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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

914–915

Kategorie:

Kirchengeschichte: Neuzeit

Autor/Hrsg.:

Hasecker, Jyri

Titel/Untertitel:

Quellen zur päpstlichen Pressekontrolle in der Neuzeit (1487–1966).

Verlag:

Paderborn: Ferdinand Schöningh 2017. 667 S. = Römische Inquisition und Indexkongregation, 19. Geb. EUR 89,00. ISBN 978-3-506-78566-4.

Rezensent:

Reinhard Schmidt-Rost

Das Reformationsjubiläum 2017 gab reichlich Anlass, die vor allem von Deutschland ausgehende Kirchenspaltung in den Zusammenhang der Entwicklung der Buchdruckerkunst durch Johannes Gutenberg zu stellen. Dass diese technische Entwicklung, in den Jahren von 1452 bis 1456 gereift, schon lange vor 1517 große Beachtung fand und erheblich wirkte, belegt ein bereits am Ende des 15. Jh.s unter Humanisten verbreitetes Diktum, dass H. einleitend zitiert: »Der Buchdruck ist ein Segen, solange er für das Gute und Richtige eingesetzt wird. Im Dienst des Bösen und der Lüge aber gerät der Segen schnell zu einem Fluch.« (27) Die kirchenweite Einführung des Imprimaturs bereits 1487 zeigt, wie sich die »tiefe Ehrfurcht der Kirche vor der Schrift« mit der »Sorge vor einem ›abusus‹ der Presse« verband (27).
H.s Arbeit dokumentiert und interpretiert ein halbes Jahrtausend der Auseinandersetzung der römischen Kirche mit den Folgen der ihre Autorität als Hüterin der Schrift zersetzenden Technik des Buchdrucks. Sie ist ein Teil des DFG-Langfristvorhabens »Römische Inquisition und Indexkongregation in der Neuzeit, 1542–1966«. Unter der Leitung des Kirchenhistorikers Hubert Wolf (Münster) galt das Gesamtprojekt der Erforschung der Bücherzensur der römischen Kurie in theologisch-historischer Perspektive. H.s Einzelstudie unter dem Arbeitstitel »Dokumente zur Römischen Buchzensur« ist ein unverzichtbarer Eckstein dieses Forschungsprojekts, denn sie erschließt die Quellen in beeindruckender Dichte. Es ist auch eine entsagungsvolle Forscherarbeit.
Der Band bietet drei Hauptteile: Zunächst eine gemessen am Zeitraum von 500 Jahren sehr knappe, aber höchst informative Einführung in die Dokumente zur päpstlichen Pressekontrolle (27–154), die zugleich ein spannendes, hintergründiges Stück römisch-katholischer Kirchengeschichte erzählt; sodann die Edition von 69 Dokumenten in drei Teilen: A. Pressegesetze für die Gesamtkirche (157–292), B. Pressegesetze für Rom und den Kirchenstaat (293–362), C. Normen für die Organisation der römischen »Zensurbehörden« (365– 424), und schließlich – im dritten Hauptteil – die Übersetzung der teils lateinisch, teils italienisch abgefassten Dokumente (427–587). Ein ausführliches Register, in dem auch die einflussreichsten Reformatoren aufgeführt sind, rundet die Edition ab und erleichtert deren Erschließung in vielen Perspektiven. Dass eine solch umfängliche Edition und Kommentierung, deren Verdienst außer Frage steht, nicht nur ein gesellschaftliches Randthema wissenschaftlich bearbeitet, unterstreicht H. einleitend so nachdrücklich wie zutreffend:
»Die seit dem Beginn dieses Jahrtausends im Gang befindliche Medienrevolution hat eine intensive Debatte über neue, den digitalen Medien angemessene Formen der Kontrolle entfacht.« (15)
Man verfolgt nach einer solch aktuellen Einleitung mit Spannung, wie sich seit der Bulle »Inter multiplices« von Innozenz VIII. (Einführung des Imprimatur, 1487) Zensurmaßnahmen für Italien und dann über die Gesamtkirche ausbreiteten, wie sich die Zentralgewalt der Kurie mit der Episkopalmacht der Ortsbischöfe auseinandersetzte, wie sich der »Index« und in welcher Form er sich bildete, wie die Mitarbeiter an der Aufgabe der Zensur sich gerne und mit guten Gründen beteiligten und wie sich das hochentwickelte kirchliche Kontroll-System unter dem Einfluss der Moderne nach dem 2. Vatikanischen Konzil schließlich auflöste.
Auf dieser Reise durch die Jahrhunderte ergeben sich zahlreiche beeindruckende und überraschende Einsichten, die auch dem nicht speziell Kundigen bemerkenswerte Einblicke in eine fremde und doch sehr nahe Welt vermitteln, um nur ein Beispiel zu zitieren, das auch dem aktuellen Wissenschaftsbetrieb eine kontrastreiche Perspektive bietet:
»Entgegen dem Bild vom Bücherzensor als unverständigem Bürokraten und Polizeimenschen, das ausgehend von den Verhältnissen in staatlichen Zensurbehörden des 19. und 20. Jahrhunderts von manchen Autoren auch auf die Kurie übertragen wurde, waren die römischen Konsultoren in der Frühen Neuzeit überwiegend angesehene Vertreter ihrer jeweiligen Berufe und akademischen Disziplinen.« (95)
Insgesamt ist der Band eine – auch verlegerisch beeindruckend gründlich gestaltete – Fundgrube an Detailwissen für Experten des Kirchenrechts, der Kirchen- und Sozialgeschichte und – nicht zuletzt – für Interessenten an christlicher Publizistik. Es wird beklemmend deutlich, welche fatalen Auswirkungen die Sorge um die Reinheit der Lehre zeitigen kann, wenn der Geist vom Buchstaben regiert wird, und welche geistige Freiheit dem Abendland aus der Überwindung der kirchlichen Zensur zugewachsen ist und jeglicher politischer Zensur zuwachsen könnte.