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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1077–1078

Kategorie:

Praktische Theologie

Autor/Hrsg.:

Bachert, Robert

Titel/Untertitel:

Diakonischer Corporate Governance Kodex. Ein wertebasiertes Führungsinstrument in unternehmensethischer Reflexion.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 472 S. = Veröffentlichungen des Diakoniewissenschaftlichen Instituts an der Universität Heidelberg, 56. Kart. EUR 44,00. ISBN 978-3-374-04749-9.

Rezensent:

Dierk Starnitzke

In seiner Studie beschäftigt sich Robert Bachert mit der Frage, wie der Diakonische Corporate Governance Kodex (DGK) in ethischer Hinsicht verbessert und erweitert werden kann. B. profitiert dabei von eigenen Leitungs- und Aufsichtsfunktionen in verschiedenen diakonischen Organisationen, die ihn die schwierigen Fragen der Zuordnung der verschiedenen Leitungsstrukturen in der Diakonie kompetent und differenziert wahrnehmen lassen. Das Buch bietet die gekürzte Fassung der Dissertation von B., die unter gleichem Titel 2016 von der Universität Heidelberg angenommen wurde.
Die Untersuchung ist in sich stringent aufgebaut. Nach der Einleitung (23–29) behandelt der I. Teil Grundlagen der Corporate Governance (30–120). Im II. Teil werden Gesichtspunkte der Unternehmensethik dargestellt (121–217). Der III. Teil bringt auf dieser Basis Überlegungen zur Weiterentwicklung des DGK (219–391). Der Schluss dieses Teils beinhaltet umfangreiche Anlagen mit weiteren relevanten Texten zur Themenstellung (392–444).
B. wählt in seiner Untersuchung einen individualethischen An­satzpunkt. Ausgehend von der Drei-Ebenen-Konzeption von Brink und Tiberius unterscheidet er zwischen Mikro-, Meso- und Makroebene (26). Die Fragestellungen von Unternehmen und Institutionen, um die es in einem Corporate Governance Kodex vornehmlich geht, sind eigentlich der Mesoebene zugeordnet. B. meint aber zum DGK: »Seine Einhaltung und Umsetzung fällt jedoch auch in den Bereich der Individualethik (Mikroebene).« (26) Unternehmensethik ist deshalb für B. zwischen der Mikro- und Makroebene angesiedelt und wirkt auf die beiden anderen Ebenen (27). Damit ergibt sich für B. die ethisch geprägte Forschungsfrage, die im Titel der Untersuchung wiedergegeben ist, allerdings mit Fragezeichen (29).
In Teil I. der Arbeit stellt B. die Verbindungen der Fragestellung des Corporate Governance Kodex mit der Wirtschaft dar. Er bezieht sich dabei auf die beiden Fassungen des Deutschen Corporate Governance Kodex (DCGK) von 2005 und 2015 und zeigt deren ursprünglichen Bezug auf börsennotierte Unternehmen auf. Damit stellt sich die Frage, ob solch ein Kodex auf Organisationen der Diakonie übertragbar ist. B. meint dazu, dass der Corporate Governance zumindest »eine ethische Komponente inhärent« sei (37). Auch in der Diakonie habe man verschiedene Initiativen entwickelt, um durch solche Kodizes die Organisation der Kompetenz der Leitung und Aufsicht klarer zu strukturieren. B. bezieht sich dabei besonders auf den »Diakonischen Corporate Governance Kodex« des Diakonischen Werkes der EKD von 2005 (DGK), den Kodex des Diakonischen Werkes Württemberg von 2005 und des Diakonischen Werkes Baden von 2008 (85 ff.). Er erkennt im Vergleich des DCGK mit dem DGK bemerkenswerte Parallelen, die in den Präambeln formulierten Ziele beider Kodizes seien »nahezu identisch« (93). Für diakonische Kodizes sei es nun aber nötig, dass »diakonische und werteorientierte Elemente herausgearbeitet werden, die sich positiv auf die Zusammenarbeit und Aufgabe der Leitung und Aufsicht in diakonischen Einrichtungen auswirken.« (107 f.) Es »müssten aus ethischer Sicht weitere Anforderungen eines für die Diakonie gültigen Kodex hinzugefügt werden« (117).
