Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2018

Spalte:

959–961

Kategorie:

Religionspädagogik, Katechetik

Autor/Hrsg.:

Nord, Ilona, u. Hanna Zipernovszky [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religionspädagogik in einer mediatisierten Welt.

Verlag:

Stuttgart: Kohlhammer Verlag 2017. 300 S. m. 11 Abb. u. 3 Tab. = Religionspädagogik innovativ, 14. Kart. EUR 39,00. ISBN 978-3-17-031131-2.

Rezensent:

Stefan Klug

Digitale Technologien sind aus vielen menschlichen Lebensbereichen überhaupt nicht mehr wegzudenken. Dies gilt in zunehmender Weise auch für Bildungseinrichtungen, insbesondere für Schulen und Universitäten. Seit etwa zwanzig Jahren werden vielerorts virtuelle Lernkonzepte entwickelt, vom Online-Lernen bis zu Online-Studiengängen oder einzeln online gestalteten Modulen für herkömmliche Studiengänge. Mit Blick auf das Thema Digitalisierung und Bildung sind allerdings umfassendere Bildungskonzepte notwendig, die sich mit den Herausforderungen und Chancen des computergestützten Lernens auseinandersetzen, einschließlich einer kritischen Medienbildung. Hier setzt nicht zuletzt auch der Bildungsauftrag von Schule an. Schulische Bildung – und konkret auch der Religionsunterricht – kann und soll im Sinne einer ge­rechteren und lebensdienlicheren Gestaltung von Lebensmöglichkeiten zu einer vertieften Reflexion über die Bedeutung von Medien für das menschliche Zusammenleben beitragen.
Der vorliegende Sammelband greift diese Diskussion auf und widmet sich der Frage, welchen Beitrag die vielfältigen christlichen Traditionen des Medienumgangs hierbei leisten können. Das Buch geht zurück auf eine fruchtbare mehrjährige Zusammenarbeit zwischen (evangelischen) Lehrenden im Bereich Religionspädagogik und Religionsdidaktik der Universitäten von Würzburg und Umeå (Südschweden). Nach einer kurzen, aber konzisen thematischen Einführung gliedert sich der Band in drei größere Kapitel, bestehend aus insgesamt 18 Einzelbeiträgen, die aus Sicht einer medienwissenschaftlich orientierten Theologie (1.) und der (Religions-)Didaktik (2.) verschiedene Zugänge und Perspektiven zum Verhältnis von Religionspädagogik und mediatisierter Welt erörtern und in einem abschließenden Aufsatz wichtige religionspädagogische Einsichten und Herausforderungen formulieren (3.). Darüber hinaus enthält der Band auch zwei Beiträge aus der Me­dienpädagogik, die zwar nicht im engeren Sinne mit dem Oberthema in Verbindung stehen, aber dennoch interessante Einblicke liefern, etwa in die grundlegenden Veränderungen von Lernprozessen durch digitale Medien, wie z. B. Tablets, oder in aktuelle Debatten im Feld der Medienpädagogik.
Die Beiträge des ersten Kapitels berühren viele wesentliche Bereiche der Theologie: Nach einer gelungenen, in Thesenform gegliederten Einordnung, in der mit Recht die enorme religionspädagogische Relevanz herausgestellt wird, die Religion(en) und religiöse Kommunikation über ihre medialen Repräsentanzen er­halten, werden zwei interessante biblische Perspektiven aufgezeigt (Neues Testament bzw. Jesus-Darstellungen im Film, Bibel als Medium bzw. biblische Schriften als mediengesättigte Zeugnisse des jüdisch-christlichen Gottesglaubens). Danach folgen zwei his-torische Beiträge: über die Bedeutung von Plakaten zu schwedischen Gebetstagen von der Reformationszeit bis zum Jahr 1983 sowie über die Wahrnehmung der Reformation als Medienereigni s– mit der hochspannenden Erkenntnis, dass die Reformation ohne Druckmedien wohl nicht hätte stattfinden können und dass sie umgekehrt das Druckmedium aus einer Existenzkrise befreite. Letzter Beitrag entstammt nicht der deutsch-schwedischen Kooperation, sondern stellt einen Wiederabdruck von Auszügen aus einer früheren einschlägigen Monographie des Historikers Johannes Burkhardt aus dem Jahr 2009 dar.
