Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1036–1037

Kategorie:

Kirchengeschichte: Reformationszeit

Autor/Hrsg.:

Burnett, Amy Nelson, u. Emidio Campi [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Die schweizerische Reformation. Ein Handbuch. Dt. Ausg. i. Auftrag d. Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes bearb. u. hrsg. v. M. E. Hirzel u. F. Mathwig.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2017. 740 S. m. zahlr. Abb. Geb. EUR 80,00. ISBN 978-3-290-17887-1.

Rezensent:

Marco Hofheinz

Nachdem 2016 der englischsprachige Band »A Companion to the Swiss Reformation« von Amy Nelson Burnett (Lincoln, Nebraska) und Emidio Campi (Zürich) bei Brill (Leiden & Boston) herausgegeben wurde, erscheint nun bereits ein Jahr später die deutsche Übersetzung bei TVZ (Zürich). Dies ist zweifellos das Verdienst des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbundes (SEK/FEPS) bzw. der beiden Herausgeber der deutschsprachigen Ausgabe Martin Ernst Hirzel und Frank Mathwig (beide Bern), die von einer schier unüberschaubaren (vgl. 4) Zahl von Kirchen, Kirchengemeinden, Stiftungen und Institutionen als Donatoren unterstützt wurden.
Der Band gliedert sich in drei Teile von je eigenem Charakter. Im ersten Teil »Hintergründe« (15–68) wird nach einer forschungsgeschichtlich orientierten und die Disposition des Bandes erläuternden Einführung der beiden Herausgeber der englischsprachigen Ausgabe von Regula Schmid die Situation der Schweizer Eidgenossenschaft vor der Reformation geschildert, wobei sie explizit auf die geographische Lage und das wirtschaftliche Umfeld sowie die po-litische Welt eingeht, um die »gemeinsame Basis« (58–68) vor der Reformation zu schildern. Deren Entfaltung erfolgt anschließend im zweiten Teil (69–446), dem eigentlichen Hauptteil des Handbuchs. Als Gliederungsprinzip fungieren in den neun Beiträgen die »Orte« der Reformation in der Schweiz, nämlich die Städte Zürich, Bern, Basel, Schaffhausen sowie die ländlichen Gebiete St. Gallen und Appenzell. Darüber hinaus werden »Gescheiterte Reformationen« in verschiedenen Stadtstaaten, Länderorten und Herrschaften sowie zugewandten Orten erschlossen (271–299) sowie die Reformation und Konfessionalisierung in den Drei Bünden/Graubün den (301–365) sowie den verbündeten französischsprachigen Ge-bieten der Schweizer Eidgenossenschaft (367–394).
Die von der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) im Rahmen des Reformationsjubiläums ins Leben gerufene Initiative der »Reformationsstädte« wirkt in diesem zweiten Teil gewissermaßen ordnungsgebend nach. Hier musste die Berücksichtigung der »Orte« sicherlich selektiv und exemplarisch bleiben, wenngleich man natürlich fragen kann, warum etwa Glarus, wo Zwingli vor seiner Zürcher Zeit als Pfarrer wirkte (vgl. 78: »Zwinglis zehnjähriges Wirken in Glarus bildete den Grundstein für seinen späteren Werdegang zum Reformator«) und wo die beiden Reformatoren Fridolin Brunner und Valentin Tschudi tätig waren, nicht mit einem eigenen Kapitel bedacht wurde. Ein eigenes Kapitel wird hingegen dem »Schweizer Täufertum« (395–446) reserviert. So berechtigt dies nicht zuletzt aufgrund des »dunklen Schattens« (92) ist, den der Umgang mit dem Täufertum auf die Reformation in der Schweiz wirft, so stellt dieser Umstand doch hinsichtlich der Disposition des Bandes eine Asymmetrie bzw. Inkonsequenz dar. Zumindest wird dadurch erkennbar das ansonsten kohärent berücksichtigte Orts- als Ordnungsprinzip durchbrochen. Andrea Strübind entfaltet in besagtem Kapitel kundig ihren eigenen pointierten Täuferforschungsansatz, der mit der Forderung nach einer Abkehr von der »revisionis-tisch-sozialgeschichtlichen Täuferforschung« einhergeht (vgl. 405 f.411–13.424). Man könnte hier fragen, ob die sozialrevolutionären Tendenzen im frühen Täufertum nicht zu klein geschrieben werden. Insbesondere der Zusammenhang von Täufertum und Bauernunruhen ist nach wie vor strittig (vgl. 416 f.497 u. ö.).
Der dritte Teil (447–623) des Handbuchs ist den Wirkungen der schweizerischen Reformation gewidmet. Er fokussiert verschiedene (Lebens-)Bereiche der Reformation wie Gemeinwesen und Gottesdienst in den schweizerischen reformierten Kirchen, das Schul- und Bildungswesen zwischen 1500 und 1600, die Schweizer Gesellschaft im Blick auf Familie, Geschlechterrollen und die Armen sowie die Reformationskultur. Gerahmt wird der dritte Teil durch eine prägnante Exploration des theologischen Profils der Reformation in der Schweiz (449–493), die aus der Feder Emidio Campis stammt und in der besonders Zwingli und Bullinger (weniger stark Calvin und der Calvinismus) sowie Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zur lutherischen Reformation zur Sprache kommen, und eine von Thomas Maissen verfasste, gelungene Übersichtsdarstellung des religiösen Patts und der konfessionellen Allianzen (»Dynamiken und Stagnation«) in der Eidgenossenschaft von 1531 bis 1618 (595–623). Sicherlich hätte man die Wirkungsgeschichte diachron wie synchron noch breiter bzw. länger, ja unter Umständen sogar bis in die Gegenwart hinein verfolgen können, wobei ein solches Postulat natürlich schnell erhoben, aber aufgrund der Breite der geforderten Unternehmung ungleich schwerer eingelöst werden kann. Der Band weist ohnehin bereits einen sehr stattlichen Umfang auf, ohne allerdings unübersichtlich zu wirken.
Mustergültig erschlossen wird der vorliegende Band durch ein Register (701–740) zu Orten, Personen und Sachen sowie einen Anhang (625–699), der ein Verzeichnis und Nachweis der zahlreichen, zum Teil bunten Abbildungen liefert, die den Band auch optisch sehr ansprechend erscheinen lassen, sowie ein Verzeichnis und Nachweis der den sonstigen Abbildungen keineswegs nachstehenden Karten sowie der Abkürzungen, Literatur, der Autorinnen und Autoren und der Herausgeberschaft. Es lässt sich festhalten, dass das Handbuch die Reformation als »eines der ganz großen Ereignisse der schweizerischen Geschichte« (17) in gelungener Weise veranschaulicht und das unverwechselbare, sich im Laufe des 16. Jh.s entwickelnde Profil der Schweizer Reformation geradezu »konzertant« im Zusammenklang der diversen Beiträge vorbildlich aus einem interkontinentalen Forschungszusammenhang heraus crossover erarbeitet (vgl. 26). Das Handbuch zeichnet so »die komplexen Transformationsprozesse der schweizerischen Reformation von einer diffusen Bewegung zu einer konsolidierten Kirchengemeinschaft mit wohldefinierten Glaubenssätzen und Praktiken nach« (ebd.). Dieser Band gehört zweifellos zu den positiven Ergebnissen des Reformationsjubiläums und wird sicherlich im Blick auf die Rezeptionsgepflogenheiten zum Standardwerk werden, um endlich auch den zweiten Band von Rudolf Pfisters »Kirchengeschichte der Schweiz« zu beerben.