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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1039–1041

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Oertzen Becker, Doreen von

Titel/Untertitel:

Kurfürst Johann der Beständige und die Reformation (1513–1532). Kirchenpolitik zwischen Friedrich dem Weisen und Johann Friedrich dem Großmütigen.

Verlag:

Wien u. a.: Böhlau Verlag 2017. 541 S. m. Abb. = Quellen und Forschungen zu Thüringen im Zeitalter der Reformation, 7. Geb. EUR 70,00. ISBN 978-3-412-50808-1.

Rezensent:

Stefan Michel

Johann von Sachsen (1468–1532) war der jüngste Sohn des Kurfürs-ten Ernst von Sachsen (1441–1486), der das Erwachsenenalter er­reichte. Eigentlich hatte er keine Aussichten, jemals an die Regierung des Kurfürstentums zu gelangen. Jedoch verfügte sein Vater in seinem Testament, dass Friedrich der Weise (1463–1525) Johann in die Regierungsgeschäfte einbinden sollte. So hielt es auch der ältere Bruder, nachdem Ernst überraschend im Jahr 1486 gestorben war. Bis zu Friedrichs Tod regierten beide Brüder das Kurfürs-tentum gemeinschaftlich, wobei Friedrich als Kurfürst selbstverständlich größere Verantwortung trug. Jedoch regierte Johann seit der Verwaltungsteilung (Mutschierung) im Jahr 1513 die fränkischen, thüringischen und vogtländischen Landesteile weitgehend selbständig. Hier räumte er auch in den frühen 1520er Jahren reformatorischen Aufbrüchen gewisse Spielräume ein. Nach Friedrichs Tod nahm Johann entschlossen lange liegengebliebene Reformmaßnahmen in Angriff: Dazu zählten beispielsweise die Reform des Hofgerichts im Jahr 1529 und Versuche der Stabilisierung des Finanzhaushalts. Johann ist bekannt durch sein Auftreten auf den Reichstagen 1526, 1529 und 1530, wo er sich für den Ausbau und den Erhalt der erreichten reformatorischen Maßnahmen einsetzte. Neben seinen dynastischen Verflechtungen halfen ihm dabei die geschlossenen Bündnisse. Durch Visitationen sorgte er dafür, dass sich die Wittenberger Reformation flächendeckend in seinem Kurfürstentum durchsetzte.
Bislang wurde dieses engagierte politische Auftreten Johanns monographisch nicht gewürdigt. Dafür liegt eine Reihe von Einzelstudien vor, die häufig schon ungefähr 100 Jahre alt sind. Darin liest man gelegentlich, Johann sei an der Regierung wenig interessiert gewesen, konnte nicht wirtschaften oder er sei von seinen Beratern abhängig gewesen. Friedrich der Weise wird als Kurfürst gerühmt – hier ist an die Biographie von Ingetraut Ludolphy (1921–2014) aus dem Jahr 1984 zu erinnern –, der im Reich angesehen war und Luther geschützt habe. Johanns Sohn Johann Friedrich (1503–1554), genannt der Großmütige, wird ebenfalls – vor allem durch die Biographie von Georg Mentz (1870–1943) aus den Jahren 1903 bis 1908 – gewürdigt, weil er seinen Vater beeinflusst und für die Wittenberger Reformation sogar seine Kurwürde geopfert habe. Johann regierte demnach tatsächlich nur zwischen 1525 und 1532 selbständig, was für viele Historiographen offenbar zu kurz ist, um das Kurfürstentum Sachsen nachhaltig zu prägen. Dabei wird übersehen, dass gerade diese Jahre eine wichtige »Sattelzeit« für die Reformation waren. Eine neue Monographie wird sich diesen Problemen stellen müssen, zu denen noch eine bislang ungenügende Quellenerschließung hinzutritt.
Im Jahr 2017 wurde an der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena die historische Dissertation von Doreen von Oertzen Becker angenommen. Ihre Druckfassung liegt inzwischen vor. Das Buch beginnt mit einer Einleitung (9–30), die vor allem den Forschungsstand skizziert. Eine methodische Besinnung über das Vorgehen und eine begriffliche Bestimmung, beispielsweise was der Begriff »Kirchenpolitik« meint, unterbleiben jedoch.
