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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

908–910

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Voigt, Jörg, Schmidt, Bernward, u. Marco A. Sorace[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

Das Beginenwesen in Spätmittelalter und Früher Neuzeit.

Verlag:

Fribourg: Academic Press Fribourg; Stuttgart: Verlag W. Kohlhammer 2015. 366 S. m. 51 Abb. = Studien zur christlichen Religions- und Kulturgeschichte, 20. Geb. EUR 69,00. ISBN 978-3-7278-1781-6 (Academic Press Fribourg); 978-3-17-030946-3 (Verlag W. Kohlhammer).

Rezensent:

Marie-Luise Ehrenschwendtner

In jüngerer Zeit hat sich die Forschung dankenswerterweise wieder einem Thema zugewandt, das noch viel Neues zu entdecken verspricht, der Erforschung der Beginen. Der vorliegende Sammelband geht auf eine Tagung zurück, die im Mai 2012 an der Bischöflichen Akademie des Bistums Aachen stattfand und »Beginen. Eine religiöse Lebensform von Frauen in Geschichte und Gegenwart« zum Thema hatte. Die Einleitung wendet sich ausdrücklich gegen die »nur mühsam überwindbaren« Verdikte vergangener Historiker (9), erwähnt aber auch, dass sich heutzutage mit dem Stichwort Beginen eine Vielzahl von Vorstellungen verbindet, die dem historischen Befund nicht gerecht werden. Es ist den Herausgebern hoch anzurechnen, dass sie diese aktualisierenden spirituellen Zu­gänge der Neuen Beginen in diesem Band nicht übergehen, obwohl die Beiträge ihren Schwerpunkt auf das Mittelalter und die Frühe Neuzeit legen.
Die Aufsatzsammlung ist in vier Abteilungen gegliedert, deren erste mit allgemeinen Überblicken über die Geschichte des Begriffs »Begine«, die rechtliche Stellung der Frauen und die jüngere Forschung zum Thema beginnt. J. Udolph und J. Voigt widmen sich – einmal mehr – der Herkunft und Bedeutung des Wortes »Begine«, gefolgt von einer weiteren Arbeit von J. Voigt über den status Beginarum. Für beide Aufsätze gilt, womit der Autor die Zusammenfassung seines zweiten Beitrages einleitet: »Die hier vorgestellten Quellen können lediglich eine Annäherung an das Beginenwesen im 13. Jahrhundert sein« (63), wie auch die Forschungen von Letha Böhringer und anderen in den letzten Jahren gezeigt haben. Er­wähnenswert ist, dass Voigt dem von Kaspar Elm geprägten Be­griff des Semireligiosentums als Charakterisierung der Lebensweise der Beginen kritisch gegenübersteht (63–67); erscheinen seine Zweifel auch als gerechtfertigt, so finde ich doch, dass die von ihm vorgeschlagenen Alternativen »laien-religiöse, welt-religiöse bzw. welt-geistliche Lebensform von Frauen« (66) Elms Begriffsbildung – auf den sich auch E. Clementz in ihrem Beitrag zu den »Beginen im Elsaß« (91) bezieht – nicht ersetzen können, da er den lateinischen Ausdruck via media spiegelt und der Vielfalt dieser Lebensentwürfe gerecht zu werden versucht.
Einen Einblick in die Diversität der Frühen Neuzeit bietet N. Priesching; ihr lesenswerter Beitrag be­zieht sich auf das derzeit noch kaum erschlossene Feld des »Beginenwesen[s] in der Frühen Neuzeit«, insbesondere auf dem Hintergrund der konfessionellen Verwerfungen und der neuen Entwicklungen nach dem Konzil von Trient und damit verbunden, zum Beispiel, den Fragen nach der rechtlichen Stellung der Frauen und den Veränderungen in ihren Lebensumständen.
Die zweite Abteilung untersucht »Regional- und lokalhistorische Perspektiven« und stellt mehrere Fallstudien vor, die sich im Wesentlichen auf das spätere Mittelalter beschränken. E. Clementz widmet ihren Beitrag der Situation im Elsaß; H. Hien blickt auf Franken und Bayern und die Förderung, die Beginen in den fränkischen und bayrischen Bischofsstädten Würzburg, Bamberg, Eichstätt, Regensburg und Freising genossen, wobei sie klarstellt, dass Bischöfe, Vertreter der traditionellen Orden und des Weltklerus hauptsächlich zu den Unterstützern ihrer Gemeinschaften zählten und weniger (wie in der Forschung oft vermutet) Angehörige der Mendikanten. Die anderen Beiträge in dieser Abteilung beziehen sich auf Städte – Koblenz (S. Wegner), Osnabrück (K. Igel) und Braunschweig (E. Sandfort). Sandforts Untersuchung ist hier be­sonders erleuchtend, da sie – auf der Grundlage vorhandenen Quellenmaterials und der besonderen Lage in Braunschweig – die Situation nach der Reformation einbeziehen kann; hier entstanden in der Frühen Neuzeit zahlreiche Gemeinschaften, die sich »zunehmend zu Einrichtungen für Fürsorgeempfängerinnen gewandelt hatten bzw. die jüngeren, finanziert und unterstützt von einzelnen vermögenden Bürgern, bereits als solche gegründet wurden« (193–194).
