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Ausgabe:

Januar/1999

Spalte:

114–118

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Alberigo, Giuseppe [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils (1959-1965). I: Die katholische Kirche auf dem Weg in ein neues Zeitalter. Die Ankündigung und Vorbereitung des Zweiten Vatikanischen Konzils (Januar 1959 bis Oktober 1962). Deutsche Ausgabe hrsg. von K. Wittstadt.

Verlag:

Mainz: Grünewald; Leuven: Peeters 1997. XXIX, 585 S. gr.8. Lw. DM 98,-. ISBN 3-7867-1946-2 u. 90-6831-841-1.

Rezensent:

Otto Hermann Pesch

Seit Jahren war den Interessierten bekannt, daß eine von einer internationalen Kirchenhistorikerkommission aus den Quellen erarbeitete Geschichte des Zweiten Vatikanischen Konzils erwartet werden durfte. Die Quellen fließen inzwischen reichlich, und zwar einmal dank der Initiative Papst Pauls VI., der die diesbezüglichen Dokumente im Vatikanischen Archiv zugänglich machte, und zum anderen durch die reichhaltigen Archive inzwischen verstorbener Konzilsväter und Periti. Die Arbeit begann 1988 unter der Gesamtherausgeberschaft von Giuseppe Alberigo, der an dem von ihm geleiteten Istituto per le Scienze Religiose in Bologna die Quellen dokumentiert hat und die Arbeit koordiniert. Das Werk ist von vornherein als "Standardwerk" und deshalb auf die Übersetzung in die Weltsprachen ausgerichtet. Entsprechend umfangreich und international ist das Herausgebergremium, in dem sich alles versammelt hat, was in der neuesten Kirchengeschichte und in der kirchlichen Zeitgeschichte Rang und Namen hat. Hervorgehoben sei allerdings Alberigos Bologneser Kollege und engster Mitarbeiter Alberto Melloni, der zum Thema zahlreiche Vorstudien veröffentlicht hat - vor allem in der institutseigenen Zeitschrift Cristianesimo nella storia - und jüngst mit einem einschlägigen Sammelwerk hervorgetreten ist, das schon einen Vorblick auf die zu erwartenden weiteren Bände der Konzilsgeschichte eröffnet.1

Die (italienische) Originalausgabe des 1. Bandes sowie einige Übersetzungen liegen seit 1996 vor, inzwischen auch schon die Originalausgabe des 2. Bandes. So war man neugierig auf die sich etwas verzögernde deutsche Ausgabe des 1. Bandes, für die der Würzburger Kirchenhistoriker Klaus Wittstadt verantwortlich zeichnet. Im Herbst 1997 erschien er nun, und die spannendste Frage ist natürlich: Müssen die bisher veröffentlichten Gesamt- oder Einzeldarstellungen zum Konzil umgeschrieben werden? Die Antwort, jedenfalls was den Themenbereich des 1. Bandes betrifft, ist ein eindeutiges Nein.

In dieser Hinsicht ist dem Hauptherausgeber zu widersprechen, wenn er im Vorwort schreibt: "Wir sind stolz darauf, daß Perspektiven geboten werden, die weitgehend neu sind - selbst für Teilnehmer am Konzil - auf dem Weg der Annäherung des Katholizismus an das Konzil" (XXIX). Wer sich aufgrund der schon bisher veröffentlichten Materialien und der Forschungsliteratur kundig gemacht hatte, wird nicht eines besseren belehrt, sondern bestätigt. Und doch ist dieses Urteil nur gerecht, wenn man sogleich hinzufügt: Die "Bestätigung" erfolgt durch eine solche Fülle von mitgeteilten Einzelheiten, die man tatsächlich nicht gewußt hat, nicht vermuten konnte, den Betroffenen nicht zutrauen mochte, zu befürchten nicht gewagt hat - und die doch Tatsachen sind. Am Ende fragte man sich beklommen: Wie konnte nach dieser Vor- und Vorbereitungsgeschichte das Konzil dann so ablaufen, wie es tatsächlich abgelaufen ist? Es grenzt jedenfalls an ein Wunder. Das erklärt daher auch, daß die vielfältigen Kräfte des Widerstandes bis heute nicht aufgegeben haben - bekanntlich in jüngster Zeit auch bemerkenswerte Erfolge erzielen konnten, von denen man nur hoffen kann, daß sie nicht von Dauer sind.

