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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1070–1072

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Streminger, Gerhard

Titel/Untertitel:

Adam Smith. Wohlstand und Moral. Eine Biographie.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2017. 254 S. m. 25 Abb. Geb. EUR 24,95. ISBN 978-3-406-70659-2.

Rezensent:

Martin Honecker

»Diese Wirtschaft tötet« – so apodiktisch äußerte sich Papst Franziskus im Apostolischen Schreiben »Evangelii Gaudium«, 2013. Auch in der Enzyklika »Laudato si« wendet sich der Papst gegen eine »magische Auffassung des Marktes« und übt aus der Perspektive Lateinamerikas Kritik an der Marktwirtschaft. Angesichts solcher päpstlicher Fundamentalkritik lohnt sich ein Blick auf den be­gründenden Theoretiker der Marktwirtschaft, Adam Smith. Gerhard Streminger hat seine Biographie bewusst mit dem Untertitel »Wohlstand und Moral« versehen. Bereits 1989 hat er ein Buch über A. Smith vorgelegt. Die Neuausgabe ist wesentlich erweitert und überarbeitet. Zu Lebzeiten hat Smith lediglich zwei Werke publiziert. Seine »Theorie der ethischen Gefühle« gehört zu den Klassikern der Ethik; der »Wohlstand der Nationen« ist eines der einflussreichsten Bücher überhaupt. Nach der Schlacht von Jena bemerkte Alexander von Marwik: »Nach Napoleon ist Smith der mächtigste Monarch Europas.« (220)
Die Biographie ist in fünf Abschnitte gegliedert. Die Überarbeitung der »Theorie der ethischen Gefühle«, 1782, unter der Überschrift »Das Wesen der Tugend« (221–225) wirkt freilich wie ein Nachklapp. Leben und Werk sind in der Darstellung ineinander verflochten.
Der erste Abschnitt beschreibt den Kontext von Smith’ Leben und Werk, die schottische Aufklärung. Die schottische Aufklärung war einerseits Folge der Armut; wegen der Armut erhielt Bildung einen hohen Wert. Zum anderen ist sie eine Reaktion auf den unbarmherzigen Kirchengründer des schottischen Calvinismus, John Knox, den »kaledonischen Jehova« in Edinburgh. Die schottische Aufklärung war kirchenkritisch, nicht nur David Hume. Sie nahm Anstoß an der calvinistischen Prädestinationslehre. Da das Wort Gottes unklar und widersprüchlich ist, wurden die Widersprüche zur Hauptursache der schrecklichen Religionskriege. Smith vertrat wie sein Freund Hume und sein Lehrer Francis Hutcheson einen Deismus, der optimistisch war. Anders als die französische Aufklärung war die schottische freilich pragmatisch. Smith strebte ursprünglich eine Kirchenkarriere an, war jedoch vom Studium in Oxford enttäuscht.
Der zweite Abschnitt gilt Smith ab 1751 als Professor der Universität Glasgow. Er behandelte »moral philosophy«, die nicht mit Ethik und Moral gleichzusetzen ist, sondern im Gegensatz zur »natural philosophy« die Geistes- und Gesellschaftswissenschaften erörtert. Aus den Vorlesungen ging die »Theorie der ethischen Gefühle« hervor. Aufgabe des Moralphilosophen ist es nach ihm, »Wege zu diesseitigem Glück« aufzuzeigen. »Das sittliche Verhalten ist grundsätzlich ein natürliches.« (66) Smith wendet sich unverkennbar von einer göttlichen Begründung der Moral ab. Mit seiner »Gefühlsethik« entwickelt er eine stark empiristisch gefärbte Mo­ralphilosophie. Man könnte auch von Phänomenologie menschlichen Verhaltens sprechen, die eine Gegenposition zu traditionell rationalistischen Ethiken einnimmt und die zumeist die Grundlagen des Sittlichen in etwas Transzendentem verankert. Sympathie und Affekte bilden die Basis. Es gibt unsoziale und soziale Affekte, sowie selbstbezogene Affekte. Zu den sozialen Affekten gehört der Gerechtigkeitssinn. Diese Gefühls-Ethik ist »gerade keine Blaupause für den Homo oeconomicus, der im Eigennutz seine einzige Triebfeder sieht« (so das Urteil von S.: 72). Den Standpunkt der normativen Beschreibung und Bewertung der Gefühle nimmt der »unparteiische Betrachter« ein. Smith’ Basis der Ethik sind zwar Gefühle, aber geläuterte Gefühle. Tugend und Nützlichkeit sind Wirkung sympathetischer Empfindungen. Ziel ist die Verbesserung ( improvement) des Lebens. In der »Theorie« zeigt sich Smith mitnichten als »Marktfundamentalist« oder gar »Marktfetischist« (93). Ein Einwand gegen Smith’ Konzeption ist allerdings, dass er eine vorindustrielle, auf Familienverbindung beruhende Gesellschaft vor Augen hat.
