelsorgliches Handeln haben, kommen exemplarisch in dem Beitrag von Ilona Nord zur Sprache, die die Seelsorgelandschaft in sozialen Medien untersucht.
Nach dem Abschreiten verschiedener Handlungsfelder wird im dritten Teil nach den Dimensionen gemeindlichen Handelns gefragt, insbesondere im Hinblick auf die Predigt und den Gottesdienst (Christan Möller) und in der geistlichen Begleitung (Corinna Dahlgrün). Der Abschnitt wird abgerundet durch eine Reflexion Christoph Morgenthalers, der den Perspektivwechsel noch einmal grundlegend reflektiert und nach Seelsorge als Kompetenz der Ge­meinde fragt.
Der Band ist eine äußerst gelungene Einführung in die Seelsorgelehre. Dass jedoch bei der Schwerpunktsetzung bestimmte Themen nicht diskutiert werden, liegt auf der Hand. Neben der Institutionenperspektive fehlen m. E. weitere Dimensionen, wie z. B. die Interkulturalität und das Migrationsthema, die in vielen Gemeinden vitale Gestaltungszusammenhänge beinhalten. Viele Beiträge bieten in konzentrierter Form eine instruktive Einführung in die behandelten Fragestellungen. Viele Texte lassen sich gut in Seminaren zur Seelsorgelehre einsetzen. Sie sind gesprächsgenerierend, da sie in der Spannung von Praxisbeispielen, deren Interpretation sowie der Beschreibung signifikanter Theoriezusammenhänge sehr schön in die Praxis poimenischer Reflexion einführen.