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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

82–84

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Lückhoff, Martin

Titel/Untertitel:

Anglikaner und Protestanten im Heiligen Land. Das gemeinsame Bistum Jerusalem (1841-1886).

Verlag:

Wiesbaden: Harrassowitz 1998. XIV, 357 S. gr.8 = Abhandlungen des Deutschen Palästina-Vereins, 24. Kart. DM 98,-. ISBN 3-447-04011-4.

Rezensent:

Thomas Hartmut Benner

Lückhoffs Arbeit, die 1994 vom Fachbereich Ev. Theologie der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen wurde, ist einem außergewöhnlichen konfessionsübergreifenden Projekt gewidmet, dem anglo-preußischen Bistum zu Jerusalem.

König Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) pflegte zwar gute Beziehungen zur osmanischen Regierung, doch das Bild des "Kranken Mannes am Bosporus" prägte die Vorstellungen westlicher Politiker. Die Autonomiebestrebungen Muhammad Alis in Ägypten und Syrien drohten in den dreißiger und vierziger Jahren das Sultanat auf die kleinasiatischen Kernprovinzen zurückzuwerfen. Diese Entwicklung wurde vom preußischen König und seinem Berater Christian Carl Josias Bunsen als göttliches Eingreifen gedeutet. Das im Zuge der Romantik sich belebende Interesse für die Wurzeln des Christentums und ein (unklares) Verbundenheitsgefühl für die im Orient unter muslimischer Herrschaft stehenden Christen rückten Palästina immer mehr in den Blickpunkt. Nicht zu vergessen sei, dass Teile des angelsächsischen Protestantismus die Idee einer "Restoration of the Jews" als Beginn einer neuen Phase des Heilshandelns Gottes vertraten und die Judenmission auch im "Heiligen Land" förderten, während im europäischen Judentum die Vorstellung einer "dritten Rückkehr nach Zion" an Boden gewann. Dabei wird schon von dieser Ausgangskonstellation her deutlich, dass die preußischen Interessen weitgehend von religiösen Motiven getragen wurden, da Mitte des 19. Jh.s Preußen aufgrund der europäischen Machtverteilung keinerlei realistischen Expansionsbestrebungen im Orient nachgehen konnte und wollte, während England - auch schon vor der Fertigstellung des Suez-Kanals 1869 - ein lebhaftes Interesse an der Sicherung des Weges nach Indien hatte.

Die zahlenmäßig geringen Anglikaner und Protestanten in Palästina hatten nach osmanischem Religionsrecht nicht den Status einer staatlich anerkannten Religionsgemeinschaft (Millet) wie die einheimischen orientalischen Kirchen. Die römisch-katholische Kirche stand seit dem 18. Jh. im Orient unter französischer Schutzherrschaft. Friedrich Wilhelm IV. strebte ein gemeinsames englisch-preußisches Unternehmen an, das unter Federführung der Anglikanischen Kirche die Schaffung eines gemeinsamen Bistums in Jerusalem zum Ziel hatte. Unbeschadet der Nationalität und jeweiligen Prägung sollten Protestanten verschiedener Konvenienz unter dem Schutz des Millet-Status des Bistums ihre missionarisch-diakonischen Ziele verwirklichen können. Die Problematik der nicht behobenen konfessionellen Differenzen zwischen Anglikanismus und Protestantismus wurde zwar gesehen, aber Friedrich Wilhelm IV. strebte im Gegensatz zu Bunsen keine Kirchenunion an, sondern begnügte sich mit der eher offenen Leitvorstellung von "Glaubenseinheit". Obwohl Preußen die anglikanische Kirche als "evangelisch" anerkannte, hatten die anglikanischen Verhandlungspartner Schwierigkeiten, sich mit dem Fehlen eines in der apostolischen Sukzession stehenden Bischofsamtes und mit der Confessio Augustana als Bekenntnisgrundlage für deutsche Geistliche in Jerusalem zu arrangieren.

Trotz der bereits bei den Verhandlungen in London zutage tretenden ekklesiologischen Differenzen, gelang es Bunsen, das Bistum zu gründen. Einen bilateralen Vertragstext hat es nicht gegeben, die Neugründung erhielt den Status eines anglikanischen Bistums. Die "Absprachen" gingen aber dahin, dass der Bischof zwar die anglikanische Bischofsweihe erhalten, doch bei Ernennungen zwischen dem Erzbischof von Canterbury und Berlin gewechselt werden solle. Der Jurisdiktionsbereich umfasste "Syrien, Palästina, Chaldäa, Ägypten und Abessinien". Das Projekt wurde von Vertretern der High Church kritisiert. John H. Newman sah in den reformatorischen Kirchen Mitteleuropas Häretiker und verwarf die Legitimität der Ostkirchen. Deutsche Katholiken argumentierten ähnlich und traten für eine Intensivierung der katholischen Mission im Orient ein. Evangelische Theologen wie Carl B. Hundeshagen und Matthias Schneckenburger wandten sich gegen eine episkopale Kirchenverfassung. Die Unterordnung unter die Anglikanische Kirche machte die Akzeptanz nicht leichter.

