Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2018

Spalte:

922–924

Kategorie:

Dogmen- und Theologiegeschichte

Autor/Hrsg.:

Basse, Michael, u. Gerard den Hertog [Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Dietrich Bonhoeffer und Hans Joachim Iwand – Kritische Theologen im Dienst der Kirche.

Verlag:

Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2017. 362 S. = Forschungen zur systematischen und ökumenischen Theologie, 157. Geb. EUR 100,00. ISBN 978-3-525-56452-3.

Rezensent:

Wolf Krötke

Hans Joachim Iwand und Dietrich Bonhoeffer hatten zu ihren Lebzeiten nicht viel miteinander zu tun. Sie waren beide Leiter eines Predigerseminars der »Bekennenden Kirche«. Aber ein intensiverer Einfluss des einen auf den anderen lässt sich nicht ausmachen. Der vorliegende Band versucht, sie dennoch in eine Beziehung zu setzen. Er charakterisiert sie als »kritische Theologen im Dienst der Kirche«. Dabei wird Iwands Wirken nach 1945 und damit seine Rezeption von Texten Bonhoeffers mit einbezogen.
Am Beginn dieses Bandes, zu dem 2014 eine Tagung der Hans Iwand-Stiftung den Anstoß gab, steht eine »Einführung« von Chris-tian Neddens (13–37). Sie würdigt den »Ostberliner Vorzeigetheologen« (?) Hanfried Müller besonders, weil er Bonhoeffer wie Iwand als »Impulsgeber« »eines sozialistisch geläuterten Christentums« (15) verstand. Müller hielt die marxistisch-leninistische Weltanschauung für einen Ausdruck »mündiger Weltverantwortung« im Sinne Bonhoeffers. Mit Hilfe der Stasi wollte er verhindern, dass sich die Kirche überhaupt zu politischen Fragen äußert. Nach Neddens hatte Iwand (der natürlich von der Stasi nichts wusste) gegen die »Kreuzestheologie«, mit der das u. a. begründet wurde, »wenig einzuwenden« (16). Denn er war daran interessiert, »die berechtigten Anliegen des Sozialismus wieder in das Christentum zu integrieren« (36). Von seinem Anliegen her, Kirche und Gesellschaft im Horizont des kommenden Reiches Gottes in Beziehung zu setzen, empfiehlt Neddens deshalb »das Müllersche Projekt – […] unter neuen Vorzeichen, d. h., ohne dessen ideologische Voraussetzungen – […] noch einmal aufzugreifen« (37). Darauf haben sich die zwölf Autorinnen und Autoren, die »Einzelthemen« der Beziehung zwischen Bonhoeffer und Iwand erörtern, glücklicherweise nicht eingelassen.
Den Reigen der Untersuchungen von »Einzelthemen«, auf die hier nur Hinweise gegeben werden können, eröffnet Michael Basse. Er zeichnet Bonhoeffers und Iwands »Engagement für den Frieden« nach (41–62). Dabei bleibt offen, ob Iwand, der sich nach einer militärischen Vergangenheit im 1. Weltkrieg und Teilnehmer am Kapp-Putsch (vgl. 42) später auch als »Pazifist« bezeichnen konnte, mit der »Friedenstheologie« Bonhoeffers von 1934 wirklich übereinstimmte (vgl. 61 f.).
Markus Franz geht anschließend »Spuren der Ständelehre Luthers in Bonhoeffers und Iwands Gesellschaftsethik« nach (63–84) und Gerard den Hertog vergleicht das Verständnis der »rechten Predigt des Gesetzes« bei beiden Theologen (85–102). Die Bezugnahme auf Luthers Verständnis des Gesetzes in den »Ordnungen« und in der Verkündigung der Kirche gehörte auf unterschiedliche Weise in der Tat zum Profil des theologischen Denkens von Bonhoeffer und Iwand. Brisant wird diese Bezugnahme in der Frage des politischen Widerstandsrechtes, die Marco Hofheinz eindrücklich reflektiert (103–128). Ob Bonhoeffer und Iwand we­sentlich über die »lutherische Ethik« hinausgegangen sind, bleibt jedoch zu diskutieren. Hier wäre eine genaue Auslegung von Bonhoeffers viel zi­tiertem Satz wünschenswert gewesen, der Kirche bleibe als Letztes gegenüber einem Unrechtsregime nur die Möglichkeit, »dem Rad selbst in die Speichen zu fallen« (123). Bonhoeffer hat sich nicht dafür ausgesprochen, sondern diese Möglichkeit an ein nicht exis­tierendes »evangelisches Konzil« verwiesen (DBW 12, 354). Das sollte man nicht verschweigen.
Der folgende Vergleich des Sündenverständnisses von Bonhoeffer und Iwand durch Annette Kern (129–148) hebt den christologischen Erkenntnisgrund von »Sünde« hervor, auch wenn bei Bonhoeffer der Ton mehr auf dem Bekenntnis der Sünde und bei Iwand mehr auf der Erkenntnis der Sünde liegt (vgl. 148). Johannes von Lüpke aber nutzt die Gelegenheit, Bonhoeffers und Iwands Verständnis von »Wirklichkeit« gegen die neuprotestantische Ansicht von einer »Entsubstantialisierung« der Theologie zu wenden (149–163).