Es schreiben in diesem Band: Giuseppe Alberigo über "Die Ankündigung des Konzils. Von der Sicherheit des Sich-Verschanzens zur Faszination des Suchens" (1-60) und wieder das Schlußwort "Vorbereitung für welche Art von Konzil?" (561-570); Etienne Fouilloux (Lyon) über "Die vor-vorbereitende Phase (1959-1960). Der langsame Gang aus der Unbeweglichkeit" (61-187); Joseph A. Komonschak (Washington D.C.) über "Der Kampf für das Konzil während der Vorbereitung (1960-1962)" (189-401); J. Oscar Beozzo (Sao Paulo) über "Das äußere Klima" (403-456); und Klaus Wittstadt (Würzburg) über "Am Vorabend des Zweiten Vatikanischen Konzils (1.Juli-10. Oktober 1962)" (457-560). In diesem letzteren Beitrag finden sich die meisten Wiederholungen von und Überschneidungen mit schon Gesagtem, wie das Vorwort ausdrücklich zugibt (XXIX), doch ist man bei einem 570-Seiten-Buch für Rekapitulationen und Rückerinnerungen eher dankbar - ich würde den bisher Uninformierten sogar empfehlen, die Lektüre mit diesem Beitrag zu beginnen, dann den 2.-4.Beitrag anszuschließen und zum Schluß als Zusammenschau die beiden Beiträge von Alberigo zu lesen.

Es ist unmöglich, die hier ausgebreitete Materialfülle "zusammenzufassen". Ich greife in fast willkürlicher Auswahl einige Punkte heraus, wo der Band bisher Bekanntes eindrucksvoll mit neuen Belegen unterstreicht, nenne, um den Autoren keine Pointen zu stehlen, nur zurückhaltend einige Punkte, wo wirklich neue Zusatzinformationen die Lesenden erwarten, und notiere abschließend einige Eindrücke zum Ganzen.

Eindrucksvoll bestätigt und ergänzt wird unser Wissensstand über die nur allmähliche Entwicklung und Konkretisierung der Konzilsidee (18; 36 ff.; 42 ff.; etwas anders klingt es 189 f.). Johannes XXIII. hatte sie, stieß angesichts der ungünstigen Zeiten (Kalter Krieg!) auf eine fassungslose Kurie (5) und ein völliges Fehlen jeglicher Erwartungshaltung in der Kirche (6), setzte sie dennoch unter voller Ausnutzung seiner Primatsvollmachten durch, glaubte trotzdem anfangs sogar, das Konzil noch 1959 durchführen zu können und schwankte anschließend immer wieder zwischen Optimismus und alten wie neuen Konflikten (67-80). Es gab freilich einen gewissen optimistischen Zeitgeist (61-70) und vor allem wachsendes "Unbehagen" mit der römischen Starrheit (81-101). Die Garantie völliger Redefreiheit auf dem Konzil war schon durch die Entscheidung für den Namen "Zweites Vatikanisches Konzil" gegeben - das demnach nicht das 1870 abgebrochene Erste Vatikanische Konzil formell zum Abschluß bringen mußte (55-60). Bald war auch klar: Kein Lehrkonzil, sondern Bemühung um Erneuerung der Kirche zum Zwecke ihres glaubwürdigeren Zeugnisses (191-193). Bestätigt wird der Wissensstand über die anfangs wenig hilfreiche, zuweilen arrogante Pressepolitik des Konzilssekretariates (195; 200 f.;403-411; 519 ff.; 529-537).

