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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1018–1022

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Otto, Eckart

Titel/Untertitel:

Herders theologischer Kommentar zum AltenTestament: Deuteronomium 12–34. Hrsg. u. übers. v. E. Otto. 2 Teilbde.

Verlag:

Freiburg i. Br. u. a.: Verlag Herder. Erster Teilbd.: 12,1–23,15. 2016. 744 S. Geb. EUR 110,00. ISBN 978-3-451-25077-4. Zweiter Teilbd.: 23,16–34,12. 2017. 584 S. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-451-25078-1.

Mit zwei kurz hintereinander erschienenen Teilbänden zu Dtn 12–34 hat Eckart Otto sein Projekt der Kommentierung des Dtn zum Abschluss gebracht. Angesichts vieler seit Jahren stockender Projekte bei diesem Buch ist die Veröffentlichung der insgesamt vier Bücher zwischen 2012 und 2017 äußerst bemerkenswert. Es handelt sich bei den 2300 Seiten um eine beeindruckende Synthese, die die relevante Diskussion am Dtn präsentiert und diskutiert. Der relativ schmale Zeitrahmen hat dabei zur Folge, dass das Werk inhaltlich und von der Gliederung her sehr geschlossen ist, wobei die aktuelle Forschungsliteratur zum Dtn insgesamt wie zu den einzelnen Abschnitten und Themen aufgenommen worden ist. Dem r elativ begrenzten Zeitrahmen, in dem der Kommentar abgeschlossen worden ist, sind allerdings mehr als zwei Jahrzehnte intensivster Forschung am Dtn und Pentateuch sowie am altorientalischen Recht vorausgegangen. Die Konsistenz des Werkes zeigt sich bspw. daran, dass in der Einleitung zum Gesamtwerk die hermeneutischen Konzepte der Endgestalt vorgestellt werden, deren Entfaltung dann aber erst bei der Kommentierung der hinteren Rahmenkapitel erfolgt. Der Kommentar präsentiert traditionsgeschichtlich und literarhistorisch ein Gesamtkonzept der Entstehungsgeschichte nicht nur des Dtn und des Pentateuchs, sondern er zeichnet ebenfalls die Geschichte des Rechts im Alten Israel bis hinein in die hermeneutischen Konzepte bei der Entwicklung der Tora in der Perserzeit nach, wo sie als Keimzelle für die Halacha des Judentums gewirkt hat. Im zweiten Teil des Kommentars, der hier zu besprechen ist, liegt der Schwerpunkt auf dem Gesetzeskorpus. Das zeichnet sich auch am Umfang ab. Fast 1000 Seiten sind den Kapiteln Dtn 12–26 gewidmet.
Die beiden Teilbände zu Dtn 12–34 folgen im Aufbau der Kommentierung des vorderen Rahmens des Gesetzeskorpus Dtn 1–11. An den Anfang der Auslegung der einzelnen Unterabschnitte ist jeweils eine Einleitung zu den größeren Einheiten gestellt. Der zweite Band setzt mit einer ausführlichen Forschungsgeschichte zur rechtsgeschichtlichen Verortung und Struktur von Dtn 12–26 ein. An ihrem Anfang steht eine Bibliographie, in der mitunter leider die nachfolgend dargestellten Studien fehlen, da sie schon in vorangehenden Bibliographien aufgeführt sind, so dass man im Zweifel sehr viel blättern muss. Ein Namenregister am Ende des Gesamtwerkes wäre hier eine Hilfe gewesen. Generell wäre das eine sinnvolle Ergänzung für die Einzelbände der Reihe.
Die nachfolgende forschungsgeschichtliche Einleitung wird in fünf Schwerpunkten geboten. Der erste Abschnitt (1082 ff.) widmet sich der Anordnung der Gesetze. Die Überschrift erweckt zunächst den Eindruck einer rein diachronen Fragestellung, doch geht es auch um die Komposition der Keilschriftsammlungen, so dass im Prinzip sämtliche Erklärungsmöglichkeiten für den Aufbau des dtn Gesetzeskorpus eingeschlossen sind. Einen Schwerpunkt bilden die Thesen der Dekalogstruktur. Im zweiten Abschnitt wird neben einem Überblick über die Literar- und Rechtsgeschichte des Bundesbuches das Verhältnis von Bundesbuch und Dtn in den Blick genommen. Dass der nachfolgende Abschnitt (1108 ff.) nach 1082 ff. und der betreffenden Passage im Teilband Dtn 4,44–11,32 (699 ff.) noch einmal die eigene These zum Verhältnis von Dekalog und dtr Dtn vorstellt, überrascht zunächst. Begründet ist dies aber in der These selbst. Denn O. sieht einen dtr Pentalog zusammen mit und für die dtr Fassung des dtn Gesetzeskorpus als geschaffen an. Dem stellt er die inzwischen durch B. Kilchör erneut aufgeworfene Suche nach einer Dekalogstruktur gegenüber. Zuletzt wird die Diskussion des Verhältnisses von dtn Gesetzeskorpus und Heiligkeitsgesetz präsentiert.
