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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

924–926

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Beintker, Michael, Plasger, Georg, u. Michael Trowitzsch [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Karl Barth als Lehrer der Versöhnung (1950–1968). Vertiefung – Öffnung – Hoffnung.

Verlag:

Zürich: Theologischer Verlag Zürich 2016. 562 S. Geb. EUR 75,00. ISBN 978-3-290-17833-8.

Rezensent:

Alexander Kupsch

Unter dem Titel »Karl Barth als Lehrer der Versöhnung« versammelt dieser Band die Beiträge des dritten Emder Barth-Symposions, das sich – nach Symposien und entsprechenden Sammelbänden zu »Karl Barth in Deutschland (1921–1935)« und »Karl Barth im europäischen Zeitgeschehen (1935–1950)« – nun der letzten Wirkungsphase Barths zwischen 1950 und 1968 widmet.
Angesichts des Zeitraums konzentrieren sich Großteile des Bandes naturgemäß auf die Versöhnungslehre in den IVer Bänden der Kirchlichen Dogmatik. An die Einführung in die architektonische Konzeption der Versöhnungslehre durch Georg Plasger schließen sich Rekonstruktionen verschiedener dogmatischer loci an: Chris-tologie (Bruce McCormack), Hamartiologie (Stephan Schaede), Soteriologie (Michael Beintker), Pneumatologie (Cornelis van der Kooi), Ekklesiologie (John G. Flett), Missiologie (Darrell L. Guder), Sakraments- (Michael Weinrich) und Predigtverständnis (André Demut), Eschatologie (Michael Trowitzsch), christliches Leben (Gerard den Hertog) und das Problem der Allversöhnung (Matthias Zeindler). Ausgehend von der späten »Einführung in die evangelische Theologie« skizziert Magdalene Frettlöh Barths Theologieverständnis und formuliert dabei eine Anzahl kritischer Anfragen – etwa zur männlich-kämpferischen Färbung der theologischen Existenz bei Barth.
In doppelter Hinsicht wird die Rezeptionsgeschichte bedacht: Barths eigene Rezeption anderer Konzeptionen wird anhand seiner notorischen »Freund-Feinde« Schleiermacher (Matthias Gockel) und Bultmann (Konrad Hammann) dargestellt. Als äußerst gewinnbringend erweist sich in beiden Fällen Bestreben und Kompetenz der Autoren, nicht einfach Barths Frontlinien apologetisch nachzuvollziehen, sondern aus der Perspektive der ›Antipoden‹ Barths eigenen Ansatz prüfend in den Blick zu nehmen. Im Falle Schleier-machers wird vorgeschlagen, Barths hamartiologische und soteriologische Widersprüche jedenfalls teilweise auf missverstehende Les­arten Schleiermachers zurückzuführen. Alles in allem sei Schleiermachers Theologie »nicht als Gegensatz, sondern als Vor-Bild der Theologie Barths zu betrachten« (262). Im Falle Bultmanns wird der entscheidende Punkt der Auseinandersetzung im Verhältnis von Glaube und Wort lokalisiert. Barth habe Bultmanns »Denkform der paradoxen Identität« von geschichtlicher und kerygmatisch-gegenwärtiger Offenbarung die Analogie des Gott entsprechenden Menschen unter entschiedener Wahrung des Unterschieds von Gott und Mensch gegenübergestellt (291). Barth habe damit aber auch eine »tendenziell spiritualistische Auffassung vom Wort Gottes« (289) vertreten.
Die Rezeption Barths durch andere beleuchten drei weitere Beiträge: Die niederländische Barth-Rezeption wird am Beispiel Oepke Noordmans (Akke van der Kooi) geschildert. Anne-Kathrin Finke gibt auf Basis ihrer einschlägigen Monographie Einblicke in die britische Barth-Rezeption. Ein interessanter und lohnenswerter Blick über den Tellerrand, den man gerne über die 1990er Jahre hinaus noch verlängert hätte. Informativ sind auch die Ausführungen Peter Zochers zum Verhältnis Barths gegenüber seinem Heimatland und vor allem umgekehrt der Schweiz zu ihrem bekanntesten Theologen, das nach dem 2. Weltkrieg im Kontext des Kalten Krieges erhebliche Eintrübungen erfuhr.
