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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

84 f

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Schäufele, Wolf-Friedrich

Titel/Untertitel:

Christoph Matthäus Pfaff und die Kirchenunionsbestrebungen des Corpus Evangelicorum 1717-1726.

Verlag:

Mainz: von Zabern 1998. IX, 362 S. gr.8 = Veröffentlichungen des Instituts für europäische Geschichte Mainz, 172. Lw. DM 88,-. ISBN 3-8053-2485-5.

Rezensent:

Kurt Nowak

Im Jahr 1723 erschienen in Halle Christoph Matthäus Pfaffs "Gesammelte Schrifften, so zur Vereinigung der Protestirenden Kirchen abzielen" (2 Bände). Herausgeber war ein gewisser Tilesius, dessen Identität bis heute nicht völlig geklärt ist. Pfaff selber befand sich damals auf der Höhe seines Ruhms und war dennoch ein Geschlagener. Der reich begabte Theologe und Wissenschaftsorganisator - 1720 war er zum Rektor und Kanzler der Universität Tübingen aufgestiegen - hatte sich in seinem "Alloquium irenicum ad Protestantes" von 1720 und in vier "dissertationes" als wortreich-agiler Anwalt der kirchlichen Vereinigung von Lutheranern und Reformierten betätigt und war dabei auf Gegner geprallt, die nicht zögerten, ihn einen Verräter zu nennen und seine Ausstoßung aus der Kirche zu fordern. Seither hütete sich Pfaff, nochmals öffentlich an das Unionsthema zu rühren. Pfaffs Engagement zugunsten der protestantischen Kirchenvereinigung blieb Episode. Gleichwohl waren es die irenischen Aktivitäten, die den Namen Pfaff in der Theologie- und Kirchengeschichte lebendig hielten. Hinzu kamen seine Verdienste als Kirchenrechtslehrer.

Erstmals seit der Monographie von Arnold F. Stolzenburg "Die Theologie des Jo. Franc. Buddeus und des Chr. Matth. Pfaff. Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung in Deutschland" von 1926 (ND 1979) ist Pfaff jetzt wieder Thema einer größeren Studie, einer Mainzer Dissertation bei Gustav Adolf Benrath. Der Vf. gibt einen Überblick über Pfaffs Biographie, zeichnet die "Grundsätze der irenischen Theologie Pfaffs bis 1719" nach, beschäftigt sich mit Pfaffs Unionsprogramm(1720) und dessen theologischer Entfaltung (1720/21), verfolgt Pfaffs Briefwechsel zur Union bis 1725 sowie die literarische Debatte der Unionsgegner und -befürworter. Außerdem untersucht er "Spätere Äußerungen Pfaffs zur Unionsfrage 1724-1760".

Pfaff bildet den einen Strang der Dissertation. Der andere Strang ist repräsentiert durch die Bestrebungen im Corpus Evangelicorum zur protestantischen Kirchenunion. Beide Stränge sind verflochten durch einen, wenn man so will, produktiven Irrtum der protestantischen Reichstagsgesandten in Regensburg. Veranlasst durch das Reformationsjubiläum 1717 und durch die verstärkten Strategien zur Rekatholisierung in der Kurpfalz bauten sie schrittweise ein lutherisch-reformiertes Unionsprojekt auf. In diesem Zusammenhang wandten sie sich 1719 an Pfaff. Sie hielten ihn fälschlicherweise für den Autor der irenischen Schrift "Die nöthige Glaubens-Einigkeit der Protestantischen Kirchen". Pfaff, jung und ehrgeizig, packte die Gelegenheit beim Schopfe. In der Annahme sicherer Rückendeckung durch die hohe Politik benutzte er die ihm dargebotene Plattform zur Entwicklung seines irenischen Programms. Die nach dem "Alloquium irenicum" und seiner deutschen Version ("Näherer Entwurff ...") losbrechenden Polemiken der lutherischen Orthodoxie beschädigten gleichermaßen Pfaff wie die Unionspläne im Corpus Evangelicorum. Mehr als ein "Vereinigungsconclusum" vom 28. Februar 1722 kam nicht zustande: ein Dokument, das die irenische Bezeichnung "Evangelische" und die wechselseitige Begünstigung der Lutheraner und Reformierten festschrieb, aber lediglich in zwei protestantische Territorien - Brandenburg-Bayreuth und Hessen-Kassel- Rechtskraft erlangte.

Der Vf. leistet mit seiner Studie einen Beitrag zu Leben und Werk Pfaffs und zeichnet zugleich auf guter Quellenbasis die Vorgeschichte, den Verlauf und die Nachwirkungen der Kirchenunionsbestrebungen im Corpus Evangelicorum um 1720 nach. Mit seinen ereignisgeschichtlichen Rekonstruktionen erledigt er manche in der Literatur mitgeschleppten Irrtümer.

Von einer impulsgebenden Rolle Pfaffs für die Delegierten des Corpus Evangelicorum könne keine Rede sein. Irrig sei auch die Meinung, von Pfaffs Ideen führe eine direkte Linie zu den "Fünfzehn Punkten" von 1721 und dem "Vereinigungsconclusum" von 1722. Die "Fünfzehn Punkte" waren ein Privatpapier (Wolf von Metternichs), das "Vereinigungsconclusum" schon ein Dokument des Scheiterns, das einen Minimalkonsens in die Zukunft hinüberretten wollte. Pfaffs Stilisierung zum spiritus rector der Regensburger Initiativen geht, wie der Vf. dartut, wesentlich auf den gothaischen Kirchenrat E. S. Cyprian zurück: "allzu bereitwillig hatte er Pfaffs großsprecherischen Behauptungen Glauben geschenkt" (303).

Pfaff, der mit Ämtern und Ehren überhäufte theologische Großschriftsteller, erhält in der Studie ein klares Profil. Der Vf. hebt das mit Pfaffs Namen verbundene Schlagwort "Übergangstheologie" auf die Ebene der theologie- und kirchenhistorischen Detailstudie. Das Werk von Pfaff bietet sich nach der Analyse des Vf.s dar in einer Gemengelage von konfessioneller Schultheologie, Pietismus, Frühhistorismus und frühaufklärerischer Irenik. Der Vorschlag, auf den Begriff "Übergangstheologie" generell zu verzichten und "sich statt dessen in jedem Einzelfall um eine nähere Charakterisierung der Positionen der betreffenden Theologen [zu] bemühen" (10), entspricht einem Trend der Forschung. Beigegeben ist der materialreichen und transparent abgefassten Studie ein Anhang, der u. a. die "Fünfzehn Punkte", das "Vereinigungsconclusum" und Pfaffs Rede "De causis silentii theologici" enthält.