Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1052–1054

Kategorie:

Christliche Kunst und Literatur

Autor/Hrsg.:

Eingel. u. bearb. v. M. u. D. Lücke.

Titel/Untertitel:

Lucas Cranach der Jüngere. Archivalische Quellen zu Leben und Werk.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt 2017. 384 S. m. Abb. = Schriften/Kataloge der Stiftung Luthergedenkstätten in Sachsen-Anhalt, 22. Geb. EUR 98,00. ISBN 978-3-374-04562-4.

Rezensent:

Christoph Weimer

Noch immer ist eine umfassende Biographie über Lucas Cranach d. J. ein Desiderat (10). Doch wie könnte diese bisher auch solide ge­schrieben worden sein, ohne die jetzt vorgelegte archivalische Grundlagenforschung von Monika und Dietrich Lücke? Leben und Werk von Vater Cranach sind bekannt. Daneben aber wird mitunter leicht vergessen, dass der Sohn Lucas Cranach d. J. gemeinsam mit dem Vater über Jahre hinweg und dann ab 1550 alleine die Werkstatt in Wittenberg geführt und sich zu einer eigenständigen Persönlichkeit entwickelt hat. Die Landesausstellung in Wittenberg (und in anderen Stätten mit leicht divergierenden Schwerpunkten) zum 500. Geburtstag Lucas d. J. im Jahre 2015 konnte die Eigenständigkeit des Sohnes in kunsthistorischer Sicht (9) würdigen. Doch sein Leben, seine Familie, seine Korrespondenz, seine wirtschaftlichen Tätigkeiten und sein kommunalpolitisches Engagement blieben daneben im Dunkeln. Die zahlreich vorhandenen, in Archiven schlummernden Dokumente zu Lucas Cranach d. J. waren noch nicht entdeckt, gehoben, geschweige denn editiert. Es ist das große Verdienst von Monika und Dietrich Lücke, sich dieser Leerstelle in akribischer Archivarbeit angenommen und diese nun in übersichtlicher, nach Themen geordneter, handlicher Edition vorgelegt zu haben.
Dabei fügt sich diese längst überfällige Publikation mit archivalischen Quellen zu Leben und Werk des jüngeren Cranach nahtlos in die Arbeit der Verfasser ein. Seit über 20 Jahren beschäftigen sich die Editoren (5) mit dem Leben der gesamten Cranach-Familie und zeigten durch zahlreiche Publikationen zum Thema, dass sie hier ihr Spezialgebiet gefunden haben. Die vorliegende, feinteilige Recherche gibt erstmals umfassenden Einblick in das Leben Lucas Cranach d. J. und erlaubt es, dieses auf ein verlässliches Fundament zu stellen. Dieses sind die insgesamt 220 veröffentlichten Texte im vorliegenden Band. Erstmals werden dabei 22 Handschriften oder nach Diktat von Schreibern verfasste Briefe im Volltext und mit Ab­bildung veröffentlicht. Dienstbar waren hier mitteldeutsche Archive, daneben Dokumente aus Darmstadt und Schwerin (11). Deutlich wird, dass eine vollständige Bearbeitung einzelner Archive derzeit nicht möglich ist (Dresden; 13) und weitere Archivfunde Cranach d. J. betreffend noch zu erwarten sind. Besonders das Archiv der Geburtsstadt Lucas Cranach d. J. stellte eine wahre Fundgrube für das Lebensumfeld des Künstlers (11) dar. Dass solch ein Schatz nicht einfach zu heben ist, sondern sorgsam und detailbedacht geprüft werden muss, schildern die Verfasser anhand des Briefwechsels von Herzog August von Preußen mit den Cranachs (12). Dieser ist aufbewahrt im Herzoglichen Briefarchiv in Berlin. Aus den Jahren 1525 bis 1590 haben die Verfasser insgesamt 70 Kästen sortiert und gesichtet, was einer Gesamtstapelhöhe von ca. sieben Metern entspricht (12). Die Mühe der Sichtung spricht für das Herzblut, das die Herausgeber mit dieser Sache verbindet. Neben den staatlichen Archiven stellten die Kirchenbücher der evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen in Magdeburg und ferner das Landeskirchenarchiv in Eisenach eine Quelle für die Überprüfung der mit Cranach verwandten Familien dar.
Es macht den Reiz der vorliegenden Publikation aus, dass sie die erhobenen Quellen nicht nur vollständig wiedergibt, sondern sie auch einer thematischen Einordnung (also nicht ihrer Entstehungszeit gemäß) unterzieht (15). Damit werden inhaltliche Zu­sammenhänge luzid und der Suchende wird thematisch fündig. Die vier Kapitel tragen die Überschriften: I. Familie und Biographisches (21 ff.); II. Die Werkstatt (79 ff.); III: Der Kommunalpolitiker (225 ff.) und IV. Der Unternehmer (259 ff.). Das Gesamtregister (V. Anhang; 351 ff.) führt die Fundstellen der einzelnen Dokumente in den jeweiligen Archiven auf (351 f.), enthält ein Verzeichnis der mehrfach aufgeführten Literatur (353 ff.) sowie ein Namen- und Ortsregister (356 ff.).
