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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

968–970

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Joy, John

Titel/Untertitel:

On the Ordinary and Extraordinary Magisterium from Joseph Kleutgen to the Second Vatican Council.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 253 S. = Studia Oecumenica Friburgensia, 84. Geb. EUR 43,00. ISBN 978-3-402-12209-9.

Rezensent:

Thomas Ruster

Wie viel Unfehlbarkeit darf’s denn sein?, ist man angesichts dieser an der Universität Fribourg unter der Leitung von B. Hallensleben erstellten Dissertation von John Joy über die Unterscheidung zwischen dem ordentlichen und dem außerordentlichen Lehramt in der römisch-katholischen Kirche versucht, leicht spöttisch zu fragen. Wenn man indessen von der in dieser Kirche geltenden Voraussetzung ausgeht, dass ihr ein von Christus verliehenes Lehramt zu eigen ist, das in Fragen des Glaubens und der Moral letztverbindliche Urteile fällen kann, dann hat die Frage schon ihre Bedeutung. Virulent wurde sie zuletzt im Zusammenhang des apostolischen Schreibens Ordinatio sacerdotalis von 1994, in welchem Papst Johannes Paul II. feierlich unter Inanspruchnahme seines petrinischen Amtes erklärte, dass die Kirche keine Autorität habe, Frauen zum priesterlichen Amt zu ordinieren, und dass die Diskussion über die Frauenordination damit definitiv beendet sei.
Ist das nun eine unfehlbare Äußerung, obwohl sie nicht als Dogma formuliert ist? – so wurde und wird zum Teil noch lebhaft diskutiert. Kardinal Ratzinger, der damalige Präfekt der Glaubenskongregation, erklärte dazu: Es handele sich hier um eine Äußerung (nur) des ordentlichen Lehramts des Papstes, die in sich nicht unfehlbar sei und von der Sache her auch gar nicht sein könne, da sie lediglich eine bereits feststehende Glaubenswahrheit der Kirche bestätige; es gehöre aber zur Eigenart des außerordentlichen Lehramts, neue Glaubensdefinitionen vorzutragen. Damit ist die Verwirrung perfekt, von der der erste Teil der vorliegenden Arbeit ausführlich Zeugnis gibt. Es ist sicher nicht die Absicht J.s, des Direktors des St. Albert the Great Center für Scholastic Studies, aus dieser Verwirrung Kapital zu schlagen für eine grundsätzliche Kritik am System des kirchlichen Lehramts und der von diesem beanspruchten Unfehlbarkeit. Er verwendet seinen beträchtlichen Scharfsinn darauf, Klarheit in eine Unterscheidung zu bringen, die nach Ausweis der Diskussionslage tatsächlich alles andere als klar ist. Denn weder von den Akteuren aus gedacht (der Papst/die im Konzil versammelten bzw. die über den Erdkreis verstreuten Bischöfe) noch von dem Gegenstand der Lehräußerungen (direkt in der Offenbarung enthaltene Wahrheiten, deren Leugnung Häresie bedeutet/ aus der Offenbarung abgeleitete Aussagen, die im Glauben zu bewahren sind) noch von der Form der Definitionen aus (feierliche dogmatische Definitionen ex cathedra/andere Äußerungen des Papstes bzw. eines Konzils bzw. der über die Welt verstreuten Bischöfe) lässt sich eine hinlänglich deutliche Abgrenzung zwischen den beiden Arten des kirchlichen Lehramts gewinnen.
J. sucht eine Klärung durch Rekonstruktion der Genese der fraglichen Unterscheidung. Diese taucht erst um die Mitte des 19. Jh.s auf; der wichtigste Vertreter ist in diesem Zusammenhang J. Kleutgen, dessen Schriften eine in der Sache klare Distinktion der beiden Lehrämter geben (man weiß nun übrigens auch, mit was sich Kleutgen zwischen seinen Sex and crime-Besuchen in einem römischen Frauenkloster beschäftigte; vgl. H. Wolf, Die Nonnen von Sant’Ambrogio, 2013). Für Kleutgen ist das ordentliche Lehramt in der alltäglichen Verkündigung der Kirche gegeben, in Predigten, Katechesen, liturgischen Formeln etc. Das außerordentliche Lehramt wird in Anspruch genommen, wenn Papst oder Bischöfe sich in der erkennbaren Absicht äußern, eine verbindliche Glaubenslehre vorzulegen; in der Regel eine solche, die eine offene Streitfrage klären soll (auf den 75 S. des Anhangs werden Kleutgens relevante Texte in deutscher Sprache geboten). Wenn auch in Bezug auf Kleutgen noch einige Fragen offen bleiben, so ist doch seine Handhabung der Unterscheidung insgesamt verständlich und sinnvoll. Dokumente des I. Vatikanums und solche aus dem