Wir erfahren von den Planungsproblemen und dem unerträglichen Zeitdruck, unter dem am Schluß doch nur sieben Schemata fertiggestellt und gerade noch rechtzeitig vor Konzilsbeginn den Bischöfen zugestellt werden konnten (342 f.; 378-394; 463-471) - das Schema über die Kirche erst nach Konzilsbeginn, im November 1962 (324). Wir erhalten wertvolle Informationen über den Inhalt der (später zuallermeist gescheiterten) Erstentwürfe (ebd.) und schon vorher über die allerdings exzeptionelle Arbeit der Vorbereitungskommission für das Liturgieschema, in der der Unterschied zwischen stimmberechtigten Mitgliedern und Beratern nur noch formal war (232-238). Wir erhalten auch Detailinformationen über Einzelheiten, die spätere Kehrtwendunden nur noch providentieller erscheinen lassen, zum Beispiel über das Desinteresse am Verhältnis zum Islam (439-442) und über die vor dem Konzil zunächst von der Tagesordnung abgesetzte Frage des Verhältnisses zum Judentum (443-448). Unklar bleibt nach wie vor, wie zufrieden oder unzufrieden der Papst mit den Erstentwürfen war. Wir wissen von vielen Bene! und Optime! am Rand der Textentwürfe (vgl. 391). Und doch kann Johannes XXIII. im Sommer 1962 beim Studium des Entwurfs der Äußerungen zur Einheit der Kirche in einem Brief schreiben: "Und überhaupt, diese Art, einen Entwurf von Begriffen und Grundsätzen elementarer Art mit biblischen Sätzen zu garnieren, mit flinken Schriftzitaten, die auch für andere als die diskutierten Themen verwendet werden können, ruft Verwirrung hervor bei den einfachen Gemütern durchschnittlicher Aufnahmefähigkeit, die doch die Mehrheit der guten Christen bilden" (489; vgl. 495). Kardinal Suenens gegenüber äußerte er zur selben Zeit, sein Beitrag zum Konzil werde das Leiden sein - was Suenens im Zusammenhang auf die Sorgen um eine theologische Blockade des Konzils durch die Kurie deutete (489).

Neue Informationen? Nur eine kleine Blütenlese! Zum Beispiel gleich die Mitteilungen über das außerordentlich vielfältige Echo auf die Konzilsankündigung: aus allen sozialen Gruppen und kulturellen Schichten in der Kirche und über die katholische Christenheit hinaus, aus allen Weltgegenden und nicht nur aus dem europäisch-nordamerikanischen Kulturkreis (20-36). Besonders bemerkenswert ist die Variationsbreite der inhaltlichen Stellungnahmen zwischen ängstlichen, sich gegenüber Rom be deckt haltenden Bischöfen und solchen, die lang gehegte Reformhoffnungen äußerten; zwischen Theologen in Rom und anderswo, die "das Schlimmste" befürchteten und solchen, die seit Jahrzehnten unter der Dominanz einer intransigenten römischen Schultheologie gelitten hatten. Bemerkenswert auch die Vielzahl spontaner Eingaben - in mehreren, nicht ausgewerteten Kartons gesammelt (29).

Nach dem ersten Schrecken ging denn auch, nach dem Eindruck, den Yves Congar in seinem Konzilstagebuch notiert, "alles so vor sich, daß die im Amt gebliebene Kurie Pius’ XII., indem sie sich der Gefahr vollkommen bewußt war, gerade so viel wie notwendig nachgab, um nicht selbst ein Opfer der Entwicklung zu werden, und sich in dem Sinne engagierte, die dem System bereiteten Schäden auf das unvermeidliche Minimum zu beschränken" (25). Und ein einflußreicher Beobachter schrieb Anfang August 1959 an den Erzbischof von Mailand, Montini - den späteren Papst Paul VI. -: "... das Rom, das Du kennst und aus dem Du ins Exil geschickt wurdest, zeigt keine Anzeichen der Veränderung, obwohl es zuerst schien, als würde ein Wandel erfolgen. Der Kreis der alten Geier kommt nach dem ersten Schrecken zurück. Langsam, aber er kommt zurück. Und er kommt zurück mit dem Durst auf neue Kämpfe und neue Rachefeldzüge. Um das carum caput [den Papst] zieht sich dieser makabre Ring zusammen. Er hat sich sicher neu gebildet" (22).

