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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1031–1033

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Rusam, Dietrich

Titel/Untertitel:

Der erste, zweite und dritte Johannesbrief.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2018. XI, 236 S. = Die Botschaft des Neuen Testaments. Kart. EUR 18,00. ISBN 978-3-7887-3129-8.

Rezensent:

Johannes Beutler

Der vorgelegte Kommentar des Bamberger Privatdozenten Dietrich Rusam wendet sich an ein weiteres Publikum, stützt sich jedoch auf eine längere Auseinandersetzung mit der Forschungslage. Einige Hauptautoren werden am Schluss genannt, nachdem im Buch selbst auf Anmerkungen verzichtet wurde. R. sieht die drei Johannesbriefe in einer Entwicklungslinie, an deren Anfang wohl das Johannesevangelium stand. Der erste Johannesbrief hätte sich angeschlossen, an ihn die beiden kleineren Briefe, wohl in der über lieferten Reihenfolge, da sich der 3Joh auf den 2Joh zu beziehen scheint.
Das klingt plausibel. Zuzustimmen ist R. auch in der Auffassung, dass es sich im 1 (und 2) Joh wohl nicht um Gegner handelt, die eine nicht-rechtgläubige Christologie vertreten hätten, obwohl dies immer wieder behauptet wird, also etwa um frühe Gnostiker oder Doketen. Die Texte vor allem im 1Joh (2,22 f.; 4,2 f.; vgl. 2Joh 7) richten sich gegen Leugner der Gottessohnschaft Chris­ti und nicht einfach seiner wahren Menschheit.
Von hier aus kommt R. dann zu seiner Hauptthese, die sich durch die Auslegung der drei Johannesbriefe zieht, dass es nämlich in ihnen um eine Auseinandersetzung mit bisherigen Gemeindemitgliedern geht, die in Gefahr standen, zum Judentum zurückzukehren, oder diesen Schritt bereits vollzogen hätten. Sie würden also Jesus als Gottessohn leugnen. Diese These wurde für einen Teil der Gegner von St. S. Smalley (1/2/3John, WBC 51, Nashville 1984), für die Gegner generell von F. Vouga vertreten (Die Johannesbriefe, HNT 15/III, Tübingen 1990), bleibt aber minoritär. Eher wurde und wird die These eines unvollkommenen christologischen Bekenntnisses vorgezogen. Hiergegen sprechen jedoch die oben angeführten Texte (1Joh 2,22 f.; 4,2 f.). Die Gegenthese wäre nach Meinung des Rezensenten (vgl. Die Johannesbriefe, RNT, Regensburg 2000) mit einem Vorläufer bei K. Grayston (The Johannine Epistles, NCeB, Grand Rapids, MI, 1984), dass bei den Gegnern ein anthropologischer Irrtum vorliegt. Es handelt sich um eine charismatisch-enthusiastisch geprägte Menschengruppe, die sich so sehr vom Geist erfüllt und »gesalbt« sah, dass sie einen »Christus« im engeren Sinne nicht mehr nötig hatte. Sieht man es so, dann zeigt sich die innere Einheit der Abschnitte über den wahren Christusglauben und die geschwisterliche Liebe. Wer so vom Geist erfüllt ist, dass er keinen Christus mehr nötig hat, der steht auch über den Geboten und nicht zuletzt dem der Bruderliebe.
Bei R. gliedert sich der 1Joh nicht in drei Hauptteile, wie jüngst oft bevorzugt, sondern sechs, wobei dann die Abschnitte über den Christusglauben und die Bruderliebe nicht selten unverbunden nebeneinanderstehen (in 1,5–2,1 noch verbunden, dann 2,15–28; 2,29–3,22; 3,23–4,6; 4,7–5,3 und 5,4–13). Die Abgrenzung der einzelnen Abschnitte erfolgt eher nach theologischen als nach sprachlichen Gesichtspunkten. So läuft bei R. durch die zumeist dreifachen Antithesenreihen, die den ganzen ersten Brief durchziehen, gelegentlich eine Trennungslinie, was es schwerer macht, dem Gedankengang zu folgen. Dies ist etwa in einem Abschnitt der Fall, wo der Rezensent auch eine andere Übersetzung (jetzt mit der Revidierten Einheitsübersetzung) vorschlagen würde. R. teilt hier ein in 1Joh 3,10–18 (Gotteskindschaft und Liebe bzw. Hass), 3,19–22 (Das Erkennen der Kinder Gottes), 3,23 (Glaube an Jesus Christus und Bruderliebe) und 3,24–4,3 (Erkennbarkeit des wahren Glaubens). In 3,19 übersetzt er mit der Mehrzahl der (nicht nur reformatorischen) Kollegen: »wir werden unser Herz vor ihm (Gott) beschwichtigen.« Vieles spricht indes dafür, dass es hier im Rahmen des Kontextes darum geht, dem Herzen gut zuzureden. Hier hilft ein erneuter Blick auf den Textzusammenhang. Die tätige Bruderliebe ist der Inhalt von 1Joh 3,11–24.
Im Zentrum stehen hier drei Antithesen (wie auch sonst durchgängig im 1Joh), die sich in den Versen 15–22 finden. Die dritte stellt gegenüber, dass uns unser Herz (wegen versäumter Bruderliebe) verklagt oder uns nicht verklagt. Nach V. 19 sollten wir unserem Herzen »zureden« (πείθειν), wie es im Kommentar des Rezensenten und in der Revidierten Einheitsübersetzung (»überzeugen«) heißt, im Bewusstsein, dass Gott größer ist als unser Herz und alles weiß. So gibt es vor ihm keine Ausflüchte. Hier die Rechtfertigung des Sünders zu sehen, ist zwar inzwischen in beiden Konfessionen verbreitet, erscheint aber angesichts des syntaktischen Aufbaus verfehlt. Im Grund ist es dann ja gleichgültig, ob uns unser Herz verklagt oder nicht. Das dürfte aber nicht sein, denn der Duktus des ganzen Abschnitts ab V. 11 ist doch, zur helfenden Hand hinzuführen, und nicht zum Rechtfertigungsglauben.
Auch im 2Joh sieht R. noch die Situation gegeben, dass bisherige Gemeindemitglieder zum Judentum zurückkehren. Nach R. sollte man sie immer noch als Brüder oder Schwestern ansehen. Dies ist bei Diotrephes im 3Joh offenbar nicht der Fall, und gerade darin könnte der Zwist zwischen ihm und dem »Alten« begründet liegen, der auch in solchen ehemaligen Gemeindemitgliedern noch »Brüder« sieht und ihnen nicht die Tür weist.
Eine weitere Eigentümlichkeit des vorgelegten Kommentars besteht darin, dass R. im Antichristen und im »Bösen« (1Joh 2,13 f.; 5,18 f.) auf der geschichtlichen Ebene den römischen Kaiser sieht. Die Briefe würden dann dazu ermutigen, ihm gegenüber standhaft zu sein. Ja, die Aufforderung, keine Angst vor dem »Gericht« zu haben (1Joh 4,17), könnte auch auf weltliche Gerichte anspielen (109 f.). Ob die Texte das hergeben, muss die Diskussion ergeben. Wenn am Schluss des 1Joh in 1Joh 5,21 vor den Götzen gewarnt wird, dann muss sich dieser Satz nicht ausschließlich auf den Kaiserkult beziehen, sondern könnte auch die Verehrung der griechisch-römischen oder orientalischen Gottheiten und ihrer Standbilder meinen.