Umkreis dieses Konzils nehmen denn auch seinen Sprachgebrauch auf. Schwierig wird die Sache erst, als in der ersten Hälfte des 20. Jh.s Theologen (referiert werden J. M. A. Vacant und L. Billot) dazu tendieren, das ordentliche Lehramt auch für den Papst in Anspruch zu nehmen. Einige Dokumente des Lehramts selbst folgen dieser Tendenz (interessant ist in diesem Zusammenhang, dass die apostolische Konstitution Munificentissimus Deus von 1950, in der die leibliche Auferstehung Marias als Dogma ausgesprochen wurde, sich ausdrücklich auf die in der Kirche seit jeher bestehende Glaubensüberzeugung in dieser Frage beruft – Ratzingers Behauptung, das außerordentliche Lehramt müsse neue Definitionen vortragen, wird insoweit widersprochen). Seitdem steht die Frage im Raum, welche Lehraussagen des Papstes dem ordentlichen oder dem außerordentlichen Lehramt zugehören und wie diese jeweils zu der Lehrautorität der Bischöfe stehen. Das II. Vatikanum, das zeigt eine Analyse des Werdegangs des Art. 25 der Kirchenkonstitution Lumen Gentium, greift diese jüngere Tradition bewusst nicht auf. Das Konzil vermeidet die Terminologie von ordentlichem bzw. außerordentlichem Lehramt und unterscheidet stattdessen zwischen dem (nur) authentischen und dem unfehlbaren Lehramt. Die Absicht des Konzils war es, das Lehramt der Bischöfe gegenüber dem des Papstes aufzuwerten. In diesem Zusammenhang steht auch die Lehre des Konzils von der Sakramentalität der Bischofsweihe (LG 21). Allerdings besteht in Bezug auf diese Lehre wie auch in Bezug auf alle anderen Lehren, die das Konzil mehr oder weniger ausdrücklich und feierlich formuliert hat, die Frage, ob sie unfehlbar sei(en).
J.s Studie bleibt systemimmanent. Darin liegt ihre Stärke und ihre Grenze. Zum einen wird man kaum etwas Gründlicheres zu der behandelten Frage lesen als in diesem Buch, das damit als Referenzwerk gelten kann. Das Ergebnis auf der Ebene der begrifflich-semantischen Untersuchung ist, dass man die Unterscheidung in Bezug auf Äußerungen des kirchlichen Lehramts nicht sinnvoll verwenden kann. Was es dann mit der Verbindlichkeit von Ordinatio sacerdotalis und der Dokumente des II. Vatikanums auf sich hat, kann deshalb keiner Klärung zugeführt werden; für beide Fragen gilt: »the question deserves serious reconsideration« (166 f.). Zum anderen bleiben Probleme, die sich in diesem Zusammenhang heute dringend stellen, unbehandelt: was es denn noch bedeuten kann, Glaubenswahrheiten in satzhafte Definitionen zu bringen und von diesen die Entscheidung über die Rechtgläubigkeit ab­hängig zu machen; was in Anbetracht des Stands der Hermeneutik die Unterscheidung zwischen direkt in der Offenbarung enthaltenen und daraus abgeleiteten Glaubenswahrheiten noch besagt; wie es unfehlbaren Äußerungen des Lehramts im Zeitalter der unbegrenzten medialen Kommunikation wohl ergehen mag, vor allem wenn sie mit dem Anspruch auftreten, eine theologische Diskussion definitiv zu beenden? Ganz am Ende gibt J. dennoch weiterführende Hinweise. Nach dem II. Vatikanum ist es die erste Aufgabe des Lehrens in der Kirche, »to preach the same Gospel ever anew« (170). Es geht nicht mehr primär darum, Glaubenswahrheiten zu d efinieren, sondern zu einer lebendigen Begegnung mit Jesus Christus zu führen. Von daher sind die Aufgaben des hierarchischen Lehramts neu zu bestimmen und sicher auch zu relativieren. Das Konzil hat das Lehramt, das munus docendi bzw. munus propheticum, in der Teilhabe aller Getauften am prophetischen Amt Christi begründet. Es scheint mir, dass an dieser Stelle weiter- und über das Konzil hinausgedacht werden muss. Dort heißt es noch, die Bischöfe »verkündigen […] auf unfehlbare Weise die Lehre Christi«, ihnen gegenüber sind die Gläubigen verpflichtet, »mit einem im Namen Christi vorgetragenen Spruch ihres Bischofs in Glaubens- und Sittensachen überein[zu]kommen und ihm mit religiös be­gründetem Gehorsam an[zu]hangen« (LG 25). Warum wird die Teilhabe am munus docendi in so unterschiedlicher, fast schon äquivoker Weise durchdekliniert? Ist hier nicht die Verwirrung grund-gelegt, die sich in der verwirrenden Unterscheidung der beiden Lehrämter exponentiell äußert? Wer bis zu einer Klärung dieser Frage vordringen will, dem sei das Buch von J. als eine wichtige Etappe nachdrücklich empfohlen.