Darauf folgt ein eher biographischer Abschnitt, der mit »Persönliche Voraussetzungen« überschrieben ist (31–112). Hier werden die Ausbildung Johanns, die gemeinsame Herrschaft mit seinem Bruder, die Mutschierung von 1513, das Verhältnis zu Johann Friedrich und Johanns Beraterkreis vorgestellt. Gerade beim letzten Punkt fehlen wichtige Personen wie Burkhardt Hund (Finanzen), Johann Reinbott (Verwaltung), Philipp von Feilitzsch (diplomatische Missionen) oder Anarg von Wildenfels (Berater). Die Vfn. geht davon aus, dass Johann und seine Berater unerfahren in der Regierung gewesen seien, übersieht dabei aber ihre langjährigen Erfahrungen und die zu vollziehende komplizierte Entflechtung – bei gleichzeitiger Verschränkung! – der Verwaltungsbereiche der beiden Brüder.
Der dritte Abschnitt untersucht »Die Haltung Herzog Johanns zur frühen Reformation und ihren Trägern jenseits der Wittenberger Lehre – Landesherrliches Kirchenregiment nach 1517« (113–218). Die hier behandelten Personen und Ansätze werden nach »ihrer Radikalität und Ferne zu den Wittenberger Gelehrten« geordnet (114). Dabei handelt es sich um Thomas Müntzer, Andreas Karlstadt, Jakob Strauss, Nikolaus Hausmann und Wolfgang Stein. Erstaunlicherweise fehlen beispielsweise Friedrich Myconius oder Caspar Güttel, die Johann ebenfalls förderte. Leider gelingt es der Vfn. kaum, den eigentlichen Beitrag Johanns zur Reformation herauszuarbeiten. Die Darstellung bleibt über weitere Strecken im Allgemeinen. Eine stärkere begriffliche Präzisierung – was meint beispielsweise »Radikalität« und wie wird dieser Begriff verwendet? – hätte der Darstellung gutgetan. Ein Exkurs zu den »ersten evangelischen Visitationen in Thüringen« rundet das Kapitel ab (209–218).
Es folgen Darstellungen der »Innerwettinischen Auseinandersetzungen« (219–287), der »Kirchenpolitik Johanns nach 1525« (289–377), der »Bündnispolitik Kurfürst Johanns seit 1524« (379–484) sowie des »Einfluss[es] der Wittenberger Theologen auf das politische Handeln Johanns« (485–497). Auch in diesen Abschnitten leidet die Arbeit an der fehlenden eigenständigen Quellenarbeit und der mangelnden methodischen Durchdringung des Themas. Bisherige Urteile wie die »unbestreitbaren Defizite […] in Verwaltung und Landesorganisation« (507) werden ungeprüft wiederholt, ohne sie zu analysieren oder gar zu belegen. Mehrfach wird ein »Kreis um Gregor Brück« erwähnt, der Johann zur Reformation gedrängt habe (106 u. ö.). Doch wer gehörte dazu? Wie agierte dieser Kreis? Gab es ihn überhaupt? Wichtige Literatur zum Verständnis der Reformation, die den Blick durchaus geweitet hätte – wie z. B. Volkmar Joestel, Ostthüringen und Karlstadt (1996) –, blieb unbeachtet.
Eine Schlussbetrachtung (499–507) beschließt die Darstellung. Das Buch verfügt über ein Orts- und ein Personenregister (532–534 und 535–541).
Angesichts der eingangs erwähnten Bedeutung Johanns für die Reformation einerseits und der ambivalenten historiographischen Beurteilung seiner politischen, insbesondere kirchenpolitischen Leistungen andererseits muss gefragt werden, ob dieses Buch dieser Konstellation gerecht wird. Obwohl der Vfn. die Ausgangslage bewusst ist und sie das negative Johann-Bild revidieren möchte, löst sie diesen Anspruch nicht ein. Johann bleibt auch in dieser Studie der an Regierung und Finanzverwaltung Unterinteressierte. Friedrich und Johann Friedrich bleiben die führenden Reformationsfürsten. Eine historiographische Revision des Johann-Bildes kann nur mit einer Revision des Friedrich- und Johann-Friedrich-Bildes einhergehen und muss auf einer gründlichen Quellenarbeit beruhen. Das von der Vfn. vorgelegte Buch leistet dafür wertvolle Vorarbeiten, weil es zumindest den Forschungsstand vor dem Jahr 2017 einigermaßen zuverlässig zusammenfasst.