Spannend ist die Untersuchung von Cees-Jan Smits zur Verwendung der Kategorie des »Lückenbüßers« bei Bonhoeffer und Iwand, die auch bei Karl Barth eine Rolle spielt (165–188). Hier entsteht ein Gesprächsszenarium. Denn einerseits muss man fragen, ob Iwand Christus nicht auch als »Lückenbüßer« für die Sünden, die ein Mensch »nicht meistern kann«, verstanden hat (172). Andererseits ist zu bedenken, dass Bonhoeffer in den Gefängnisbriefen vielleicht zu selbstverständlich Christus für die »mündige Welt« in Anspruch genommen hat, in der »viele Lücken« klaffen, die nur eschatologisch zu schließen sind (vgl. 186).
Das Thema der Eschatologie bei Bonhoeffer und Iwand ist damit aufgerufen. Edgar Thaidigsmann behandelt es, indem er Bonhoeffers Rede von einer »Erlösung im Diesseits« mit dem Vortrag von Iwand »Erlösung zum Diesseits« (1961) ins Gespräch bringt (189–205). Clara Aurelia Tolkemit fügt »Überlegungen zu einer wirklichkeitstreuen Eschatologie« hinzu (207–233). Es wäre wünschenswert gewesen, beide Beiträge abzustimmen. Denn ohne den eschatologischen Horizont konnten weder Bonhoeffer noch Iwand eine »Er­lösung im« oder »zum Diesseits« verstehen.
Dass es die evangelische Kirche in der NS-Zeit versäumt hat, die­ser »Erlösung im Diesseits« zu dienen, verdeutlicht Wilken Veen. Er orientiert sich dabei an Bonhoeffers Entwurf eines Schuldbekenntnisses (DBW 6, 129–132) und an Iwands Mitwirkung am »Darmstädter Wort« (vgl. 235–266). Der Aufweis der Korrekturen, die Iwands Entwurf dieses Wortes durch Karl Barth erfahren hat, ist verdienstvoll, fordert aber zugleich heraus, dieses Wort ob seiner Fixierung auf den sich anbahnenden Ost-West-Konflikt kritischer zu beurteilen, als es hier geschieht.
In welcher Weise die »Krise« des Versagens der Kirche in der NS-Zeit für Bonhoeffers und Iwands Theologie von Bedeutung für die Zukunft der Kirche war, fragt Bernd Wannenwetsch im Anschluss daran (267–282). Sein Urteil ist, dass diese Krise »als ein Hindeuten auf diejenige Krise, in der es im Kern geht« verstanden werden muss, nämlich als Krise, in die das Evangelium alle bringt, die sich selbst »retten« wollen (282). Peinlich ist aber die Mitteilung, Bonhoeffer sei im KZ Buchenwald ermordet worden (vgl. 274).
Die Erörterung der »Einzelthemen« schließt Ralf Wüstenberg ab, der bei jener Tagung der Iwand-Stiftung das Entstehen des vorliegenden Bandes mit angestoßen hat (vgl. 5). Ausgehend von Bonhoeffers Dissertation Sanctorum communio werden hier (283–298) die friedensethischen Impulse unterstrichen, die Bonhoeffer als wesentlich auch für die »Sozialgestalt« der Kirche verstanden hat und die bei Iwand ein Echo fanden.
Am Schluss des Bandes hat Hans G. Ulrich eine »Bilanz« und einen »Ausblick« zur heutigen »Lage der Kirche und der Theologie« beigesteuert (301–335). Es ist ein Ausblick, der Gott in Jesus Christus als »Durchkreuzung dieser Welt und Wirklichkeit« versteht (313). »Brechung« wird darum die Kategorie für das, was die Kirche heute zu bezeugen hat (vgl. 319–333): Brechung säkularer Zukunftshoffnungen, Brechung des Humanismus, Brechung der »Apotheose des Lebens«, Brechung der »gottlosen Bindungen«, Brechung der »Wirklichkeitswahrnehmung«, der »Öffentlichkeit«, der »Religion« und der Herrschaft.
Damit wird im Tone der frühen »dialektischen Theologie« eher Iwands theologisches Wollen zur Geltung gebracht als das Bonhoeffers, wie es uns besonders in seinen Gefängnisbriefen, aber auch in den Ethikfragmenten begegnet. Die »adventliche Eschatologie« Iwands (vgl. 334 f.) wird so zur Pointe der Bemühung dieses Bandes, Bonhoeffers und Iwands Theologie ins Verhältnis zu setzen. Dieser Eschatologie geht es nicht wie Bonhoeffer um die In-anspruchnahme einer Entwicklung in der »mündigen Welt« für Christus. Sie macht das Zeugnis von einer »anderen Geschichte« stark, die in nichts in der Welt »einzuordnen« ist (335). Aber muss man nicht von Bonhoeffer her ebenso nachdrücklich geltend ma­chen, dass die Möglichkeiten der Welt im Lichte der »Christwirklichkeit« durchaus für ihr Neuwerden im »Vorletzten« in Anspruch genommen werden können und müssen? Die Beiträge dieses Bandes zu Bonhoeffers Theologie legen das eigentlich nahe.