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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

949–951

Kategorie:

Systematische Theologie: Ethik

Autor/Hrsg.:

Kim, Sebastian, and Katie Day [Eds.]

Titel/Untertitel:

A Companion to Public Theology.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XX, 495 S. = Brill’s Companion to Modern Theology, 1. Geb. EUR 149,00. ISBN 978-90-04-33605-6.

Rezensent:

Frederike van Oorschot

Unter dem Begriff public theology findet sich seit den 1980er Jahren eine Debatte um die Bedeutung der Theologie für das gemeinschaftliche Leben. Seit etwa 15 Jahren ist eine rasante Verbreitung des Begriffs in unterschiedlichen wissenschaftlichen, kirchlichen und politischen Kontexten weltweit zu beobachten, die inzwischen zu einer schier unübersehbaren Landschaft öffentlicher Theologien geführt hat. Insofern ist der von Sebastian Kim und Katie Day herausgegebene »Begleiter« in die Forschungslandschaft der öf­fentlichen Theologie ein überfälliges und überaus begrüßenswertes Projekt. Der erste Band in der neuen Reihe »Brill’s Companions to Modern Theology« hat daher in erster Linie die Aufgabe eines orientierenden Reiseführers. Dieser kommt der Band hervorragend nach: Durch seine klare Struktur verhilft er zu einer Orientierung in der Debatte und bietet durch seine Bandbreite sowohl der Themen als auch der Autoren zugleich einen beeindruckenden Überblick.
Der Band steht in enger Verbindung mit dem Global Network for Public Theology und dem verbundenen International Journal for Public Theology. Die Herausgeber des Bandes sind durch ihre langjährige Vernetzung in diesen Organen ausgewiesene Kenner der Debatten um die öffentliche Theologie und haben renommierte internationale Experten als Autoren gewonnen. In insgesamt 20 Kapiteln beleuchten die Autoren aus nahezu allen Teilen der Welt Einzelfragen der Debatte um öffentliche Theologie und erhellen auf diese Weise unterschiedliche Formationen der Forschungslandschaft. Positiv hervorzuheben ist die ausführliche Vorstellung der Autoren zu Beginn des Bandes, der die kontextuelle Einbindung und Verortung erleichtert. Jeder Aufsatz wird von einer ausführlichen Bibliographie begleitet.
In der Einführung verorten die Herausgeber den Band in den unterschiedlichen Definitionen und Entstehungsströmen öffentlicher Theologien und bieten somit in Kurzform eine Begleitung durch die Weite der Forschungslandschaft. Der weitere Band gliedert sich in vier Hauptteile zu den Themen »Foundations of Public Theology«, »Public Theology and the Political Sphere«, »Public Theology, Economics and Social Justice« und »Public Theology, Ethics and Civil Societies«.
Der erste Teil »Foundations of Public Theology« dient der Verortung und hermeneutischen Grundlegung öffentlicher Theologie. Dazu gehört die Verhältnisbestimmung von Bibel und öffentlicher Theologie zur Entwicklung einer theo-politischen Hermeneutik (Paul Hansen) ebenso wie eine Einbettung der Debatte im öffentlichen Engagement christlicher Theologie seit ihren Anfängen (Sebastian Kim). Abschließend fragt Dirk J. Smit nach einer möglichen Methodik öffentlicher Theologie in Auseinandersetzung mit zentralen Anforderungen an öffentlich-theologisches Reden.
Der zweite Teil »Public Theology and the Political Sphere« dient der Verortung im politischen Raum. In den Blick kommen zum einen zwei grundlegende Verhältnisbestimmungen: So beschreibt Luke Bretherton öffentliche Theologie im Spannungsfeld von Staat, Demokratie und lokaler Gemeinschaft und Andrew Bradstock und Hilary Russell beleuchten das Verhältnis von Politik, Kirche und Allgemeinwohl. Zum anderen werden zwei spezifische Themen vertieft: David Tombs reflektiert das Verhältnis von öffentlicher Theologie und Versöhnung und Nico Koopman führt exemplarisch die Verortung öffentlicher Theologien im Kontext nationalistischer Ideologien vor Augen.
