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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1027–1029

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Loader, William

Titel/Untertitel:

Jesus in John’s Gospel. Structure and Issues in Johannine Christology.

Verlag:

Grand Rapids u. a.: Wm. B. Eerdmans 2017. 542 S. Kart. US$ 45,00. ISBN 978-0-8028-7511-2.

Rezensent:

Nadine Ueberschaer

William Loader verfolgt in seinem Buch das Ziel, die christologische Grundstruktur des vierten Evangeliums herauszuarbeiten, um auf dieser Grundlage einzelne Themen, wie die Deutung des Todes Jesu bei Johannes, zu analysieren. Dabei zeigt die ausführliche Einleitung zu Bultmann und dessen Einfluss auf die johanneische Forschung, dass sich L. dessen Johannesforschung verpflichtet weiß. Methodisch geht er von der Prämisse aus, dass das vierte Evangelium eine Bandbreite christologischer Motive aufweise, die verbunden seien durch eine ihnen zugrundeliegende central structure (45 u. ö.). Diese versucht er herauszuarbeiten, indem er die Texte auf Motive und Bilder hin untersucht, die häufig und in Kombination vorkommen. Besonderes Augenmerk richtet er dabei auf kleine Abschnitte, die er als summary statements (45) klassifiziert, sowie auf Diskurse, in denen es um Jesu Funktion und Wesen geht.
Als Ausgangspunkt seiner Analysen wählt er Joh 3,31–36; 12,44–50 und 8,12–19 und gelangt zu einem vorläufigen Ergebnis, indem er sechs christologische Aussagen formuliert, die er aus den ge­nannten Texten herausarbeitet. Im Folgenden werden diese dann je einzeln im Horizont des gesamten Evangeliums diskutiert, bevor er sich im Anschluss daran erneut summary statements (63–67) zu­wendet, um an ihnen noch einmal die von ihm identifizierte chris-tologische Struktur aufzuzeigen. Mit seiner methodischen Herangehensweise wendet sich L. – unter stichwortartigem Rekurs auf verschiedene Forschungspositionen – gegen jene Versuche, in de­nen einzelne christologische Themen bzw. Textabschnitte des Johannesevangeliums zum hermeneutischen Schlüssel für das Gesamtverständnis johanneischer Christologie erhoben werden (41–44). Gerade an diesem Punkt stellt sich jedoch die Frage, inwiefern sich L.s Methodik von solchen Ansätzen unterscheidet. Denn zum einen wirkt die Auswahl der von ihm untersuchten Texte willkürlich: Mit welcher Begründung können ausschließlich Joh 3,31–36; 12,44–50 und 8,12–19 als Ausgangspunkt für die Untersuchung der johanneischen Christologie fungieren? Eine Frage, der sich L. in der Studie nicht stellt. Irritierend ist zudem die Reihenfolge, in der L. die Texte betrachtet, insbesondere vor der durchaus zu­treffenden Bemerkung, dass sich einige der Textabschnitte an besonderen Wendepunkten in der Evangeliumsdarstellung befänden (67). Es stellt sich daher die Frage, ob L.s Vorgehen nicht an Transparenz und Objektivität gewonnen hätte, wenn er den Text des Evangeliums in seiner vorliegenden Gestalt auf christologische Aussagen hin analysiert und dabei die narrativen Spannungsbögen bei seiner Auslegung berücksichtigt hätte. Dann wäre es weniger überraschend, dass sich in Bekenntnissen der literarischen Figuren zentrale christologische Aussagen finden, ebenso wie an Wendepunkten der Darstellung, wie dem Ende des öffentlichen Wirkens Jesu in Joh 12, oder den Abschiedsreden. Nachvollziehbar wäre dann auch L.s Beschäftigung mit dem sogenannten Hohepriester lichen Gebet in Joh 17 aufgrund seiner christologischen Dichte, verwundert hingegen bei der postulierten Abgrenzung von Entwürfen, die die johanneische Christologie von einem zentralen Text ausgehend erschließen.
Zum anderen ist kritisch zu fragen, welchen Erkenntnisgewinn die von L. benannten zentralen Aussagen zur johanneischen Chris-tologie – dass der Sohn als der vom Vater Gesandte autorisiert sei, den Vater bekanntmache und zum Vater zurückkehre – über die Einsichten in die Sendungschristologie hinaus haben (56 f.). L. selbst möchte ihn in der johanneischen Modifikation erkennen, die in der Betonung der Beziehung der Glaubenden zum Gesandten bzw. zu Gott bestehe (474).