Worte, mit denen fast die gesamte Vorbereitungsarbeit schon charakterisiert ist! Ist es demnach überraschend oder gerade nicht überraschend, das die "Vor-Vorbereitungskommission", die Antepraeparatoria, mit ihren nur 5 Zusammenkünften faktisch funktionslos blieb? Schon die Tatsache und das Verfahren einer Befragung des Weltepiskopates sowie der kirchlichen Universitäten, welche Themen auf dem Konzil behandelt werden sollten, bereitete Probleme und provozierte Grabenkämpfe und teilweise sogar Boykott. Nicht minder die Auswertung der mehr als 2000 eingegangenen Antworten (glänzende Analyse: 102-187). Darunter übrigens überraschend zahlreiche mariologische Definitionsanträge (123-132)! Die sogenannte vorbereitende Zentralkommission (Commissio centralis praeparatoria), auch sie zugunsten des Generalsekretariates unterbeschäftigt (194), hat vieles schon herausgefiltert und von der Tagesordnung des Konzils genommen.

Die eigentliche Vorbereitungsarbeit in den zehn Vorbereitunskommissionen war geprägt durch die Tatsache, daß ihre Präsidenten in Personalunion die Präsidenten der entsprechenden kurialen Kongregationen, ihre Mitglieder mehrheitlich der römischen Schultheologie verpflichtet und großenteils auch in Rom wohnhaft waren. Das führte zu einer organisatorischen Zwickmühle mit Folgen: Je mehr Mitglieder in oder in der Nähe von Rom wohnten, desto häufiger konnte man zu Sitzungen zusammenkommen, je weiter entfernt, desto seltener. Die am intensivsten erarbeiteten Schemata trugen damit am meisten auch den Stempel der an der Kurie vertretenen theologischen Richtungen. Der ausführliche Bericht über die Kommissionsarbeit (202-232; 256-340) gibt beklemmende Einblicke in das mangelnde theologische Interesse, die fehlende seelsorgliche Sensibilität, die Blindheit für die Zeichen der Zeit, die Kleinlichkeit in den Detailfragen bei der Mehrheit der Mitglieder. "Die herrschenden Anschauungen und Strukturen der Kirche wurden weitgehend als gegeben angesehen" (209).

Besonders fatal war die grundlegende Einteilung der Kompetenzen unter den Kommissionen: Für die Fragen der Lehre war allein die Theologische Kommission zuständig, alle anderen hatten sich nicht mit Lehrfragen, sondern nur mit Fragen der "technica pastoralis" zu befassen - so der Generalsekretär des Konzils, Felici (202). Die Folge war eine monopolartige Stellung der Theologischen Kommission unter ihrem Präsidenten Kardinal Ottaviani, dem Praefekten des "Heiligen Offiziums" (nach dem Konzil in "Kongregation für die Glaubenslehre" umbenannt) (352-354). Die Kommission hat Consultoren nur als "Alibi-Periti" hinzugezogen (257), die wirklichen und demnach unbequemen Sachverständigen wurden nicht gebeten - erst das Konzil selbst schuf da Abhilfe (310 f.; 503-513). Sie veranlaßte zwar zu den Sachthemen Einzelstudien, gab aber schon vor deren Fertigstellung Textentwürfe in Auftrag, was den Interessierten dann naturgemäß einen Vorsprung an Einfluß verschaffte (324). Sie verweigerte die Zusammenarbeit mit anderen Vorbereitungskommissionen, wo auch bei denen grundlegend Fragen der Lehre anstanden, vor allem die Zusammenarbeit mit dem Einheitssekretariat (196 f:, 298 ff.; 322). Man darf hinter solchen Machenschaften nicht hirnlose Fanatiker vermuten, eher im Gegenteil konsequente Theologiepolitiker, die ihre Schultheologie souverän beherrschten und gegebenenfalls Argumente hatten.

