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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

954–956

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Meireis, Torsten, u. Rolf Schieder [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Religion and Democracy. Studies in Public Theology.

Verlag:

Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft 2017. 181 S. = ethikundgesellschaft, 3. Kart. EUR 34,00. ISBN 978-3-8487-4135-9.

Rezensent:

Wolfgang Vögele

Dieser Sammelband stammt aus dem Umfeld des an der Berliner theologischen Fakultät neu gegründeten Instituts für öffentliche Theologie (Berlin Institute for Public Theology). Im Vorwort wird öffentliche Theologie aufgefasst als »an effort to explore and critically reflect on the public impact of a polyphonic religious dis-course and the religious dimension of public discourse, while thus furthering the debates connected to such discourse« (9 f.). Dieser theologische Diskurs ist besonders auf Demokratien bezogen. Es ist zu fragen, wie in den unterschiedlichen Beiträgen das noch in den neunziger Jahren entwickelte Konzept der öffentlichen Theologie auf die Fragestellungen des neuen Jahrhunderts angewandt und damit auch selbst weiter entwickelt wird.
Torsten Meireis (19-36) nimmt sich die Krisen der Demokratie vor. Sie nehmen für ihn Gestalt an in zunehmendem Populismus und Nationalismus, in Personalisierung und Dramatisierung der Politik. Er fragt, wie die Kirchen unter solchen Umständen den de­mokratischen Prozess fördern können. Und er gibt dafür drei Hinweise. Erstens kann die Kirche entgegen einem verbreiteten Vorurteil nicht mit jedem politischen System leben. Es existiere eine starke Affinität zur Demokratie. Zweitens verweist er auf den Ge­danken des Priestertums aller Gläubigen und drittens auf Menschenwürde und Gottebenbildlichkeit (28 f.). Dazu kommen institutionelle Affinitäten wie die Diakonie und der universitäre theologische Diskurs. Meireis‘ Beitrag endet optimistisch und pragmatisch: »So let’s pray, think and act.« Aber es bleibt noch auszuführen, wie die ins Spiel gebrachten Ressourcen öffentlicher Theologie konkret zu den Krisen der Demokratie in Beziehung zu setzen wären.
Rolf Schieders Beitrag (37-51) beschäftigt sich mit dem Thema der Blasphemie. Es erscheint merkwürdig, dass nun ausgerechnet ein religiös so sensibler Sänger und Lyriker wie Leonard Cohen als Beispiel für Blasphemie vorgestellt wird. Schieder kann das, weil er Blasphemie als »communication event between a believer and his God« (38) versteht. Dieses theologische Verständnis reibt sich mit einem rechtlichen und einem kulturellen Verständnis von Blasphemie, was Schieder an neueren Kontroversen und Büchern zeigen kann. Blasphemie verwandelt sich von der Beleidigung Gottes zur Kritik an den Kräften, die eine Gesellschaft zusammenhalten. Insofern spricht Schieder von einer zivilreligiösen Dimension der Blasphemie. Die Blasphemie gelte darum nicht mehr Gott, sondern dem »overall societal consensus« (50).
Andreas Feldtkeller (55-70) setzt mit Überlegungen zu einer komparativen Religionstheorie ein. Religion als soziale Formation, argumentiert er, ist gar nicht notwendig auf das Politische oder gar auf die Demokratie oder auf eine öffentliche Theologie bezogen. Letztere verbindet er mit der Idee, die Demokratie ihrerseits aus einer theologischen Perspektive zu kritisieren. - Marcia Pally (71-89) setzt anthropologisch ein. Weil Menschen relationale Wesen sind, brauchen sie Gemeinschaften, brauchen sie Demokratie. Als öffentlich-theologisches Bindeglied fungiert dabei die Kategorie des Bundes (covenant). Mouez Khalfaoui (89-100) untersucht das Verhältnis von Islam und Demokratie, und er zeigt frühe Beispiele muslimischer Demokratie-Rezeption aus dem 19. Jahrhundert, bevor er auf das empirische Verhältnis von europäischen Muslimen in ihren jeweiligen demokratischen politischen Verhältnissen kommt. - Ein weiterer Beitrag ist aus der Perspektive der katholischen Ethik (Möhring-Hesse) geschrieben: Er macht sich Gedanken über »faith-based politics« (101 u. ö.) im öffentlichen Raum.
Der letzte Teil des Bandes beschäftigt sich mit angewandten Fallstudien: mit den neuen sozialen Medien (Florian Höhne) und der Frage einer »Publikumsethik« (128), einer Art Verantwortungsethik für »User«; mit der sprachlichen Gestalt öffentlicher Theologie (Wustmans); mit der Rolle der Kirchen in Ethikkommissionen und -räten (Schliesser, Harasta). Besonders Schließer thematisiert auch das Selbstverständnis öffentlicher Theologen, mit spezifischen Unterschieden zwischen der Schweiz und Deutschland.
Cum grano salis zieht sich durch alle Beiträge ein Gegensatz zwischen Alt und Neu. Auf der einen Seite zeigen sich neue Probleme: Digitalisierung, der Strukturwandel der Öffentlichkeit, Populismus, neue Rechte, Globalisierung, eine Krise des demokratischen Diskurses. Auf der anderen Seite operieren die Autoren des Bandes mit alten und älteren theologischen und politisch-religiösen Konzepten: Dreiämterlehre, Bund Gottes mit den Menschen, Zweireichelehre, Trennung von Staat und Kirche, Menschenwürde, Gott ebenbildlichkeit, Zivilreligion. Öffentliche Theologie soll nach dem Willen der Verfasser das Medium sein, den alten Konzepten eine neue modernitätsadäquate Gestalt zu geben. Aber es ist noch nicht klar, ob die alten Konzepte und die neuen sozialen Probleme schon genügend aufeinander bezogen sind. Ich habe mich nach der Lektüre gefragt, ob das Konzept einer öffentlichen Theologie nicht eher als aus dem Bezug auf die Demokratie aus einer Theorie der Religionsfreiheit heraus entwickelt werden muss. Denn in Umrissen wird in diesem Band sichtbar, dass für die Religionen nicht das demokratische Verfahren als politische Organisationsform das Problem ist, sondern die Ko-Existenz mit anderen Religionen innerhalb einer demokratischen Kultur. – Man darf auf die weiteren Bände aus dem Berliner Institut ge­spannt sein.