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Ausgabe:

Oktober/2018

Spalte:

1015–1016

Kategorie:

Altes Testament

Autor/Hrsg.:

Hossfeld, Frank-Lothar (†), Bremer, Johannes, u. Till Magnus Steiner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Trägerkreise in den Psalmen.

Verlag:

Göttingen: Bonn University Press bei V & R unipress 2017. 264 S. = Bonner Biblische Beiträge, 178. Geb. EUR 50,00. ISBN 978-3-8471-0611-1.

Rezensent:

Alma Brodersen

»Trägerkreise in den Psalmen« enthält Beiträge zu einer gleichnamigen Tagung an der Universität Bonn im Oktober 2012, die von Frank-Lothar Hossfeld geleitet wurde. Nach dessen Tod haben Johannes Bremer und Till Magnus Steiner den Tagungsband erstellt. Der Band beginnt mit der Wiedergabe der auf der Tagung mündlich vorgetragenen Eröffnungsthesen von Frank-Lothar Hossfeld (»Einführung«, 9), deren Anfang folgendermaßen lautet: »Der Titel ›Trägerkreise in den Psalmen‹ beschreibt eher intuitiv eine Menschengruppe, die hinter bestimmten Psalmen steht, bzw. Psalmen dichtet und aufführt« (9). Allgemein sei derzeit in Forschungen zu exilischen und nachexilischen Bibeltexten häufig die Rede von Trägerkreisen. Zudem verschiebe sich das in der Forschung weit verbreitete Modell von Textwachstum durch Fortschreibung mit der Unterscheidung von Autor und Redaktor hin »zur Rede von Gruppen/Trägerkreisen mit eigenem Schicksal und Interessen« (9).
Die Beiträge des Bandes befassen sich explizit mit der Suche nach Trägerkreisen. Eine Ausnahme bildet Judith Gärtner (»Rückblick als Ausblick in Ps 135. Psalmentheologische und psalterkompositorische Überlegungen zur Funktion von Geschichte im 4. und 5. Psalmenbuch«, 207–222), die für Ps 135 als Redaktionstext argumentiert, ohne auf die Trägerkreise einzugehen. In den anderen Beiträgen werden zwei entgegengesetzte Möglichkeiten von Trägerkreisen in exilischer und nachexilischer Zeit dargestellt: entweder tempelnahe Kreise (nämlich levitische Tempelsänger, teilweise speziell Asaphiten und Korachiten) oder tempelkritische Kreise.
Levitische Sänger als Trägerkreise sind in den Beiträgen von Gillingham (insbesondere Asaphiten), Weber (Asaphiten) und Steiner (Korachiten) zu finden. Susan Gillingham (»The Levitical Singers and the Compilation of the Psalter«, 35–59) argumentiert, dass nach dem Zeugnis der Chronik und späterer jüdischer Quellen die levitischen Sänger, insbesondere die Asaphiten, an der Zusammenstellung des Psalters in nachexilischer Zeit beteiligt waren. Dies decke sich mit den im Psalter sichtbaren theologischen Interessen, wobei Generationen levitischer Sänger zwischen der Zusammenstellung der Psalterbücher 1–3 und 4–5 liegen könnten. Beat Weber (»Verbindungslinien von den Psalmen Asaphs (Ps 50; 73–83) zu den Psalmen des Psalterteilbuchs IV [Ps 90–106]. Erwägungen zu einem asaphitischen Trägerkreis«, 97–131) macht deutlich, dass von »Trägerkreisen in den Psalmen« auf literarischer zu »Trägerkreisen der Psalmen« auf sozialgeschichtlicher Ebene ein Sprung besteht. Er untersucht Charakteristika der Psalmen mit Asaph-Überschriften und stellt tabellarisch dar, wie die Psalmen des 4. Psalterbuches »Asaphizität« zeigen. Die Komposition des 4. Psalterbuches könne demnach in asaphitische Trägerkreise verortet werden. Till Magnus Steiner (»Die Korachiten«, 133–159) untersucht die Darstellung der Korachiten in der Chronik und argumentiert, dass die Korachiten als Trägergruppe der mit »Korach« überschriebenen Psalmen ab dem Exil an die Seite der Asaphiten getreten seien. Bernd Janowski (»Auf dem Weg zur Buchreligion. Transformationen des Kultischen im Psalter«, 223–261) stellt im Kontext der langen Kanonisierungsgeschichte der Hebräischen Bibel die nachexilische Erweiterung der traditionellen Tempeltheologie durch die persönliche Gottesbeziehung ohne Opferkult dar. Kultreligion und Buchreligion hätten in der Zeit des Zweiten Tempels nebeneinander existiert. Trägerkreise der Psalmen könnten levitische Tempelsänger gewesen sein, Trägerkreise stünden allgemein aber eher am Ende als am Anfang einer Textentwicklung durch Autoren, Redaktoren und Editoren (254).