Gleich zwei der Beiträge widmen sich dieser Stellung Karl Barths zwischen den Fronten des Kalten Krieges. Barth zog im Westen bekanntlich den Vorwurf auf sich, das Sowjetregime nicht mit ausreichender Eindeutigkeit kritisiert zu haben. Noch in seiner Basler Abschiedsvorlesung musste sich Barth deshalb vom Prorektor der Universität Edgar Salin des »Kryptokommunismus« zeihen lassen. Der niederländische Historiker George Harinck zeigt auf, wie Barth den Kirchen im Kommunismus zur Achtung der weltlichen Ordnung einerseits, zur theologisch begründeten Dis­tanz gegenüber allen Parteinahmen andererseits riet. Harinck meldet deutliche Zweifel an, dass Barth damit der politischen Situation der Christen unter den kommunistischen Regimes gerecht geworden sei. In Ergänzung zu Harinck präsentiert Rinse Reeling Brouwer in einem biographischen Querschnitt Barths Position im Verhältnis zum Kommunismus von dessen religiös-sozialistischen Anfängen bis zu den späten Stellungnahmen im Kalten Krieg. Differenziert werden Barths vorsichtige Sympathien gegenüber der »kommunistischen Lösung« des sozialen Problems ebenso nachgezeichnet wie dessen Ablehnung der unfreiheitlichen Le­bensform unter sowjetischer Herrschaft. Auch bei Brouwer allerdings wird die Frage aufgeworfen, ob Barths Forderung eines »überlegenen Ortes oberhalb des Gewölks« (186) durchführbar sei.
Der rote Faden, der sich durch fast alle Behandlungen der späten Theologie Barths zieht, ist die Frage nach der Menschlichkeit Gottes: In welcher Weise hat Barth in dieser letzten Phase neu das Problem der Beziehung von Gott und Mensch aufgegriffen und gegenüber dem bekannten reformierten cantus firmus der Unterschiedenheit zur Geltung gebracht?
Als besonders faszinierend in ihrer Intensität und durchaus auch Schärfe erscheint die von Bruce McCormack eingebrachte Auseinandersetzung der englischsprachigen Theologie um Barths Fassung des christologischen Problems und seiner Konsequenzen für die Impassibilität und Immutabilität Gottes. Während sich die eine Seite der Diskussion auf Barths Betonung der Souveränität Gottes auch gegenüber seinem heilsgeschichtlichen Handeln be­ruft (»God would be the triune God without us«), forciert die an-dere Seite Barths Einsicht, dass Gott präzise in seiner Selbsterniedrigung wesentlich er selbst ist. Glänzend ist McCormacks Abhandlung, weil er nicht nur entschieden Position bezieht (für Letzteres), sondern auch das exegetische Recht der anderen Seite einräumt und schließlich Denkmöglichkeiten über die identifizierten Un­klarheiten bei Barth hinaus verfolgt: Entscheidend sei demnach die konzeptuelle Trennung von Immutabilität und Impassibilität, um die Unveränderlichkeit Gottes gerade in seiner Leidensfähigkeit festzuhalten.
In besonderer Konfiguration erscheint die Frage nach der Menschlichkeit Gottes in Johanna Rahners Beitrag »Karl Barth und der Katholizismus«. Durch einen »Hauch von natürlicher Theo-logie« in der Lichterlehre des späten Barth könnten demnach we­nigstens Anschlüsse ermöglicht werden. Ausführlich wird diese Selbst-Erweiterung der Theologie Barths von Christian Link rekonstruiert, bei dem Auskunft darüber zu finden ist, wie Barth das Wahrheitsmoment der natürlichen Theologie auf christologischem Wege einzuholen suchte und inwiefern er das Projekt einer natürlichen Theologie bleibend skeptisch beurteilte. Vor allem in der späten Tauflehre aber erblickt Rahner Potentiale für das Ge­spräch mit der modernen katholischen Theologie: Denn hier wird der handelnde Mensch im Versöhnungsgeschehen nicht »ignoriert und übergangen«, nicht »überrannt und überwältigt«, sondern »mündig gesprochen und auch als mündig behandelt« (462, Zit. KD IV/4). Damit aber sei der Gegensatz von Theologie und Anthropologie nicht länger absolut und nur zugunsten der Theologie aufzulösen.
Ausgerechnet die innerprotestantisch hoch umstrittene Tauflehre Barths wird hier also zur ökumenisch vielversprechenden und »eigentliche[n] Spitze« (463) der Barthschen Bundestheologie erklärt. Umso interessanter, dass dieses Urteil der katholischen Theologin vom evangelischen Theologen Michael Weinrich un­umwunden geteilt wird. Auch Weinrich sieht die Tauflehre aus KD IV/4 nicht als späten Ausrutscher an, sondern als konsequente Durchführung des Programms der Menschlichkeit Gottes, in dem ja die Menschlichkeit des Menschen dezidiert eingeschlossen ist.
So bietet dieser Band neben vielen fundierten Beiträgen, die sich in handbuchartiger Weise gut als Einführungen eignen, auch einige prononcierte Thesen, die die Diskussion um den späten Barth sicher befördern werden.