Der dritte Teil »Public Theology, Economics and Social Justice« führt in wirtschafts- und sozialethische Aspekte ein. Hier finden sich zum einen breit angelegte Überblicksartikel, z. B. zum Verhältnis von öffentlicher Theologie und Globalisierung (Scott R. Paeth), zur Relation von öffentlicher Theologie und sozialer Ge­rechtigkeit (Nicholas Sagovsky), zum Programm der öffentlichen Theologie als »theology of citizenship« (Rudolf von Sinner) oder eine Erhellung öffentlicher Theologie aus Genderperspektive (Esther MacIntosh). Zum anderen kommen exemplarische und innovative Vertiefungen zu materialethischen Fragen in den Blick, z. B. zu Gesundheitsethik (Frits de Lange) oder Menschenhandel (Letitia M. Campbell und Yvonne Zimmermann). Daneben arbeitet Katie Day am Beispiel des Mittleren Ostens die Verbindung von sozialem Zusammenhalt und Allgemeinwohl aus soziologischer Perspektive heraus.
Der vierte Teil »Public Theology, Ethics and Civil Societies« vertieft zum einen in weiterer materialethischer Hinsicht: Dazu dienen zwei Beiträge zur Umweltethik (Larry Rasmussen; Christopher Baker und Elaine Graham) sowie eine Verhältnisbestimmung von öffentlicher Theologie und Bioethik (Lisa Sowle Cahill). Zum anderen werden unter der Überschrift der zivilgesellschaftlichen Orientierung Zuspitzungen im Blick auf die Vermittlung und Vermittelbarkeit öffentlicher Theologie vorgestellt: Clive Pearson fragt nach der Bedeutung öffentlicher Theologie im Sinne einer Koalitionspraxis für politische Minderheiten, Jolyon Mitchell und Jenny Wright reflektieren die mediale Vermittlung öffentlicher Theologie. Abschließend stellt Cláudio Carvalhaes den kirchlichen und liturgischen Konnex öffentlichen Bezeugens heraus. Der Band schließt mit einem umfassenden Index.
Leichte Schwächen liegen – wie bei jedem Reiseführer – vor allem in der nötigen Einschränkung. So ist ein deutliches Übergewicht von Autoren aus dem anglo-amerikanischen Raum, insbesondere dem US-amerikanischen Kontext erkennbar. Angesichts der darüber hinausgehenden breiten internationalen Debatte wäre eine gleichmäßigere Repräsentation der Kontexte wünschenswert. So kommen z. B. Theologen aus Asien oder dem deutschsprachigen Raum nicht zu Wort. Dass auch thematisch weitere Aspekte wünschenswert gewesen wären – etwa eine Reflexion auf den Öffentlichkeitsbegriff und eine Verortung im Blick auf andere Modelle der Sozialethik –, ist angesichts der breiten Debatte um öffentliche Theologie nicht verwunderlich. Zudem erlaubt die nach inhaltlichen Kriterien gegliederte Darstellung zwar eine Orientierung in den vielfältigen Aspekten der öffentlich-theologischen Debatten, geht naturgemäß jedoch zulasten kontextueller Besonderheiten auch innerhalb der ethischen Felder. Da dies dem Anliegen eines orientierenden Begleiters geschuldet ist, stellt es im Kontext des vorliegenden Projekts nur einen kleinen Mangel dar.
Die erreichte thematische und kontextuelle Breite des Bandes stellt in der bisherigen Debatte ein erfreuliches Novum dar. In der Kombination von grundlegenden hermeneutischen Überlegungen und exemplarischen materialethischen Vertiefungen kommt der Band in seiner orientierenden Leistung seinem Selbstanspruch als ein Begleiter durch eine moderne Forschungslandschaft vollständig nach. Der 2017 mit dem Outstanding Academic Title Award ausgezeichnete Band stellt einen empfehlenswerten Reiseführer durch die öffentliche Theologie dar, der sowohl einen guten Einstieg für erste Kontakte mit der Debatte darstellt, als auch Kennern weiterführende Seitenwege aufzeigt.