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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1066–1068

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Bogner, Daniel, u. Cornelia Mügge [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Natur des Menschen. Brauchen die Menschenrechte ein Menschenbild?

Verlag:

Freiburg i. Br.: Verlag Herder (Fribourg: Academic Press Fribourg) 2016. 236 S. = Studien zur theologischen Ethik, 144. Kart. EUR 40,00. ISBN 978-3-451-34285-1 (Verlag Herder).

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Dieser Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im Herbst 2014 an der Universität Freiburg i. Br. stattfand. Die Referenten der Tagung setzten sich mit der Frage nach dem Menschenbild hinter den Menschenrechten auseinander, was deshalb problematisch ist, weil sich mit der Behauptung solch eines Menschenbildes stets bestimmte Geltungsansprüche verbinden. Zudem suggeriert der Ausdruck eine gewisse Statik, die der gegenwärtigen Dynamik bei der Bestimmung der Natur des Menschen nicht mehr gerecht wird. Schon in seiner Einleitung unterscheidet Daniel Bogner zwei Typen, vom Menschenbild zu reden. Der eine ist auf Facetten der Körperlichkeit, der andere auf die Bedingungen der Möglichkeit, Mensch zu sein, ausgerichtet (11 ff.). Werden solche Menschenbilder in das Rechtssystem eingetragen, so scheint sich das Menschenbild nochmals zu verwandeln, weil es den Formatierungsbedingungen eines bestimmten sozialen Systems unterliegt. Deswegen sei – so Bogner (18) – zwischen der rechtlichen und der all­täglichen Rede von »Menschsein« zu unterscheiden und genauso zwischen den unterschiedlichen Beiträgen der Referenzwissenschaften wie Anthropologie, Philosophie, Theologie etc.
Dieter Birnbacher (29–43) unterscheidet in seinem Beitrag zwischen normativen und deskriptiven Menschenbildern. Deskriptive Menschenbilder hält er für grundsätzlich selektiv, und diesen Charakter haben sie mit Menschenrechten gemeinsam. (Menschen-)Rechte heben für ihn jeweils einen besonderen Schutz für ein erhaltenswertes (Grund-)Bedürfnis des Menschen hervor. Durch Menschenrechte und Menschenbilder werden jeweils be­stimmte Be­dürfnisse und Schutzbedürftigkeiten in den Vordergrund gerückt, also privilegiert. Beide unterliegen historischen Veränderungen. Das heißt: Prioritäten und privilegierte Bedürfnisse verschieben sich je nach historischer Situation. Außerdem herrscht eine Konkurrenz zwischen verschiedenen Menschenbildern, die grundsätzlich nicht aufgelöst werden kann.
Von den Beiträgen über Naturrecht im weitesten Sinne (Zurbuchen, Leichsenring, Lohmann) scheint derjenige von Friedrich Lohmann (83–108) am interessantesten. Er geht davon aus, dass die Frage nach einer grundsätzlichen und ursprünglichen Natur des Menschen gar nicht endgültig beantwortet werden kann. Dennoch berufen sich die Menschenrechtserklärungen schon des 18. Jh.s auf eine bestimmte Natur des Menschen, die anthropologisch festzustehen scheint und in der Rechtserklärung mit Hilfe von Rechten abgesichert wird. Das gilt auch für die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948. Lohmann spricht nun von einem dreifachen Wächteramt der deutenden Reflexion über die Natur des Menschen – gegen Kulturalismus, Legalismus und moralischen Idealismus. Der Diskurs über das Menschenbild verhindert damit, dass Menschenrechte beliebig werden. Andererseits wird konzediert, dass die Reflexion über die Natur des Menschen immer auf eine bestimmte Weise weltanschaulich, religiös oder philosophisch perspektiviert ist.
Die Beiträge des zweiten Teils zeigen Beispiele für die politische Reflexion des Naturbegriffs (131 ff.). Peter G. Kirchschläger betont, die Menschenrechtserklärungen der Vereinten Nationen hätten auf ein substantielles Menschenbild verzichtet, gerade um der Pluralität der Begründungen willen. Man habe sich darum auf Basisbegriffe wie Würde, Freiheit und Gleichheit beschränkt. Gleichwohl sei die Rede von einem Menschenbild der Menschenrechte wichtig, weil Menschenrechte so in ein kohärentes anthropologisches Modell integriert werden könnten. Kirchschläger sieht hier positiv Prozesse der »Adaption« am Werk, mit deren Hilfe sich Religionen und Weltanschauungen der Thematik der Menschenrechte, basierend auf Würde und Gleichheit, nähern bzw. sich diese aneignen können.
Heiner Bielefeldts Beitrag (145–153) dagegen setzt mit skeptischen Überlegungen zur Natur des Menschen ein. Zu oft sei diese Rede von der Natur des Menschen gegen soziale Neuentwicklungen (Gender, LGBT) ins Feld geführt worden. So besteht die Gefahr, dass innerhalb der Menschenrechtsdiskussion die exemplarischen Unrechtserfahrungen von Menschen aus dem Bereich LGBT ausgeklammert würden. Aber auf der Ebene der Vereinten Nationen hat gerade die Diskussion über Menschenrechte in diesem Bereich in den letzten beiden Jahrzehnten enormen Aufschwung genommen. Bielefeldt schlägt darum am Ende den Neubezug auf paradoxe Formulierungen der Natur des Menschen vor, wie etwa Hellmuth Plessners »exzentrische Zentrizität« (152).
Der dritte und letzte Teil ist den Praxisfeldern des Themas in Recht, Theologie und Philosophie (173 ff.) gewidmet. Diese setzen sich mit Themen der Bioethik (Zimmermann), der Diskriminierung von Behinderten (Tolmein), dem Zusammenhang von Gender und Ökologie (Nutt) sowie der Frage nach dem Verhältnis von Christ- und Bürgersein aus der Perspektive katholischen Kirchenrechts auseinander (Kaptijn).
Es macht den Vorzug dieses Sammel- und Tagungsbandes aus, dass alle Beiträge anregend zu lesen sind. Es ist sichergestellt, dass die Reflexionen sich am gewählten Thema der Frage des Menschenbilds oder der Natur des Menschen orientieren. Dabei wird deutlich, dass die alteuropäische Lösung einer feststehenden »Na­tur« des Menschen moderner Wirklichkeit nicht mehr gerecht wird. Menschenbilder, seien es nur solche von Menschenrechtskatalogen, sind nur im Plural, also in einer bestimmten Deutung und Perspektive zu haben. Genau an dieser Vielfalt arbeiten sich die Autoren des Bandes ab und ziehen daraus unterschiedliche Konsequenzen, was für den Diskurs über Menschenrechte eine große Bereicherung darstellt.