Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

78 f

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Schürmann, Heinz

Titel/Untertitel:

Wort Gottes und Schriftauslegung. Gesammelte Beiträge zur theologischen Mitte der Exegese. Hrsg. von K. Backhaus.

Verlag:

Paderborn-München-Wien-Zürich: Schöningh 1998. X, 342 S. gr. 8. Lw. DM 98,-. ISBN 3-506-75263-3.

Rezensent:

Eduard Lohse

In diesem Band ist eine Reihe von Studien zusammengefasst, die der international bekannte und hoch angesehene Erfurter Professor für Neues Testament in einer langen Folge von Jahren an verschiedenen Stellen veröffentlicht hat. Sie beziehen sich in allen Teilen auf die zentrale Frage nach der theologischen Mitte neutestamentlicher Exegese und stellen dadurch eine wertvolle Ergänzung zu den zahlreichen einschlägigen Arbeiten dar, die der Vf. zur Interpretation biblischer Texte vorgelegt hat.

Die Abhandlungen sind in drei große Zusammenhänge geordnet, deren Themen ineinander greifen und miteinander einen einheitlichen Gedankengang aufweisen: Schriftauslegung theologisch - Schriftauslegung kerygmatisch - Schriftauslegung ökumenisch. Dabei wird immer wieder deutlich, dass biblische Wissenschaft der Verkündigung und dem Auftrag der Kirche verpflichtet ist. Dieser Überzeugung hat der Vf., der nach einem erfüllten Leben kürzlich heimgerufen wurde, stets in überzeugender Weise Ausdruck gegeben. Seit 1953 hat er an der einzigen katholischen Hochschule der damaligen DDR das Fach des Neuen Testaments vertreten und ist in den schweren Zeiten unbeirrt dieser Hochschule treu geblieben, obwohl mehrere ehrenvolle Berufungen ihm den Weg an andere Fakultäten hätten öffnen können. So hat er den meisten katholischen Theologen im östlichen Teil Deutschlands das Rüstzeug zu umsichtiger und gewissenhafter Exegese der neutestamentlichen Schriften vermittelt. Für diesen Dienst, den er im Einsatz für Theologie und Kirche geleistet hat, gebührt dem allseits geachteten Gelehrten großer Dank und hohe Anerkennung.

Da an dieser Stelle nicht alle Studien im Einzelnen gewürdigt werden können, seien einige Beispiele herausgegriffen, die als besonders charakteristisch gelten dürfen. Anlässlich der Immatrikulationsfeier am 20. September 1959 hat der Vf. in Erfurt eine Ansprache gehalten, die er 1992 noch einmal als "Rückerinnerungen aus aktuellem Anlaß" in leichter Überarbeitung herausgebracht hat. Darin wird entfaltet, dass wissenschaftliche Bemühung grundsätzlich darauf gerichtet ist, nach der Wahrheit zu forschen und sie zu bezeugen. Für Erfurt galt und gilt dabei "die Einheit von Lern- und Lebensgemeinschaft, die es überall in ursprünglichen Lehr- und Lebensverhältnissen gab, wo der ,Lehrer’ noch ,Meister’ war und der ,Schüler’ noch ,Jünger’" (171 f.). Darum können die Grundgesetze allen akademischen Lebens so beschrieben werden: "1. das Suchen und Streben nach der reinen Wahrheit fern von allem kurzschlüssigen Zweckdenken; 2. die Liebe zu umfassender Bildung - vor aller praktischen beruflichen Ausbildung." (174)