Der dritte Abschnitt behandelt den Professor in Glasgow. Smith war jetzt in die Verwaltung eingebunden. Seine Vorlesung über Rhetorik und Jurisprudenz wurde erst 1958 veröffentlicht.
Der vierte Abschnitt »Der Ökonom« beginnt mit Smith’ Reise 1764 nach Frankreich, als Privatlehrer von Buccleugh auf dessen Grand Tour nach Frankreich. Nach der Rückkehr in London 1766 beginnt die Arbeit am Opus Magnum, die zäh und langwierig geriet. Das Werk »Der Wohlstand der Nationen« ist in fünf Bücher gegliedert. Die Auseinandersetzung mit anderen Wirtschaftssystemen – Merkantilismus und Physiokratie – führt zur programma-tischen Forderung nach Freihandel. Eine Schlüsselstellung für Wohlstand und wirtschaftliche Entwicklung fällt Bildung und Schule zu. Aufgeklärte Bildung führt zu Wohlstand; darin ist eine List der Vernunft am Werk. Im Verhältnis von Staat und Kirche will er den Einfluss der Kirche zurückdrängen. »Der Schottische Auf-klärer behandelte die Religion insgesamt wie eine Medizin, die in homöopathischen Dosen genossen auch positive Auswirkungen haben kann, die in Summe aber stark toxisch ist.« (179) »Auch in der Tugendlehre rückte Smith noch weiter vom traditionellen Chris-tentum ab.« (223)
Smith’ Wirtschaftstheorie ist einer der interessantesten Entwürfe eines Systems natürlicher Freiheit und Gerechtigkeit. Sie strebt einen Ausgleich von Freiheit und Gerechtigkeit an. Freilich tritt die Gerechtigkeit hinter der Freiheit zurück. Der Markt ist eine natürliche, keine göttliche Ordnung. Vorausgesetzt ist die Theorie der ethischen Gefühle. Smith ist daher für S. weder der Buhmann für die Inanspruchnahme des Marktes als allmächtigem Problemlöser noch der Propagandist eines ungezügelten Marktes (182). Er weist auch auf problematische und strittige Aussagen dieser Theorie hin, wie die Nichtberücksichtigung der Natur als Wert, die einseitige Beurteilung der Arbeit als Last und Leid, die Unterschätzung der Werbung und vor allem die Nichterwähnung der Auswirkungen der Mechanisierung. Er sieht in Smith nicht den Anwalt eines entfesselten Marktes. Der Neoliberalismus des 20. Jh.s mit seinem Marktfundamentalismus, der Deregulierung des Kapitalverkehrs, der Reduktion staatlichen Handelns auf ein Minimum und ökonomisch verengter Politikkonzepte kann sich nicht auf Smith berufen. S. beansprucht Smith vielmehr als Vertreter einer Sozialen Marktwirtschaft.
Der abschließende Abschnitt »Der Zollkommissar« behandelt die letzte Lebensphase. Neue Werke entstanden in dieser Zeit nicht mehr.
Die Biographie regt an zu einem Systemvergleich zwischen Marktwirtschaft und Zentralverwaltungswirtschaft. In der Ge­schichte hat die Marktwirtschaft sich als überlegen erwiesen. Der Markt ist aber keineswegs alles und darf nicht verabsolutiert werden. Er bedarf vielmehr einer Rahmenordnung. Rahmenbedingungen des Marktes sind eine Rechtsordnung, Rechtsstaatlichkeit, Ordnung des Wettbewerbs, Verhinderung von Monopolen, Bildung und sozialer Ausgleich. Marktwirtschaft ist also anspruchsvoll. Sie wandelt sich auch je nach Zeit und Kontext. Smith’ Überlegungen beziehen sich auf eine (groß)bürgerliche Gesellschaft; die Überlegungen von Karl Marx haben jedoch einen entfesselten Kapitalismus mit der Verelendung der Massen vor Augen. Heute stellen u. a. Globalisierung und Digitalisierung vor neue Herausforderungen. Man wird ferner zu bedenken haben, dass jede Wirtschaftsethik die Fähigkeit zur Urteilsbildung voraussetzt und insofern abhängig von einer Kultur ist. Für jede theologische und kirchliche Wirtschaftsethik stellt überdies der Ansatz von Smith eine Herausforderung und radikale Fragestellung dar. Ist verantwortliches und allgemein verbindliches Wirtschaften auf der Basis einer konfessionellen und insbesondere orthodoxen Dogmatik überhaupt möglich? Oder hat nicht eher das Christentum insgesamt als Kulturfaktor eine orientierende Bedeutung für wirtschaftliches Handeln und für die ökonomische Ordnung und Verfasstheit einer Gesellschaft? Im Jahr des 200. Geburtstags von Karl Marx wäre ein Vergleich reizvoll, was beide verbindet und worin sie sich unterscheiden. S.s verdienstvolles Buch ist anregend, weiterführend und trägt zum Verständnis der marktwirtschaftlichen Ordnung bei. Die Biographie stellt das Leben und insbesondere das Werk von A. Smith eindrucksvoll dar und korrigiert damit verbreitete Fehlurteile.