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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

961–963

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Schlag, Thomas, u. Jasmine Suhner [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Theologie als Herausforderung religiöser Bildung. Bildungstheoretische Orientierungen zur Theologizität der Religionspädagogik.

Verlag:

Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2017. 191 S. m. 1 Abb. u. 2 Tab. = Religionspädagogik innovativ, 17. Kart. EUR 35,00. ISBN 978-3-17-031475-7.

Rezensent:

Clauß Peter Sajak

Während der Haupttitel des vorliegenden Werkes noch einen relativ weiten Raum für Assoziationen lässt, bringt der Untertitel das Programm dieses Buches präzise in den Begriff: »Bildungstheoretische Orientierung zur Theologizität der Religionspädagogik«. Damit ist das Schlagwort genannt, das alle Beiträge des vorliegenden Bandes miteinander verbindet und das als Programmwort die Grundfrage des hier zusammengefassten Diskurses einspielt. Hinter der Frage nach der Theologizität der Religionspädagogik verbirgt sich nämlich ein ganzer Fächer von Fragen, die alle um das Verhältnis von Theologie und religiöser Bildung kreisen: Wie theologisch ist die Religionspädagogik? Wie genau ist das Verhältnis zwischen Theologie und Religionspädagogik beschaffen? Wie spiegelt sich das Verhältnis von Theologie und Religionspädagogik im wichtigen Praxisfeld des Religionsunterrichts wider? Und: Wie ist es um die Theologizität von bestimmten Ansätzen innerhalb von Religionspädagogik bzw. Religionsdidaktik bestellt? So hat z. B. Friedrich Schweitzer in seinem den Band einleitenden, erhellenden Beitrag die Themensammlung der Diskussion um die Theologizität zusammengefasst (11–13). Er skizziert damit das Programm einer Tagung, die im Dezember 2015 auf Einladung des evangelischen Religionspädagogen Thomas Schlag in Zürich stattgefunden hat und auf der sich evangelische wie katholische Religionspädagogen sowie der Erziehungswissenschaftler Henning Schluß ge­nau diesen Fragen gestellt haben.
Dass eine solche fachliche Diskussion die Religionspädagogik im Jahre 2015 in besonderer Weise beschäftigt, überrascht insofern, als sich die Frage nach dem Verhältnis von Theologie und Pädagogik ja nicht erst in jüngster Zeit stellt. Vielmehr ist es die Ausdifferenzierung der Disziplin und die Emanzipation der Religionspädagogik aus einer Vormundschaft der Systematischen Theologie gewesen, die Ende der 1960er Jahre im evangelischen Bereich – der Weg von der evangelischen Unterweisung zur Religionspädagogi k– und im katholischen Bereich – der Schritt der Würzburger Synode weg von der Katechetik hin zur Korrelationsdidaktik – eine Neubestimmung dieses Verhältnisses notwendig gemacht hat. Interessanterweise findet eine wirkliche Diskussion dieser Fragestellung aber erst jetzt, im zweiten Jahrzehnt nach der Jahrtausendwende statt – wohl auch, weil eine immer wirkmächtigere Rezeption von erziehungswissenschaftlichen Ansätzen und Paradigmen die Theologie und ihre Fragestellungen das ein oder andere Mal inzwischen an den Rande drängt. Besonders deutlich geworden ist dies zuletzt bei der Umsetzung der Kompetenzorientierung im Religionsunterricht. Mit Blick auf Inklusion und Heterogenität sind analoge Entwicklungen zu erwarten. Auch hat der inflationär verwendete Begriff der Theologie in Komposita wie Kindertheologie und Jugendtheologie zu einer erneuten kritischen Reflexion des Theologiebegriffs und damit verbunden der Frage nach dem theologischen Gehalt von religionsdidaktischen Ansätzen ausgelöst. Zuletzt hat eine Gruppe katholischer Theologinnen und Theologen im Zuge eines interuniversitären Großprojekts im Ruhrgebiet sich der Frage nach dem »Religionsunterricht als Ort der Theologie« (hrsg. von Norbert Mette und Matthias Sellmann, Freiburg: Herder 2012) gewidmet. Nun liegt ein ökumenisch ausgerichteter Band zu dieser Fragestellung vor, der entsprechend vielfältig und bereichernd die verschiedenen angespielten Fragen aufgreift und zu beantworten versucht.