Es folgen die Kommentarabschnitte. Hier werden wiederum größere Zusammenhänge jeweils durch umfassende Überschriften markiert, doch die Einzeltexte in der Kommentierung durchlaufend gezählt. Dies führt zu Überschneidungen. Bspw. findet sich vor Dtn 12–26 insgesamt eine solche Überschrift (1073). Auf derselben Stufe folgt danach aber die Zusammenbindung von Dtn 12,1–13,19 als »Hauptgebote der Kulteinheit und Loyalität«. Diese Überschneidungen sind auch schon im ersten Band anzutreffen und gehen zum Teil über die Bandgrenze hinaus. Sie zeigen das mehrschichtige Gliederungssystem des Buches und die enthaltenen inhaltlichen Bezüge auf. Die kommentierenden Abschnitte bieten nach einer Bibliographie, Übersetzung und einer Besprechung der Textgeschichte eine synchrone Analyse, in der dem Aufbau und der Argumentationsstruktur nachgegangen wird. Es folgt die Darstellung der Entstehung des Textes, die zunächst wesentliche redaktionsgeschichtliche Hypothesen präsentiert und in die eigenen Thesen mündet. Dieser jeweils thetisch formulierte Abschnitt hat seine Entfaltung im Abschnitt »Auslegung«, wo dann jeweils auch die form- und traditionsgeschichtlichen Thesen zum Abschnitt bzw. zu Unterabschnitten oder bestimmten Begriffen stehen und außerdem an Schlüsselstellen Exkurse enthalten sind. Die Auslegung flankiert somit sowohl die Forschungspositionen zur Literargeschichte als auch die eigene These zur Literargeschichte, präsentiert aber zugleich die nötige Vers-für-Vers-Auslegung. Im Gegenüber zur ersten synchronen Analyse werden hier die Probleme und Spannungen bzw. die hermeneutischen Anliegen der späteren Autoren deutlich. Die Kommentierung der Einzelabschnitte schließt jeweils mit einer zusammenfassenden synchronen Betrachtung, in der die Stellung des jeweiligen Abschnittes in der Theologie und Rechtshermeneutik des Dtn reflektiert wird. Die Einzeltexte des Dtn als Teil eines gewollten Ganzen zu begreifen, ist ein in der historisch-kritischen Exegese mitunter vernachlässigter Aspekt.
Wie bereits festgestellt liegt der Schwerpunkt des Kommentars auf dem Gesetzeskorpus. Das Werk entschlüsselt aus Perspektive des Dtn die Rechtsgeschichte Israels. Dazu konnte O. die vielfältigen eigenen Studien zum Vergleich der biblischen Gesetzeskorpora mit der altorientalischen Rechtsgeschichte einbeziehen, was er einerseits in den Abschnitten der Auslegung bei traditionsgeschichtlichen Überlegungen, andererseits in Exkursen, die auch die entsprechenden Diskurse der Forschung fortführen, tut. Insbesondere werden die Bezüge der dtn Namenstheologie zum Alten Orient (1174–1176) diskutiert, die Geschichte der neuassyrischen Loyalitätseide dargestellt (1241–1253), die Programme der sozialen Gerechtigkeit im Alten Orient als Kontext von Dtn 15 herausgearbeitet (1341–1349) und die mesopotamische Kriegsideologie als Hintergrund von Dtn 21 gesehen (1598–1604).
An allen diesen Abschnitten präsentiert O. eine Synthese seiner rechtsgeschichtlichen Studien, die er über viele Jahre in Aufsätzen und Monographien sowie in Besprechungen vorgelegt hat. Vergleicht man die Abschnitte mit den früheren Forschungen, wird deutlich, dass O. in allen Bereichen weitergearbeitet und weitergedacht hat. Bspw. hat er Form und Funktion der Rede vom »Wohnen des Namens« in der Auseinandersetzung mit entsprechenden Vergleichen mesopotamischer Formulierungen als eine Form von Repräsentanztheologie interpretiert und eine perspektivische Aufnahme des Altargesetzes wahrscheinlich gemacht. Auch verknüpft O. seine Argumentation nicht mehr mit der Frage, warum der Name der Stadt Jerusalem im Gesetzeskorpus nicht erwähnt wird. In seinem Beitrag von 2007 begründete er das damit, dass das Dtn ursprünglich ein »subkutaner, staatskritischer Entwurf« ( ZAR 13 [2007], 248) sei.
