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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

963–965

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Wiemer, Axel

Titel/Untertitel:

Der Galaterbrief im Religionsunterricht. Die Theologie des Paulus in ihrer Zeit und im Dialog mit Jugendlichen heute.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht (Neukirchener Theologie) 2017. XIV, 368 S. m 7 Abb. Kart. EUR 45,00. ISBN 978-3-7887-3147-2.

Rezensent:

Joachim Jeska

Eine im besten Wortsinne »interdisziplinäre« Arbeit legt Axel Wiemer, Dozent der PH Schwäbisch Gmünd und Privatdozent der PH Karlsruhe, mit seiner Untersuchung zum Galaterbrief im Religionsunterricht vor. Von Beginn an wird seine Doppelqualifikation als Neutestamentler und Religionspädagoge deutlich, da er großen Wert auf die jeweils eigenständige und nahezu gleichgewichtige Darstellung der neutestamentlichen wie der religionspädagogischen Perspektive legt und darüber hinaus die nötigen Brücken zu bauen in der Lage ist. Es handelt sich bei dem gut lesbaren und sorgfältig argumentierenden Werk um die bei Peter Müller in Karlsruhe entstandene Habilitationsschrift aus dem Jahr 2015. Insbesondere im religionspädagogischen Teil wird die große Nähe zum bibeldidaktischen Ansatz von Müller deutlich, da W. überzeugend herausarbeitet, inwiefern der Gal im evangelischen Religionsunterricht (RU) als »Schlüssel zur Bibel« fungieren kann (259–263).
In einer erfreulich knapp gefassten Einleitung (1–17) verweist W. völlig zu Recht auf die noch immer bestehende Diskrepanz zwischen der theologischen Bedeutung des Paulus und der Anwendung paulinischer Texte im RU, wenngleich in den letzten Jahren etliche Forschungsarbeiten zu dieser Thematik veröffentlicht wurden. Es wird in Zukunft, nicht zuletzt auf Basis des Buches von W., die Aufgabe der Herausgeber von Schulbüchern sein, dem Paulus mehr Platz im RU einzuräumen; dass dieses Unterfangen reichlich Frucht tragen kann, beweist W. sehr klar. Sein Blick fällt auf die paulinische Briefliteratur, da er die dialogische Struktur als überaus geeignet für eine wechselseitige Erschließung von Erfahrungen und Wahrheiten des Paulus und der Schüler hält. Deshalb fordert er, paulinische Theologumena müssten verstärkt Teil des schulischen Curriculums werden, und man dürfe sich auch nicht scheuen, paulinische Briefe als Ganzschriften zum Unterrichtsgegenstand zu machen (11). Dass dieser Ansatz außerordentlich anspruchsvoll ist, ist W. bewusst; er beweist aber in seiner abschließenden Skizze einer Unterrichtseinheit zur Ganzschriftlektüre des Gal (314–337), dass ein solches Vorgehen möglich ist.
Im ersten Hauptteil seiner Arbeit (18–201) unternimmt W. einen exegetischen Durchgang durch den Gal, ohne parallel bereits den Blick auf den RU zu werfen. Hin und wieder aber verweist er sehr wohl auf mögliche religionspädagogische Anknüpfungspunkte (z. B. 165 f. zur Adressatenproblematik und 189 f. zur Datierungsfrage). In einer ersten synchronen Analyse des Gal (22–148) zeigt er Gliederungsstrukturen auf und entfaltet seine Auslegung, ehe er jeweils die Kernaussagen in präzisen Thesen zusammenfasst (Gal 1,1–12: 33; Gal 1,13–2,21: 71; Gal 3,1–5,12: 128 f.; Gal 5,13–6,10: 141 f.; Gal 6,11–18: 148). Die folgende diachrone Analyse (148–190) führt die Leser auf die klassischen Einleitungsfragen nach der Biographie des Paulus, den Adressaten des Gal (W. neigt der Provinzhypothese zu [164]), den Gegnern des Paulus (W. arbeitet als deren hermeneutischen Ansatz heraus, Christus aus dem Kontext der »Schriften« zu verstehen [178 f.]) sowie der Datierungsfrage (W. plädiert für eine Spätdatierung um 53 n. Chr. [189]). Seine abschließenden »Kontextualisierungen« (190–201) fassen die Auslegung u. a. in vereinfachten Grafiken zum gekreuzigten und auferstandenen Christus, dem Leben in Christus sowie dem Leben vor und außer Christus zusammen.