Der dritte Teil widmet sich der Spiritualität und Kultur des Beginenwesens. Gleich zwei Beiträge sind den Handschriften der Hamburger Beginengemeinschaft gewidmet, deren einzigartige Überlieferungslage einen solchen Schwerpunkt rechtfertigt. H.-W. Storck gibt einen detaillierten Überblick über die hauptsächlich in den Jahren 1450–1510/20 kopierten, meist volkssprachlichen (mittelniederdeutschen) Texte. Das Thema wird weitergeführt von Chr. Schmidt, der sich in seiner Untersuchung der »Gebetszyklen der Hamburger Beginen im Kontext der Gebetbuchkultur der Lüneburger Frauenklöster« mit der Vernetzung reformierter norddeutscher Frauenklöster jenseits des Umfeldes der Stadt Lüneburg und der Lüneburger Klöster befasst.
Ob es sich bei dem intendierten Publikum dieser Zyklen tatsächlich nur um Laienschwestern gehandelt hat, die – anders als die lateinkundigen Chorschwestern – volkssprachliche Texte rezipierten, bedarf weiterer Diskussion. Es bestand allgemein in den Orden keine große Neigung, Laienschwestern im Lesen zu unterweisen (ihren Gebetsverpflichtungen konnten sie mit auswendig gelernten Gebeten wie dem Vaterunser nachkommen; dem widerspricht nicht, dass lese- und schreibkundige Laienschwestern nachzuweisen sind), und es ist nicht völlig auszuschließen, dass Chorschwes-tern für ihre Privatgebete auf volkssprachliche Texte zurückgriffen, auch wenn ihre Identität maßgeblich von ihrer Vertrautheit mit dem Lateinischen geprägt war. Schmidt nimmt zwar einerseits an, dass zwischen Laienschwestern und Hamburger Beginen analoge »Bildungs- und Rezeptionsvoraussetzungen« bestanden (241), stellt aber auch fest, dass das Selbstverständnis der Letzteren Ähnlichkeiten mit dem von Nonnen aufwies (253), und schlägt vor, sich von der »Unterscheidung religiöser und semireligiöser Lebensformen zu lösen. Der Textbedarf, den die Gebetbücher der Beginen aus dem spätmittelalterlichen Hamburg zum Ausdruck bringen, entspricht dem Bedarf einer vita contemplativa.« (254)
Weitere Beiträge in dieser Abteilung befassen sich mit »Meister Eckharts ›Frauenpredigten‹« als Dokumenten seiner Bemühungen um spirituelle Frauen (D. Mieth), einem asketischen Privathaushalt am Oberrhein, der das asketische Leben einer Witwe untersucht und damit einen weiteren Mosaikstein zur Vielfalt weiblichen religiösen Lebens im Spätmittelalter beisteuert (A. B. Mulder-Bakker), und der Architektur von Beginenhöfen im Spätmittelalter, einem Thema, das kürzlich auch von Letha Böhringer untersucht wurde (M. A. Sorace).
Der vierte und letzte Teil des Bandes trägt die Überschrift »Re­zeptionsprozesse«. B. Schmidt geht in seinem Beitrag zur Wandlung des Beginenverständnisses in der Kirchen- und Konziliengeschichtsschreibung der allmählichen Abkehr vom Vorwurf der Häresie nach. B. J. Nemes untersucht den religiösen Status Mechthilds (von Magdeburg): War sie eine Begine oder handelt es sich bei dieser Annahme um eine naive Lesung der Angaben im Fließenden Licht der Gottheit? Abschließend widmet sich R. Oehmen-Vieregge den »Beginen im 20. und 21. Jahrhundert« und ihrer Anknüpfung an die Frauenspiritualität vergangener Zeiten, da die »Neuen Beginen […] in der mittelalterlichen Beginenbewegung vor allem ein frühes emanzipatorisches Potenzial [erkennen], das sie auf wirtschaftliche Selbstständigkeit und Unabhängigkeit von männlicher Vormundschaft zurückführen« (364)
Dass dieses idealisierte Bild von einer einheitlichen, gar emanzipatorischen Beginenbewegung nicht den historischen Befunden in diesem interessanten Band entspricht, mag dahingestellt bleiben. Die Einzelbeiträge belegen oft im Detail die schillernde Vielfalt des Phänomens »Beginen« und vermitteln obendrein einen guten Eindruck von neueren Entwicklungen der Forschung. Dass sich die meisten Beiträge des Bandes auf das Spätmittelalter beziehen und die Frühe Neuzeit ein bisschen zu kurz kommt, mindert nicht seine Bedeutung.