Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2018

Spalte:

970–972

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Leppin, Volker, u. Dorothea Sattler [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Ökumenisches Lesebuch Reformation. Texte und Kommentare.

Verlag:

Leipzig: Evangelische Verlagsanstalt; Paderborn: Bonifatius Verlag 2017. 328 S. Kart. EUR 30,00. ISBN 978-3-374-05052-9 (EVA); 978-3-89710-725-0 (Bonifatius).

Rezensent:

Martin Hailer

Der Band ist das für weitere Kreise gedachte Seitenstück der Studie »Reformation 1517–2017« des Ökumenischen Arbeitskreises evangelischer und katholischer Theologen (hrsg. von dens., Göttingen 2014). Er enthält Quellentexte des 16. Jh.s in deutscher Übersetzung bzw. Übertragung ins heutige Deutsch, die die Bandbreite reformatorischer Bemühungen beleuchten, altgläubige Reformbemühungen darstellen und einige der Religionsgespräche dokumen-tieren. Einführende Kommentare werden von evangelisch-katholisch besetzten Autorenduos verantwortet.
Teil 1 (Humanistische Reformansätze, eingeleitet von Michael Beintker und Peter Walter) dokumentiert einige Texte von Erasmus von Rotterdam, unter ihnen Auszüge aus dem Enchiridion militis christiani und zwei der Dunkelmännerbriefe. In Teil 2 (Wittenberger Reformation, Franz-Xaver Bischof und Volker Leppin) spannt sich der Bogen von den 95 Thesen über Luthers Hauptschriften von 1520 (teils in Auszügen), seiner Magnificat-Auslegung, der Einleitung in Melanchthons Loci communes, seiner Schrift »Unterscheidt zwischen weltlicher und christlicher Fromkeyt« bis zu Luthers Sendbrief vom Dolmetschen und der Disputatio de homine. Insbesondere die Hereinnahme der Magnificat-Auslegung und des Sendbriefs scheint wichtig: Evangelische Polemik gegen die Heiligenverehrung hat oft genug die Differenzierungen ignoriert, die Luther 1521 vorlegte, auch sind die hermeneutischen und kontroverstheologischen Erwägungen aus dem Sendbrief mindestens in weiteren Kreisen nicht bekannt genug. Freilich: Ein Auszug aus Melanchthons De potestate et primatu papae oder Vergleichbares zum Thema hätte die Amtsfrage angemessener in den Blick gerückt. Teil 3 stellt die schweizerische und oberdeutsche Reformation vor (Eva-Maria Faber, Ulrich H. J. Körtner). Hier finden sich Zwinglis Predigt über die Klarheit des Gewissens und des Wortes Gottes (1522), Auszüge aus Martin Bucers Schrift Einfältiges Bedenken für die Reformation in Köln (1543) und von Calvin die Antwort an Kardinal Sadolet sowie auf knapp zehn Seiten einige Auszüge aus der Institutio letzter Hand (1559). Den Schluss bilden Auszüge aus dem Heidelberger Katechismus. Die Auswahl der schweizerischen Texte ist gewiss gelungen zu nennen, dass Bucer als der immer noch zu wenig bekannte Ökumeniker unter den Reformatoren Beachtung findet, lässt für seine Rezeption hoffen. Teil 4 (Friederike Nüssel, Wolfgang Thönissen) stellt unter dem Titel »Katholische Reformtheologen« die Institutio christiani hominis von Julius Pflug (1562) und den Catechismus maior von Petrus Canisius (1555) vor. Letzterer ist mit 21 Seiten eine ausführlich dokumentierte Quelle. Dazu gehören wohl auch die Auszüge aus Ignatius von Loyolas Exercitia spiritualia, dessen Bezeichnung als Reformtheologe vorgeschlagen wird (220). Dass sich diese Quelle am Schluss des Bandes findet, muss wohl ein redaktionelles Versehen sein. Teil 5 dokumentiert die Religionsgespräche von Marburg (1529), Wittenberg (1536) und Regensburg (1541) sowie Erasmus von Rotterdams Liber de sarcienda ecclesiae concordia (1533). Erasmus bildet also die literarische Klammer des ganzen Bandes.
Es ist gewiss richtig, sowohl die Bandbreite als auch die humanistisch inspirierten und altgläubig bleibenden Reformbemühungen zu dokumentieren, schon um der 2017 bis ins offizielle Logo hinein sichtbaren Luther-Zentrierung zu entgehen. Freilich fehlen in dem Band sowohl der Anglikanismus als auch die Vertreter der radikalen Reformation. Mag man Ersteres aus Gründen der Konzentration auf Kontinentaleuropa noch verstehen, so ist das in Sachen des »linken Flügels« nicht möglich: Das Schleitheimer Bekenntnis etwa, Menno Simons ʼ Fundamentbuch, die eine oder andere Quelle aus dem Kreis der Spiritualisten und nicht zuletzt etwas von Thomas Müntzer wären dringend nötig gewesen, um die Strömungen der radikalen Reformation nicht ein weiteres Mal zu ignorieren, wie es auch im Jubiläumsjahr allzu häufig ge­schah. Dem »guten ökumenischen Geist« (5), der die Arbeit leiten sollte, ist es doch wohl zu eigen, an mehr als die im ÖAK selbst vertretenen Konfessionen zu denken.
Haben wir es also mit einem Lesebuch der evangelisch-katholischen Ökumene allein zu tun, so stellt dieses innerhalb seiner Grenzen gleichwohl gut benutzbare Texte mit allgemeinverständlichen Einleitungen bereit, die für Gemeinden, Studientage und den akademischen Unterricht ohne Latein- und Frühneuhochdeutschkenntnisse empfehlenswert sind. Das zeigt auch ihre Einrichtung: Die Texte wurden, wo vorhanden, aus bewährten Studienausgaben zitiert, jeder Teil des Buchs beginnt mit einer zwei- bis dreiseitigen überblickshaften Einleitung, jede Quelle wird dann nochmals einzeln kurz eingeleitet.
Handwerkliches: Die Nachweise hätte vereinheitlicht werden können, auch sind Einleitung und Quellentext ohne Kennzeichnung jeweils nur durch eine Leerzeile getrennt, was ungeübte Leserinnen und Leser unnötig verwirrt.