Erster Bischof wurde 1841 Michael S. Alexander, ein in Preußen geborener Jude, der nach England emigrierte und dort getauft wurde. Seine mangelnden Sprach- und Ortskenntnisse in Jerusalem erschwerten die Arbeit. Er arbeitete so schlecht mit der preußischen Regierung in der Frage der Gründung einer deutschsprachigen Gemeinde zusammen, dass das Gesamtprojekt kurz vor dem Scheitern stand, als Alexander 1845 starb. Friedrich Wilhelm IV. berief den Schweizer Samuel Gobat (1846-1879), der in Abessinien als Missionar vielfältige Erfahrungen gesammelt hatte. Gobat förderte besonders das diakonische Engagement des Bistums durch Intensivierung der Seelsorge unter den orientalischen Christen, durch Gründung von Schulen und Hospitälern. Die richtungweisenden Aktivitäten der Kaiserswerther Diakonissen und Johann L. Schnellers fallen in seine Zeit. Die Missionierung der einheimischen Christen in der Umgebung Jerusalems führte zu wachsenden Spannungen mit dem orthodoxen Patriarchat, das den Europäern Proselytenmacherei vorwarf. In den siebziger Jahren wurde deutlich, dass die politisch-diplomatischen Gegensätze zwischen London und Berlin das Gemeinschaftsunternehmen belasteten und die zunehmend imperialistische gesellschaftliche Stimmung auch auf die religiösen Subsysteme durchschlug. So ist nicht zu verwundern, dass der Brite Joseph Barclay während seiner kurzen Amtszeit (1880-1881) wenig erfolgreich war und unter den preußischen Pfarrerschaft immer mehr auf eine rein deutsche Vertretung in Palästina gedrängt wurde. Nach dem Tod Barclays wurde das Bistum bis zur Aufkündigung der Absprachen durch Wilhelm I. 1886 nicht mehr besetzt. Die Nationalisierung und Konkurrenz der europäischen Großmächte ließen das Projekt schließlich scheitern. Beide Kirchen kooperierten zwar auch nach 1886, gingen aber zunehmend eigene Wege.

Es gelingt L., die bisher nicht genügend aufgearbeitete Geschichte des Bistums unter Heranziehung preußischer und englischer Archivalien kritisch aufzuarbeiten. Die Analyse des Schriftwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen und der Denkschriften des Diplomaten während der englisch-preußischen Verhandlungen 1841 zeigt, dass die theologischen Positionen des Königs und seines Beraters durchaus verschieden waren. Bisherige Ergebnisse der Forschung konnten revidiert werden, etwa die Vorstellung, dass die bischöfliche Kirchenverfassung in Jerusalem als Paradigma für eine Reform der preußischen Landeskirche hätte dienen sollen (Franz Schnabel, Ewald Schaper, ähnlich Ernst Benz). Die sorgfältige Bearbeitung der weitgehend archivalischen Quellen gibt der Arbeit ein solides Fundament.

Die Frage, aufgrund welcher rechtlicher Gegebenheiten auf dem Territorium eines fremden Status ein neues Bistum gegründet werden konnte, hätte vertieft werden sollen. Nach muslimischem Religionsrecht hätte der Bischof von Jerusalem das Oberhaupt der protestantischen Millet darstellen müssen. Tatsächlich aber waren die Konsuln vor Ort politische Sachwalter der Europäer. Ebenso stellt sich die Frage nach dem Rechtsstatus der konvertierten christlichen Orientalen, die sich in die Grauzone zwischen Bischof und Konsulaten hineinbewegt hatten. Dabei ist zuzugestehen, dass im Rahmen dieser Arbeit nicht alle Teilaspekte mit gleicher Intensität bearbeitet werden konnten und türkische Archivalien so gut wie unzugänglich sind. Andererseits bezieht L. die internationale politische Lage immer wieder ein, so dass Ereignisse, die für Engländer oder Deutsche von großem Gewicht waren (Krimkrieg, deutsch-französischer Krieg) in ihren Auswirkungen auf das Bistum stets im Blick bleiben.

Die schwierigen Lebensbedingungen in der orientalischen Kleinstadt Jerusalem werden vor allem anhand israelischer Forschungen zur Geschichte der Heiligen Stadt und Palästinas (Y. Ben-Arieh, Alex Carmel) anschaulich dargestellt, so dass die konkreten Handlungen und Entscheidungen der Bischöfe im Kontext verständlich werden. L.s Arbeit stellt einen wichtigen Schritt zur kritischen Erhellung der Geschichte des englischen und deutschen Protestantismus in Palästina und zur Mentalitätsgeschichte des Umfelds Friedrich Wilhelms IV. dar.