Sch.s wissenschaftliche Arbeit zeichnet sich stets durch ökumenische Offenheit aus, in der Theologen aus den (noch) getrennten Konfessionen miteinander nach der Botschaft des Neuen Testaments fragen und deren Verbindlichkeit für die Gegenwart zu erheben suchen. In diesem Bemühen können die unterschiedlichen Traditionen bereichernd aufeinander wirken, indem "reformatorisch angreifend" nach der Mitte der Schrift gesucht und "katholisch bewahrend" der gesamte Umfang der Schrift zur Geltung gebracht wird. Solches Verständnis aber führt zu der Überzeugung: "Erst die ecclesia catholica et evangelica (semper reformanda) ist die wahre Kirche Christi." (187) Katholisch darf die Kirche genannt werden, "die aufgrund der Schrift in Vollmacht verkündet" (228). Wenn aber ",das Schriftgemäße’ (formal und inhaltlich) so bestimmt wird, ist das Katholische zugleich ,das Evangelische’" (229). Dieses Verständnis, das auf einen verbindenden ökumenischen Zusammenklang bedacht ist, gibt gemeinsamem Überlegen Raum, in dem sich katholische und evangelische Theologen miteinander auf den Weg machen, um Einheit in Christus zu begreifen und zu leben.

Vornehme Gesinnung, die die volle Breite der einschlägigen Literatur berücksichtigt, aber auf jede Form störender Polemik verzichtet, bestimmt auch den ersten Teil des Buches, der der theologischen Schriftauslegung im strengen Sinn gewidmet ist. Aus den verschiedenen Beiträgen darf vor allem der erste Aufsatz aus dem Jahr 1989 hervorgehoben werden, der in "einer selbstkritischen Besinnung" "Bibelwissenschaft unter dem Wort" bedenkt (3-43). Exegese hat mit aller gebotenen Genauigkeit und Gründlichkeit "exakt linguistisch und historisch" zu arbeiten und dabei "in Forschung und Lehre die dafür sachgerechten Methoden" anzuwenden, "um dem praktischen Ziel einer Wortverkündigung, die das maßgebliche ,apostolische Kerygma’ aktualisiert weitertragen soll, zu dienen" (3 f.). Dann aber wird die Erkenntnis gewonnen, dass hinter dem Text, den es auszulegen gilt, Christuswirklichkeit und Christusgeschehen sichtbar werden. Wo der Kyrios gläubig bekannt wird, da "offenbart er sich als das Wort Gottes, nicht nur vor, in, hinter und unter der Schrift, sondern auch über ihr" (38). Das Neue Testament ist weniger mit einem Kreis mit einem Mittelpunkt als "einer Ellipse mit zwei Brennpunkten" zu vergleichen: "Diese sind: das Kerygma von der Auferweckung des Gekreuzigten zum Heil der Sünder ... einerseits, die Botschaft des ,Gekommenen’ vom Zu-Kommen der Basileia des Abba ... andererseits." (45)

Die behutsame, zugleich aber stets klare Argumentation, die alle Studien leitet, lädt den Leser zu mitdenkendem Dialog ein. Dabei lässt der Vf. keinen Zweifel daran, dass er sich bewusst als katholischer Theologe versteht. Indem er den gesamten Umfang des Neuen Testaments zur Geltung bringt, behält er Bedenken gegenüber einem zu streng gefassten "sola scriptura" (9) und betont, dass die kerygmatische Aufgabe der Schriftauslegung nicht "ohne Rücksicht auf die kirchliche Tradition" vorzunehmen ist (30). Er widerspricht mit beachtlichen Gründen einem ungenau gefassten Begriff eines sog. Frühkatholizismus (183-190) und nimmt die darin ausgesprochene Herausforderung so auf, dass er eine evangelisch-katholische Gemeinsamkeit zu erheben sucht, die die Grundlage für künftige Arbeit einer in ökumenischem Geist betriebenen Bibelwissenschaft zu legen vermag.

Die sorgfältig edierte Sammlung der wertvollen Beiträge zu einer theologischen Mitte der Exegese wird mit einer umfassenden Bibliographie der Veröffentlichungen von Heinz Schürmann aus der Zeit von 1949 bis 1998 sowie einem Verzeichnis neuerer Literatur zu den in diesem Band verhandelten Themen abgeschlossen. So ist aus der Lektüre dieser gesammelten Beiträge reicher Gewinn zu ziehen.