Dieses Register besticht insofern, als Ortsnamen mit ihrer heutigen Orts- und Landkreiszugehörigkeit aufgeführt werden und Orte außerhalb der Bundesrepublik eine Länderkennung aufweisen. Es findet sich im Register nicht nur der Hinweis auf die Nennung der Person im jeweils einführenden Text des jeweiligen Kapitels, es wird darüber hinaus auch auf die Nennung im entsprechenden Dokument verwiesen. Besonders gefällig und hilfreich ist es, dass Frauen unter allen ihren bekannten Namen aufgeführt werden, wie auch unter den anderen Namen ihrer jeweiligen Lebensabschnitte. Bei Personen des öffentlichen Lebens ist die Zeit ihrer Regierungsverantwortung (o. Ä.) aufgeführt (356). So gleicht dieses umfassende Namenregister einem Kurzbiogramm der auftretenden Namen und hilft zu rascher Vergewisserung oder erster Orientierung.
Den vier Kapiteln vorgestellt sind die Editionsrichtlinien (17). Dabei werden für jedes Stück die Überlieferungsform sowie Fundort und Signatur bzw. Inventarnummer mit Blatt bzw. Seitenangaben mitgeteilt. Die Auflösungen allgemein gebräuchlicher Abkürzungen werden in eckigen Klammern kenntlich gemacht, die Interpunktion wird nach heute üblichen grammatikalischen Gesichtspunkten vereinheitlicht und eine Tabelle der Münzbezeichnungen ist angeschlossen. Ein Abkürzungsverzeichnis (19) komplettiert die einleitenden Bemerkungen. Mit dieser Handreichung werden die Texte auch für Interessierte, die sich nicht zu den Fachleuten zählen wollen, zu unverzichtbaren Urkunden für die Beschäftigung mit dem Leben von Lucas Cranach d. J.
Die vier Kapitel sind alle zweigeteilt: die Einführung erschließt den Rahmen, in dem die im zweiten Teil dokumentierten Texte zu lozieren sind. Je nach Dokumentenlage ist der einführende Teil spezifiziert bzw. thematisch untergliedert. So unterteilt sich Kapitel eins (Familie und Biographisches) in die Abschnitte: Matthias Gunderam, der erste Familienchronist (21 ff.); Der Bruder Johannes Cranach (25 f.); Die Schwestern Cranachs des Jüngeren (26 ff.). Entsprechendes gilt für die anderen Kapitel. Kapitel zwei (Die Werkstatt) weist folgende Untergliederung auf: Torgau 1535 bis 1537 (79 ff.); Aufträge des Wittenberger Rates (81 ff.); Fürstliche Aufträge (83 f.); Eine Bibel für Herzog Albrecht von Preußen (84 ff.); Immer wieder Terminprobleme (86); Jagdschloss Augustusburg (86 ff.); Annaburg (89); Colditz (91 ff.); Lehrlinge in der Werkstatt (93 ff.). Kapitel drei (Der Kommunalpolitiker) fächert sich wie folgt auf: Ratsherr, Bürgermeister und Landsteuereinnehmer (225 ff.); Tätigkeit als Ratsherr (227 ff.); Die Übernahme von Vormundschaften (229 f.); Lohnsteuereinnahmen des Kurkreises (230 f.); Die Hospitalordnung (231 f.). Das vierte Kapitel (Der Unternehmer) gliedert sich in die Einzelabschnitte: Grundbesitz (259 ff.); Der Weinschank (261 ff.); Die Cranachsche Hausbrauerei (267 f.); Das Röhrwasser (268 ff.); Zinnbergwerksanteile (270); Kredite (270 f.); Die Güter Eutzsch in der Dalmsendorfer Mark und Waschdorf (271 ff.). Dabei erweist es sich hier als eine sehr kluge Vorgehensweise der beiden Herausgeber, die Texte ihrem Inhalt nach zu ordnen und nicht nach ihrer Entstehungszeit. Der am Leben Cranach d. J. Interessierte kann also sehr gezielt in einzelne Bereiche von Leben und Werk Cranach d. J. Einblick gewinnen, insofern sich ihm – von außen her fokussiert auf das jeweilige Thema – das Wirken, die Umstände und die Entscheidungen Lucas Cranach d. J. in dieser Sache erschließen. Die vier Einführungen zu den einzelnen Kapiteln sind mit einer Fülle von Anmerkungen versehen. Diese verraten die hohe Kompetenz der Editoren, indem sie ausführliche Hinweise auf Fundort und Qualität einzelner Texte anführen und zu vertieftem Studium anleiten. Zugleich machen diese in die Anmerkungen gerückten Vertiefungen den einführenden Text flüssig und diesen auch für denjenigen zum Gewinn, der die Einzelheiten getrost dem Fachwissen überlassen möchte.
Die vier Textteile sind gleich aufgebaut und die wiedergegebenen Texte mit römischen Ziffern (I bis IV) und innerhalb der jeweiligen Kapitel mit fortlaufenden arabischen Ziffern versehen. Nach einer gerafften Zusammenfassung des Dokumentes, welche eine Einordung in den größeren Zusammenhang leicht ermöglicht, ist der Fundort aufgeführt. Daran schließt sich – wo nötig und sinnvoll – eine Bemerkung an. Diese erhellt den Hintergrund des Dokumentes und hilft so dem Leser, die Urschrift einzuordnen; ferner benennt sie auch bleibende Unklarheiten. Danach folgt der Text gemäß den beschriebenen editorischen Richtlinien. Das Werk bildet zudem zahlreiche Briefe Cranachs (bzw. durch einen Sekretär geschriebene und mit Cranachs Notizen versehene) Briefe ab. Die Handschrift Cranachs gibt etwas von seiner Persönlichkeit wieder, verdeutlich aber auch die mühevolle editorische Arbeit von Monika und Dietrich Lücke. Dieser akribischen Arbeit ist über die Fachwelt hinaus eine geneigte Leserschar gewünscht, die ein an archivalischen Quellen orientiertes Wissen über Leben und Werk Lucas Cranach d. J. erhält.