Der Abschnitt über die Namenstheologie hat seinen Platz in der Besprechung von Dtn 12, das die Exegese besonders beschäftigt hat. Denn das Kapitel präsentiert die Vorschrift zur Kultzentralisation in mehreren Versionen, was schon die rabbinische Exegese umgetrieben hat, weswegen man in den Midraschim den Versionen unterschiedliche Kontexte zugewiesen hat. Der Numeruswechsel in Dtn 12 und (letztlich ausgehend von diesem Kapitel) im Dtn insgesamt galt lange Zeit als literarkritisches Kriterium, um die verschiedenen Versionen bzw. Schichten voneinander abzugrenzen. Allerdings war sein Zustandekommen selbst nie suffizient erklärt worden. O. präsentiert zunächst eine Gliederung des Textes. Er unterscheidet Dtn 12,13–19 als lex generalis von einer lex specialis in Dtn 12,20–28, die relevant ist bei der Erweiterung des Gebietes, und sieht darin die Vermittlung einer Rechtsnovellierung »durch die Konstruktion einer gewandelten Situation einer Applikation dieses Rechtssatzes« (1141). In der Auseinandersetzung mit den Thesen von N. Lohfink zum Numeruswechsel schlussfolgert O. für das übrige Kapitel, dass der Wechsel nicht primär auf die Textgenese zurückzuführen sei, sondern dass die späteren Autoren »die hermeneutische Funktion des Numeruswechsels in Dtn 12 bewahrt« (1145) hätten. Seine Funktion besteht darin, dass in dem singularischen Abschnitt die intendierten Adressaten des Dtn direkt angesprochen werden (O. spricht wie z. T. in der alttestamentlichen Exegese üblich von »Erzählzeit«), während in den pluralischen Abschnitten, wie durch die in den Versen gleichzeitig vollzogenen historisierenden Verortungen ebenfalls erkennbar ist, Mose sich in prophe-tischer Weise an die ihm gegenüberstehenden Israeliten richtet (nach O. »erzählte Zeit«).
Durch die Rahmung, die durch den Plural auf die Adressaten des Mose gerichtet ist, werde das Kapitel zu einer Prophetie des Mose und zur Auslegung der Sinaitora, um »seinen Adressaten auch in der nachexilischen Erzählzeit des Dtn in Dtn 12 nicht die Säkularisierung des Landes oder gar die Abrogation der Sinaitora anzukündigen, sondern in deren Auslegung die Heiligung des Landes, werde doch das ganze Land JHWHs Herrschaft unterstellt, wie es in der Auslegung des Altargesetzes des Bundesbuches in Dtn 12,13–19 und der Zentralisationsformel erkennbar wird.« (1200) Der Numeruswechsel, so möchte man im Anschluss an O. formulieren, ist also bei der sukzessiven Historisierung des Dtn in seiner dtr Ausformulierung entstanden. In den Fortschreibungen des Dtn lässt man Mose immer weiter über sich hinaus auf die Situation der intendierten Adressaten blicken, indem man den Standort des Mose betont. Mose wird hier faktisch zu seinem eigenen Interpreten. Diese meiner Ansicht nach absolut schlüssige Erklärung des Numeruswechsels stellt eine echte Zäsur in der Forschung dar. Sie vermag die älteren Beobachtungen zu integrieren, dass sich die literarischen Schichten zumindest teilweise durch die Eigenheit des Numerus auszeichnen. Freilich fragt man sich, was dann konkret bei den intendierten Adressaten vorausgesetzt ist. Meiner Ansicht nach müssen sie Kenntnis bspw. von einem Zentralisationsgesetz, das nur Dtn 12,13–19 umfasst, gehabt haben. Deshalb wird nun eine umfangreichere und durch die Ergänzung novellierte Form des Gesetzes präsentiert. Da es sich offenbar um die Arbeit der dtr Tradenten am ursprünglichen Dtn handelt, frage ich mich, ob sich nicht die Konzeption eines Kommunikationswechsels und der Einführung des Mose als Mittler, die ich seinerzeit für den Numeruswechsel in Dtn 1–3 verantwortlich gemacht habe (vgl. Heckl, Moses Vermächtnis, 447 f.), auf die Konzepte im Gesetzeskorpus bezieht.