In Teil II. werden auf dieser Grundlage unternehmensethische Überlegungen vorgenommen. Die Spezifika von Unternehmen innerhalb der Diakonie stellt B. dabei in fünf Thesen fest: Primat der Ethik, keine ausschließliche Gewinnorientierung, Vorrang einer diakonischen Steuerungslogik, bedingte Rationalität und verstärkte Komplexität der Akteure, angewandte Ethik als mögliche methodische Basis für den Kodex der Diakonie (142). Für eine Implementierung ethischer Aspekte im Diakoniemanagement geht B. auf verschiedene Diakonie-Management-Modelle ein. Er setzt beim für die allgemeine Managementlehre entwickelten »neuen St. Galler Ma­nagement-Modell« an und meint: »Für die Diakonie könnte das nSGMM ein geeigneter Referenzrahmen sein, weil es den St. Galler Systemansatz in Bezug auf die zentrale Rolle der ethisch-normativen Dimension und den Einbezug der Anspruchsgruppen fortschreibt, eine prozessorientierte Sichtweise von Unternehmungen beinhaltet und von der sinnhaften Konstitution von Welt und Wirklichkeit ausgeht.« (159)
Dieser Ansatz wird in Teil III. für die Weiterentwicklung des DGK ausführlich ins Spiel gebracht (240 ff.). Dabei nimmt B. auch auf diakonische Managementmodelle Bezug, besonders auf das »Bielefelder Diakonie Managementmodell« von David Lohmann. Das verhilft ihm vor allem zu einer sehr differenzierten Beschreibung der An­spruchsgruppen bzw. Stakeholder diakonischer Organisationen(284 ff.). In Teil III. entwickelt B. sechs Reflexionskategorien, die für die Weiterentwicklung des DGK leitend sein könnten: »›Vertrauensvolle (und enge) Zusammenarbeit‹ (Mikroebene), ›Kultur, Ziel, Strategie‹ (Mesoebene) und ›Regeln guter Unternehmensführung‹ (Makroebene)« sowie Ebenen übergreifend »›Transparenz und Verbindlichkeit‹, ›Kirchlichkeit, Leitbild und Satzungsorientierung‹, ›Verantwortung und Selbstbindung‹« (296).
In Abschnitt III.3. wird auf dieser Basis ein sehr interessanter »Baustein für einen erweiterten Kodex der Diakonie« entwickelt: ein Führungskräftekodex mit individualethischen Grundanforderungen. Anknüpfend an den Führungskräftekodex von Brink und Tiberius (306 und 440 ff.) werden nach einer Präambel zwölf Abschnitte eines diakonischen Führungskräftekodex entwickelt, die sich an folgenden Leitbegriffen orientieren: Menschenwürde, Freiheit, Verantwortung und Solidarität, Nachhaltigkeit, Gerechtigkeit, Wertschöpf< /span>ung, Vertrauen, soziale Verantwortung, Transparenz, Wertschätzung, Vorbild, zeitnaher und ehrlicher Dialog (363). Auf einen solchen Kodex könnten sich diakonische Führungskräfte ausdrücklich selbst verpflichten. Die Untersuchung schließt mit einem Ausblick auf die Weiterentwicklung des DGK (380 ff.).
Die Studie enthält viele Redundanzen. Sie ist in verschiedener Hinsicht nicht ganz up to date. Erstens konzentriert sich B. auf das Diakoniemanagement-Modell von Lohmann aus dem Jahre 1997 und bezieht neuere Modelle kaum mit ein. Zweitens arbeitet er mit dem Neuen St. Galler Management-Modell Dritter Generation von 2002/2003. Es hat aber in der Vierten Generation, seit 2014 in drei Auflagen von Rüegg-Stürm und Grand weiterentwickelt, erhebliche Modifikationen erfahren, die in der Untersuchung nicht aufgenommen werden.
Drittens rekurriert B. auf den alten DGK von 2005. Er wurde jedoch bereits 2016 gewissermaßen zeitlich parallel zur Fertigstellung des Buches überarbeitet. Das reflektiert B. in seinem Nachwort (470 f.). Er war selbst an der Weiterentwicklung beteiligt und be­nennt als wesentliche Aktualisierungen und Weiterentwicklungen: Einführung des Instrumentes der Compliance, detaillierte Differenzierung der einzelnen Organe, engere Ausgestaltung von Kommunikation und Kontrolle, Einführung der Business Judgement Rule, differenziertere Regelungen für Vorstandsvergütungen, de­tailliertere Anforderungen an das Aufsichtsgremium, erweiterte Anforderungen an die Mitgliederversammlung, Verortung des Prinzips der Nachhaltigkeit, Betonung der Chancengleichheit der Geschlechter und Transparenz. Offensichtlich sind damit auch Kriterien dieser Untersuchung in die Überarbeitung des DGK mit eingeflossen.