Der Band wird von zwei Beiträgen eröffnet, in denen die Grundfrage nach der Theologizität der Religionspädagogik von Friedrich Schweitzer aus einer evangelischen und von Rudolf Englert aus einer katholischen Perspektive erörtert werden. Dabei hilft der Beitrag von Schweitzer vor allem dabei, die Forschungsfrage genauer auszudifferenzieren und die verschiedenen Aspekte der Themenstellung zu beleuchten. Englert dagegen setzt einen ersten Akzent mit Blick auf den Zusammenhang von Religionspädagogik und Religionsunterricht, indem er vor dem Hintergrund seiner eigenen Forschungsergebnisse die Spannung zwischen Religionswissenschaft und Theologie im universitären Diskurs, aber eben auch von konfessioneller religiöser Bildung und einer verstärkt religionskundlich ausgerichteten tatsächlichen Unterrichtspraxis be­schreibt. Im Folgenden ergibt sich die Struktur des Bandes maßgeblich aus einer Kombination von jeweils zwei Autoren, die aus komplementären Perspektiven je eine Facette der Fragestellung beleuchten.
So widmen sich Bernhard Grümme aus katholischer und Martin Rotgangel aus evangelischer Perspektive der Fragestellung, inwieweit eine religionspädagogische Bildungstheorie auf die Referenzgröße der theologischen Anthropologie zurückgreifen und diese in angemessener Weise abbilden und integrieren sollte. Henrik Simojoki und Martina Kumlehn bearbeiten dagegen den Aspekt der theologischen Bildung als Bildung zur Sprachfähigkeit, die sie aus pro-testantischer Perspektive mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen her beleuchten. Henning Schluß und Bernhard Dressler widmen sich einer bildungstheoretischen Begründung des Zusammenhangs von Theologizität, Religion und säkularer Bildung. Dabei wird in besonderer Weise die Frage aufgegriffen, inwieweit die in jüngster Zeit populären Ansätze der sogenannten Kinder- und Jugendtheologie dem Kriterium echter Theologizität entsprechen. Judith Könemann, katholische Religionspädagogin, und Thomas Schlag, evangelischer Religionspädagoge, widmen sich dann im folgenden Abschnitt der Bedeutung der Theologizität von Bildung für die kirchlichen Bildungsorte, die sich jenseits der viel diskutierten Didaktik des Religionsunterrichts ergeben und eröffnen. Dabei kommt in beiden Beiträgen der Kontext der Kirche als Freiheitsraum und damit als Ermöglichungsgrund einer theologisch begründeten Dialog- und Pluralitätsfähigkeit von Religionspädagogik zum Tragen. Der Band schließt mit einem ausführlichen und umfangreichen Grundsatzbeitrag des evangelischen Kollegen Bernd Schröder, der die Grundfrage reflektiert, inwieweit eine theologische Bildung heute im Kontext öffentlicher Diskurse notwendig und möglich ist. Der Band schließt mit einer knappen Zusammenfassung der verschiedenen Beiträge durch das Herausgeberduo Thomas Schlag und Jasmine Suhner.
Der Band liefert durchweg lesenswerte und anregende Beiträge, die alle gemeinsam in ihrer Komplementarität eine religionspädagogische Diskussion ermöglichen, die in dieser Weise strukturiert und intensiviert noch nicht stattgefunden hat. In diesem Sinne bedient das Buch ein religionspädagogisches Desiderat. Besonders anregend ist die Debatte von Bernhard Dressler und Henning Schluß über die bildungstheoretische Grundierung einer wie im­mer gearteten Theologizität religiöser Bildung. Dabei ist es vor allem Henning Schluß’ kundiger erziehungswissenschaftlicher Beitrag, der vor allem durch seine Exkurse zur historischen Di­mension von Freiheit, Religion und Bildung wichtige Facetten zum Diskurs beisteuert. Auch Bernhard Dressler liefert in ge­wohnter Qualität und mit der ihm eigenen Schärfe wichtige Koordinaten für die Diskussion des Zusammenhangs von Religion und Bildung, die allerdings an der ein oder anderen Stelle auf die von ihm bekannte scharfe Kritik an der sogenannten Kinder- bzw. Ju­gendtheologie hätte verzichten können. Judith Könemann und Thomas Schlag eröffnen wichtige Perspektiven über den Religionsunterricht hinaus für ein Fach, das sich allzu oft in eine babylonische Gefangenschaft des Lernorts Schule begeben hat. Bernd Schröder schließlich thematisiert in hilfreicher Weise das Grundproblem theologischer Bildung im öffentlichen Raum, das sich im Kontext der Säkularisierungsprozesse unserer gesellschaftlichen Öffentlichkeit drängend ergibt und tagtäglich verschärft.
Der sogenannte weiße Elefant im Raum, der in allen Beiträgen aufscheint, angesprochen wird und auch das ein oder andere Mal gestreift wird, ist die Religionswissenschaft und der mit dieser verbundene Modus religiöser Bildung als Religionskunde. Angesichts dieser offensichtlichen Konstellation wäre es sicher hilfreich und auch ehrlich gewesen, den ein oder anderen Religionswissenschaftler bzw. Religionswissenschaftlerin um einen Beitrag für diese Diskussion zu bitten: Auch sie hätten sicher Hilfreiches zum Thema Religion und religiöse Bildung beizutragen. Alles in allem schmälert dieses Desiderat aber nicht die Bedeutung und die Qualität des vorliegenden Sammelbandes.