Im zweiten Teil seiner Studie widmet sich L. einzelnen Themen der Christologie wie der Bedeutung des Todes Jesu und dem Heilsgeschehen, bevor eine abschließende Betrachtung des Evangeliums aus der Perspektive seiner Christologie das Werk beschließt. Hier zeichnet sich L.s Arbeit durch detaillierte Textbeobachtungen aus, bei denen er sowohl (meistens) den unmittelbaren Kontext als auch das gesamte Evangelium und darüber hinaus die alttestamentliche und frühjüdische Tradition sowie andere frühchristliche Diskussionen für ein sachgemäßes Verständnis der Texte heranzieht. Als Beispiel sei auf seine Ausführungen zu Joh 1,29 verwiesen, in denen er einerseits den Vers von der Darstellung der johanneischen Pas-sionsgeschichte her synchron deutet und zugleich als möglichen traditionsgeschichtlichen Hintergrund die jesajanischen Gottesknechtslieder diskutiert. Aus exegetischer Sicht erfreulich ist L.s spielerischer Umgang mit dogmatischen Kategorien zur Deutung des Todes Jesu, wie einem stellvertretenden, apotropäischen oder einem Sühnetod, indem er verschiedene Aspekte dieser Verständnisse anhand einzelner Texte diskutiert, demgegenüber aber letztlich immer aufgrund der Textanalysen deren begrenzte Anwendbarkeit auf die Texte benennt.
Zugleich tritt hierin jedoch auch eine Schwäche der Arbeit zutage, die darin besteht, dass L. sehr zurückhaltend gegenüber aus den Textanalysen gewonnenen Deutungen des Todes Jesu bleibt und gleichsam bei der Problemanzeige, dass dogmatische Kategorien nur bedingt auf die Texte anwendbar sind, stehen bleibt. Exemplarisch sei hier auf seine Ausführungen zu Joh 6,51–58 verwiesen (169–171). Anders als zuvor vernachlässigt L. hier eine Kontextualisierung des Abschnitts innerhalb des Evangeliums. Stattdessen fokussiert er aufgrund der vorangegangenen Lebensbrotrede allein auf eine mögliche eucharistische Deutung. Diese könne zwar eine Deutung des Todes inkludieren, aber dennoch bliebe offen, welche Bedeutung der Verfasser des Evangeliums dem Sterben Jesu beigemessen habe. Dies verwundert in mehrfacher Hinsicht: einmal aufgrund der zutreffenden Beobachtung, dass hier aus der nachösterliche Perspektive erzählt werde, da ja vom hinaufgehenden Menschensohn (6,62) die Rede sei – die Erhöhung ans Kreuz und Rückkehr zum Vater folglich vorausgesetzt ist und somit ein Bezug zum Tod Jesu vorliegt – und andererseits in Bezug darauf, dass L. es versäumt, den positiven soteriologischen Effekt der (Hin-)Gabe des Fleisches und Blutes Jesu zu berücksichtigen – nämlich Leben für die Welt (6,51c), das im Kontext der Lebensbrotrede rückgebunden ist an den Glauben an den, der das Brot des Lebens ist und aus dessen Empfang das Leben folgt. Leben wird hier durch einen Vergleich zum Manna vor der Negativfolie des Sterbens (6,49 f.) entfaltet. Nähme L. diese Bezüge wahr und setzte Joh 6,51c–58 im Kontext des sechsten Kapitels in seiner literarischen Einheitlichkeit in Bezug zum Lebens- und Todesverständnis des vierten Evangeliums, dann wäre es ihm möglich, die soteriologischen Implikationen des Todes Jesu zugunsten der Glaubenden in Form der Gabe des Lebens und dem dadurch bedingten Übergang aus der Todverfallenheit und dem spirituellen Totsein im Sinne einer »Geburt von oben« herauszuarbeiten (vgl. dazu Joh 5,24 f.; Joh 3,3). Gegen L. muss hier argumentiert werden, dass in all diesen Passagen die nachösterliche Perspektive und der Bezug zu Jesu Tod am Text aufgezeigt werden kann. L. verneint dies jedoch und damit auch die Annahme, dass das Leben für die Glaubenden erst aufgrund des Todes Jesu möglich werde, wegen seiner zu Beginn herausgearbeiteten christologischen Grundstruktur, die er in der Sendung und der damit verbundenen Offenbarung des Vaters durch den Sohn erkennt. Dabei wäre diese Perspektive durchaus kompatibel mit der im Folgenden von L. skizzierten Deutung des Todes Jesu als Gericht über den Herrscher der Welt (207–211) und hätte zudem zu einer anderen Auslegung der Darstellung Jesu als König in der Passionserzählung geführt (204 f.), die die Verbindung mit der Rede von der Königsherrschaft Gottes in Joh 3 hätte integrieren können. Stattdessen bleibt L. dabei, das Zentrum der Christologie in der Sendung des Sohnes zu sehen, dessen Tod das Gericht über den Herrscher der Welt und die Sünde derjenigen bedeute, die den Gesandten ablehnen. Für die Glaubenden ermögliche der Tod ein vertieftes Verstehen dessen, wer der Sohn ist, und seiner Offenbarung (280 f.). So zeichnet L. die johanneische Christologie im Rahmen der Christologie des gesandten Offenbarers, der den Vater verkündigt und den Glaubenden als gehorsamer Sohn die Aufnahme in die Gottesgemeinschaft ermöglicht.
L.s Werk zeichnet sich durch präzise Textbeobachtungen aus. Er diskutiert Literatur zum Johannesevangelium so, dass der Leser einen Überblick über die Forschungsgeschichte gewinnt. Dabei gelingt es ihm, stets verschiedene mögliche Deutungsaspekte zu berücksichtigen, bevor er sich abschließend mit eigenen Schlussfolgerungen positioniert.