Besonders eindrucksvoll in dieser Hinsicht: der Sekretär der Theologischen Kommission, der Jesuit und Professor an der Gregoriana Sebastian Tromp, der hinter den Kulissen größten Einfluß ausübte und demgemäß auch immer sich persönlich gedemütigt fühlte, wenn einmal etwas an ihm vorbei gelaufen war (256-297; 308-359 passim). Nur eine Kostprobe seines konsequenten Denkens: Auf den Vorschlag Kardinal Döpfners, von der Heiligen Schrift als "Hauptquelle" der Offenbarung zu sprechen, reagierte Tromp: "Aus vielen Gründen ist die Heilige Schrift nicht die erste Quelle. Denn die Tradition ist ihrem Wesen nach früher; sie ist die Quelle, durch die allein die Inspiration der gesamten Schrift definitiv belegt werden kann; sie ist die Quelle, nach der wir Sicherheit in bezug auf den Kanon haben; sie erklärt die Schrift; schließlich: Die Kirche existierte ohne die Schriften des Neuen Testaments, doch nicht ohne die neutestamentliche Tradition" (347). Und in einem anderen Zusammenhang - wie um alle Vorbehalte reformatorischer Theologie zu bestätigen: Es war Christi Wille, daß die Gemeinschaft mit ihm realisiert würde "in einem sozialen, juristischen, heterogenen Organismus. Wir sind mit Christus verbunden, weil wir, zumindest dem Verlangen nach, mit der Kirche verbunden sind und nicht umgekehrt" (353).

Wenige Einzelheiten noch! Mit vielen neuen Informationen wird deutlich, wie sehr es anfangs ein großes Mißverständnis war, das Konzil könne die ökumenischen Beziehungen zu den Schwesterkirchen zu einem besonderen Thema machen (42 f.; 412-415; 419; 422; 561 f.). Der Umschwung ergab sich erst durch die Gründung des Einheitssekretariates unter Kardinal Bea und den durch ihn vermittelten Einfluß der nicht-katholischen Beobachter - man erfährt einmal aller Namen (502 f.) und viel Hintergrund über die Probleme ihrer Berufung (366; 455 f.). Permanent ist denn auch, anders als später im Ökumenismusdekret, von der "katholischen Ökumene" die Rede (313). Umgekehrt hatte die evangelische Christenheit erst überhaupt kein Vertrauen zum Konzil, man fürchtete im Gegenteil eine Allianz Rom-Orthodoxie und sagte deshalb sogar eine geplante Studientagung ab (31).

Man glaubt es kaum, aber die Entscheidung für das Latein als Verhandlungssprache des Konzils und der Verzicht auf eine Simultanübersetzung - und die ideologischen Turbulenzen um diese Entscheidung - sollten nach Meinung vieler ihrer Promotoren allen Ernstes eine Erschwerung für manche auswärtigen Bischöfe sein und damit eine Schwächung ihres potentiellen Einflusses (114 f.; 251 f.; 340).

Rätselhafter denn je bleiben nach den vielen Einzelinformationen dieses Buches Gestalt, Absicht und Zielklarheit des Papstes Johannes XXIII. Mehr als bisher bekannt tritt die Spannung heraus zwischen einem geradezu kindlichen Vertrauen auf die Eingebung des Heiligen Geistes, auf die er immer den Konzilsplan zurückgeführt und dem er den Verlauf des Konzils anvertraut hat, und den Unsicherheiten, auch Widersprüchlichkeiten im amtlichen Verhalten im Umgang mit den Mitarbeitern in den Vorbereitungsgremien, mit der öffentlichen Meinung, mit den durch die Konzilsankündigung geweckten Erwartungen.