Den religionspädagogischen Teil seiner Arbeit (202–337) beginnt W. mit einer sehr ausführlichen, mehr als 70-seitigen Grundlegung, die zugleich eine forschungsgeschichtliche Einordnung darstellt (203–277). Dieser Teil hätte zugunsten weiterer unterrichtspraktischer Impulse durchaus schmaler ausfallen dürfen, zumal W.s Standortbestimmung die eine oder andere Redundanz aufweist. Sein Ansatz wird allerdings sehr deutlich: Die von ihm präferierte RU-Konzeption ist das »Theologisieren mit Kindern/ Jugendlichen«, das er vor allem im Blick auf die geforderte Kompetenzorientierung des RU für geeignet hält (227). W. nimmt dabei Anstöße des »Konstruktivismus« auf und legt überzeugend dar, wie geeignet der Gal als Unterrichtsgegenstand für genau jenen religionspädagogischen Ansatz ist (235 f.). Deswegen geht es ihm im Kern nicht um den Unterrichtsstoff (er lehnt den Begriff der »Resultatkompetenz« ab [236]), sondern stets um die Aneignung durch die Schüler. Dezidiert fordert W., den RU nicht diffus »religiös« zu profilieren, sondern bewusst theologisch. Dass sich dafür die paulinischen Texte anbieten, ist offenkundig, wenngleich stets beachtet werden muss, dass der Anspruch, sich mit Paulus auseinanderzusetzen, hoch ist. Insofern konstatiert W. trotz aller Schülernähe und Subjektorientierung des RU, dass sich die Beschäftigung mit dem Gal vor allem aus der theologischen Relevanz dieses paulinischen Schreibens ableite und weniger aus den Fragen der Jugendlichen (338). Hier lässt sich fragen, ob es nicht doch etwa unterrichtliche »Anforderungssituationen« gäbe, die Schülern den Zugang zu paulinischen Texten erleichtern und zur Beschäftigung mit neutestamentlichen Texten motivieren könnten.
Dass wir es mit einer süddeutschen Perspektive zu tun haben, wird ersichtlich, wenn W. als Basis für seine religionspädagogischen Ausführungen den Bildungsplan für den evangelischen RU der Sektion I in Baden-Württemberg aus dem Jahr 2016 nennt (214), der immerhin dem Paulus einigen Platz einräumt (anders als der Bildungsplan von 2004 für die Realschule in BW). Inwiefern der Gal als »Schlüssel zur Bibel« fungieren könne, erläutert W. anhand von vier zentralen Themenkreisen (Jesus Christus, Gott und Welt, Gott und Mensch, Glauben – Hoffen – Handeln), die wiederum ineinander verwoben seien. Der Gal eigne sich als Unterrichtsgrundlage, weil er eine bewusste Wahrnehmung verschiedener Perspektiven ermögliche und vieles zur Frage nach der eigenen religiösen Identität beitrage (263). Zudem lasse sich die Frage nach der Intertextualität an diesem Brief sehr gut demonstrieren. Dafür sei die im RU zweifellos sehr ambitionierte Form der Ganzschriftlektüre angemessen, weil dadurch die Schüler tatsächlich in einen echten Dialog mit Paulus treten könnten (271).
Ehe er abschließend die Skizze einer herausfordernden Unterrichtseinheit zur Lektüre des Gal in Klasse 7 liefert, versucht W. aufzuschließen, inwiefern die Schüler »Schlüssel zum Galaterbrief« in die Hand bekommen müssen, um sich Paulus widmen zu können. Er greift dabei auf das Tübinger Elementarisierungsmodell (Nipkow/Schweitzer) zurück und versteht insofern Elementarisierung als wechselseitige Erschließung von Schüler und Inhalten (280–284). Deutlich wird bei seinen unterrichtspraktischen Überlegungen, dass Paulus im RU ein »Gesicht« bekommen müsse, da das Lernen an Biographien fruchtbringend und dem Verständnis des Gal zuträglich sei. Deshalb sei es auch sinnvoll, dass die Schüler u. a. durch Planspiele die Situation des Paulus und seiner Dialogpartner erfassten, um die »Selbstfindung des Christentums« kritisch nachvollziehen zu können (320).
Eine knappe Bündelung des Ertrages sowie ein Ausblick runden das inspirierende Werk ab, als dessen Adressaten sehr wohl Neutes-tamentler gesehen werden müssen, vor allem aber Religionspädagogen. Dass Lehrer das umfangreiche Werk zur Hand nehmen, ist wünschenswert, mehr noch wünscht man sich die Herausgeber von Schulbüchern und Unterrichtswerken als Leser, schließlich sind hier die Grundlagen gelegt, auf denen auch weitere einzelne Impulse zum Umgang mit Paulus im RU erfolgen können.