Die Aufnahme dieser Auszüge ist inhaltlich absolut gerechtfertigt, jedoch hätte man sich hier auch einen Beitrag etwa zur medialen Rezeption der Reformation, z. B. mit Blick auf das anstehende Reformationsjahr 2017, einer bzw. eines Forschenden der beteiligten Universitäten gewünscht. Nach zwei systematisch-theologischen Beiträgen zur Medialität der Offenbarung Jesu Christi, die mit dem Medienverständnis des bekannten Medientheoretikers Marshall McLuhan und dem Glaubensverständnis des Theologen Yves Congar gewinnbringend in Bezug gesetzt werden, sowie zur Theologie als der ältesten Medienwissenschaft und zur Entwicklung des homo legens zum homo medialis schließt sich ein religionspädagogischer Aufsatz an, der im Kontext des Verhältnisses von Religion und Medien Kriterien für gegenwärtige Kommunikationskulturen entwickelt, um so erste Schritte hin zu einer Pädagogik der Social Media im Bereich der Religion zu unternehmen. Ein religionswissenschaft­licher Beitrag führt aus, dass Religionen und religiöse Kommunikationen nicht anders als durch, in und mit Medien konstruiert werden, und plädiert dafür, für die Erforschung religiöser Kommunikationsstrukturen von einer akteurszentrierten Perspektive auszugehen.
Beginnend mit einer Einführung zur religiösen Bildung aus schwedischer Sicht und zum dortigen Religionsunterricht in einer mediatisierten Umgebung erörtert das zweite Kapitel des Bandes unterschiedliche didaktische Perspektiven zur Mediennutzung im Religionsunterricht: zum inklusiven Unterrichten anhand ausgewählter biblischer Narrative, zum Zusammenhang von Medien und religiösem Wissen anhand kirchlicher Archive und ihrer Digitalisierung sowie zur Thematisierung von digitalen Medien bzw. Lernaufgaben in aktuellen (deutschen evangelischen) Schulbüchern. Zwei weitere Aufsätze befassen sich mit einer Pilotstudie zum Thema Cyberbullying (Cybermobbing) und daran anknüpfend mit der Frage, inwieweit der oftmals problematische Umgang von Jugendlichen mit den neuen Medien durch Konfliktanalyse differenzierter wahrgenommen werden kann. Das dritte und letzte Kapitel besteht aus einem deutsch-schwedischen Beitrag, der einige Fäden des Bandes nochmals aufgreift und abschließend wichtige Herausforderungen und Möglichkeiten auf dem Weg zu einer Religionsdidaktik im Kontext digitaler Transformationsprozesse benennt: etwa welche Bedeutung die Mediatisierung von Lebenswelten und der alltägliche Um­gang mit Kommunikationsprozessen für die Entwicklung von Unterrichtsmaterialien und ihre Verwendung in Lehrprozessen haben oder wie computergestützte Lernphasen außerhalb oder innerhalb des Schulunterrichts religionspädagogisch so begleitet werden, dass nachhaltige Bildungsprozesse angestoßen werden können.
Die Herausgeberinnen haben zusammen mit dem deutsch-schwedischen Autorenteam ein sehr facettenreiches und informatives Werk vorgelegt, das insbesondere aufgrund der länderübergreifenden Perspektive (die an manchen Stellen noch ausführlicher hätte zum Tragen kommen können) mit Gewinn zu lesen ist. Aufschlussreich erscheint hierbei vor allem der Vergleich des deutschen konfessionellen Religionsunterrichts mit der Situation in Schweden, einem der säkularisiertesten Länder der Welt, wo bereits vor längerer Zeit das Fach Religionskunde eingeführt wurde und bei Lehrkräften keine Bindung an eine Religionsgemeinschaft vorausgesetzt wird. Gerade mit Blick auf den Einsatz digitaler Medien im schulischen Kontext zeigen sich grundlegende Unterschiede zwischen beiden Ländern. Anhand des schwedischen Schulsystems lässt sich das Ausmaß der Veränderungen, die in den nächsten Jahren mit Blick auf schulische Lernprozesse auch auf Deutschland zukommen werden, bereits jetzt schon erkennen. Bei uns besteht – natürlich bedingt durch andere, schwierigere Rahmenbedingungen des föderalen Bildungssystems – noch viel Entwicklungspotential im Bereich digitaler und mediatisierter Unterrichtsgestaltung, die nicht zuletzt auch das Fach Religion betreffen (müssen), wie der Sammelband eindrücklich vor Augen führt.
Das Buch gibt wichtige Impulse und Anstöße für die Entwicklung von Konzepten zur Medienbildung im Bereich der Religionspädagogik.