Hier halten sich freundliches Treiben-Lassen, Fingerspitzengefühl, auch gelegentlich Schlitzohrigkeit einerseits und autoritäre Inanspruchnahme seiner Primatsvollmachten anderseits die Waage (88; 394-401; 483-503; 561-570). Sicher ist nur eins: Das Vertrauen auf den Heiligen Geist verlieh ihm eine angstfreie Lernbereitschaft. Wie wäre sonst zu erklären, daß er es hinnahm, wie nach dem 11. Oktober 1962 mehr als 90% der unter seiner Autorität vorbereiteten Textentwürfe vom Konzil zurückgewiesen und teilweise noch unter seinem Pontifikat völlig neu erarbeitet wurden - und dies in kürzerer Zeit, als die Vorbereitungsphase gedauert hatte?

Und eine letzte Einzelheit: An der berühmten "Bar Jona" (Anspielung auf Mt 16,17), der Erfrischungstheke in einem Seitenraum am linken Seitenschiff, gab es keinen Alkohol, auch keinen Campari oder Spumante für die Workaholics der Redaktionsarbeit nach den feierlichen Verabschiedungen der Texte (549). Hier muß der Rezensent sich selbst retraktieren, der solches immerhin für möglich gehalten hat.2

Zum Ganzen zunächst nur wenige "Beckmessereien". Die Mehrzahl der Autoren kommt aus nicht von der Reformation geprägten Kontexten. Zudem bringt die Sachlage es mit sich, daß der überwiegende Teil der Quellen und von daher auch die Mehrzahl der zitierten Sekundärliteratur italienisch ist. Das kann dann schon einmal zu Formulierungen führen, die denen, die ins ökumenische Gespräch verwickelt sind, wehtun. Gehört die Reformation wirklich nur zu den "dramatischen Schwierigkeiten, die in den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts vom westlichen Christentum durchgestanden wurden" (18)? Ist es feinfühlig, noch heute vom Trienter Konzil zu sagen, es habe "ein Bollwerk gegen den Protestantismus" errichtet (80)? Und wenn "die protestantische Reformation die gefährliche Dimension der freien Prüfung in den einstmals durch die ausschließliche Autorität regulierten Glaubensakt eingeführt" hat, so möchte man um des Glaubens willen spontan dem "protestantischen Prinzip" von Paul Tillich huldigen.

Auch fragt sich, ob der Charakter eines wahrhaft fachwissenschaftlichen Buches so weit durchgezogen werden muß, daß mitunter lateinische Zitate ohne Rücksicht auf interessierte Nicht-Theologen nicht mehr übersetzt werden (z. B. 485).

Doch was verschlagen solche vermehrbaren kleinen Einsprüche gegen die überwältigende Informationsfülle dieses Buches, das vor allem eines weckt: Neugierde auf die Folgebände! Wieviel krumme Zeilen werden uns noch nachgezeichnet werden, auf denen der Heilige Geist allem Widerstreben zum Trotz gerade geschrieben hat. Übrigens, vertieft man sich, wie in diesen Jahren angezeigt, in die Hintergrund-Geschichte des Konzils von Trient, dann erscheint das Zweite Vatikanische Konzil geradezu als akademisches Oberseminar. Der weltweite Lernerfolg dieses Seminars ist noch in vollem Gange und/oder immer noch gefährdet. Das ist kein Wunder, weil das Konzil selbst ausweislich dieses Buches ein Wunder war. Wie sehr, das mag man sich noch einmal anhand der blitzenden Formulierungen in der Schlußbetrachtung des Hauptherausgebers Alberigo vergegenwärtigen.

Fussnoten:

1) Fattori, Maria Teresa u. Melloni, Alberto [a cura di]: L’evento e le decisioni. Studi sulle dinamiche des concilio Vaticano II. Bologna: Il Mulino 1997, 534 S. ISBN 88-15-06287-4.

2) Vgl. Otto Hermann Pesch, Das Zweite Vatikanische Konzil. Vorgeschichte - Verlauf - Ergebnisse - Nachgeschichte. Würzburg 41997, 332.