Gemeinsame Trägerkreise der Psalmen und Jesajas finden sich in den Beiträgen von Berges (dort wiederum levitische Sänger) und Körting. Nach Ulrich Berges (»›Singt dem Herrn ein neues Lied‹. Zu den Trägerkreisen von Jesajabuch und Psalter«, 11–33) dürfte die Zahl der nachexilischen Lese- und Schreibkundigen in Jerusalem etwa 100 Personen betragen haben. Diesem kleinen Kreis dürften alle werdenden alttestamentlichen Bücher bekannt gewesen sein. Jesaja und die Psalmen zeigten auffällige wörtliche und thematische Gemeinsamkeiten, etwa das »neue Lied«. Dies weise auf eine Bekanntschaft der Trägerkreise Jesajas und der Psalmen, vielleicht levitischer Sängerkreise, hin. Corinna Körting (»Zion zwischen Psalmen und Jesaja«, 161–179) fragt angesichts thematischer Ähnlichkeiten nach gemeinsamen Trägerkreisen der Psalmen und Jesajas. Die Aufnahme prophetischer Traditionen in Ps 45 und der »Apostrophe to Zion« in 11QPsa weise darauf hin, dass die nachexilischen Trägerkreise der Psalmen die Aufgabe der Propheten und Tempelsänger verbunden haben könnten.
Nach den Beiträgen von Bremer und Leuenberger sind kultkritische Trägerkreise wahrscheinlicher. Johannes Bremer (»Eine ›Ar­menredaktion‹ im 1. Davidpsalter? Impulse vor dem Hintergrund sozio-ökonomischer Entwicklungen«, 181–205) zeigt Armentheologie in Ps 3–41 auf, die vor dem sozio-ökonomischen Hintergrund der achämenidischen Zeit (538–332 v. Chr.) einen den Armen nahestehenden, kultkritischen Trägerkreis der Ps 3–41 nahelege. Martin Leuenberger (»Die Jhwh-König-Theologie der formativen Psalter-Redaktion und ihre Trägerkreise«, 61–95) stellt fest, dass die großen Alternativen für Trägerkreise des Psalters entweder tempelnahe Kreise (Psalter als Gesangbuch im Kult) oder schriftgelehrte Kreise (Psalter als Meditationsbuch im Privatgebrauch) seien. Die sozialgeschichtlichen Trägerkreise ließen sich dabei nur indirekt den Psalmen entnehmen. Das im Psalter erkennbare Interesse an der Königsherrschaft Gottes sei individuell zu verstehen und weise nicht auf politisch organisierte Trägerkreise hin. Nach Ps 1 sei die Tora wichtiger als der Kult, was wie der fehlende Tempelbezug in Ps 146–150 priesterliche und levitische Tempelkreise ausschließe. Vielmehr seien asidäische und schriftgelehrte Kreise im 2. Jh. v. Chr. Trägerkreise des Psalters.
Ein Autorenverzeichnis (263–264) schließt den Band ab. Wie schon Hossfelds Einführung zeigt, wird in der Regel nicht zwischen dem Dichten und Aufführen oder der Entstehung und Tradierung von Psalmen unterschieden, so dass der Begriff des Trägerkreises mehrdeutig bleibt. Trägerkreise werden aber meist mehr auf den (masoretischen) Psalter als auf einzelne Psalmen bezogen. Beat Weber stellt im Band selbst den Verdienst und die Problematik des Unterfangens treffend dar: »Diese Tagung fragt nach ›Trägerkreisen‹. Der damit angezielte Versuch, Literatur soziohistorisch zu verankern, ist zu begrüßen. Für eine Zuordnung von Texten zu geschichtlichen und institutionellen Gegebenheiten fehlt es freilich öfters an hinreichenden Informationen, so dass wir uns weithin im Bereich von Annäherungen und Plausibilitäten bewegen.« (98) Die entgegengesetzten Ergebnisse des Bandes bieten einen wichtigen Beitrag zu Diskussionen zur Entstehung der Psalmen und des Psalters.