Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2018

Spalte:

905–907

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Petrášek, Jirí

Titel/Untertitel:

»Meide die Häretiker.« Die antihussitische Reaktion des Heidelberger Professors Nikolaus von Jauer (1355–1435) auf das taboritische Manifest aus dem Jahr 1430.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2018. 335 S. = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 82. Kart. EUR 49,00. ISBN 978-3-402-10293-0.

Rezensent:

Karl-Hermann Kandler

Die bei Rolf Schönberger angefertigte Dissertation befasst sich mit einem Kapitel spätmittelalterlicher Theologie, das bisher recht vernachlässigt wurde. Während die Schriften der Hussiten vielfach bearbeitet wurden, trifft das auf die antihussitischen Schriften nicht zu. Jirí Petrášek widmet sich der bis jetzt ungedruckt gebliebenen Schrift Responde stulto (Scriptum contra epistolam perfidiae Hussitarum) des Nikolaus von Jauer und vergleicht sie mit der anonymen Schrift Curandum summopere von Wiener Theologen und der von Erfurter Franziskanern verfassten Videte, ne quis vos seducat, die P. unter dem Titel Die Erfurter Reaktion auf das Taboritenmanifest aus dem Jahr 1430 in den Studia Mediaevalia Bohemica 2012 veröffentlicht hat.
Der Hauptteil der Arbeit befasst sich eingehend mit der »Analyse« (37–227), die die Reaktionen auf neun Themenbereiche des taboritischen Manifestes von 1430 jeweils nach dem gleichen Schema un­tersucht – zuerst werden die Inhalte von Jauers Schrift, dann die der Wiener Theologen und (falls sie darauf eingehen) die der Erfurter wiedergegeben. Darauf werden diese analysiert, dem schließt sich stets ein »Zwischenresümee« an. Ein weiterer Teil gibt eine »Zu­sammenfassung« (229–269). Ihr folgt ein »Fazit« (271–292). Quellen- und Literaturverzeichnis sind beigegeben, ebenso ein vierfaches Register (Personen, Sachen, Orte, Bibelstellen).
Es empfiehlt sich, die Lektüre nach der Einleitung und dem Kapitel über die historischen Hintergründe mit dem Fazit der Arbeit fortzusetzen, da hier in aller Kürze sowohl über die Autoren berichtet als auch die hussitische Theologie dargestellt wird. Diese sei »durch das Bestreben gekennzeichnet, das Gesetz Christi durchzusetzen und die Praxis der apostolischen Kirche zu restituieren«. Sie wird im Einklang mit den Lehren von Hus und Wyclif und mit »Christus selbst und seine[r] Handlung als Norm für alle Christen gesehen: Jede Tat, jede menschliche Handlung sowie jede Lehre muss diesem Gesetz entsprechen«, wobei durchaus gewisse Differenzen zu Hus zu erkennen sind (276). Die umfangreiche Analyse des Hauptteils der Arbeit befasst sich mit den Themenbereichen Zehnte, Ablässe, Der freie Disput vor einem Laiengericht, Exkommunikation, Kirchliche Orden, Bestrafung aller öffentlichen Todsünden, Vom Besitz und der weltlichen Macht der Geistlichkeit, Freie Predigt des Gotteswortes und Kommunion unter beiderlei Gestalt.
Doch zunächst zu den Autoren der untersuchten Schriften: Nikolaus Magni von Jauer stammte aus Niederschlesien, studierte in Prag und lehrte hier an der artistischen Fakultät, wurde Professor der Theologie und auch Rektor, ab 1402 war er an der Heidelberger Universität tätig, mehrmals als Rektor. Die Schrift der Wiener Theologen kann keinen bestimmten Magistri zugeordnet werden, die Erfurter Reaktion auf das Manifest wurde von Johannes Bremer und Matthias Döring verfasst (35).
Zu den einzelnen Themenbereichen wird festgestellt, dass nach Jauer Christus den Zehnten nicht verbot, vielmehr müsse die Geistlichkeit als Diener Gottes versorgt werden. Bei den Ablässen handele es sich um ein Zusammenwirken von Gott und Mensch, sie seien »eine gemeinsame Tätigkeit Gottes und der Geistlichen« (61); sie gäben Hoffnung auf Erlösung der Sünder und bewirkten fromme Taten. Der Kirchenschatz, über den der Papst verfügen könne, entstand aus dem Leiden Christi, wobei Jauer die Leiden der Märtyrer aus dem Schatz der Kirche ausschließt (67). Den freien Dis-put vor einem Laiengericht lehnen Jauer und die Wiener ab, da die Hussiten ihren Irrlehren nicht entsagen und sich nicht belehren lassen wollten, während die Erfurter eine Disputation wie in der Urkirche bejahen – aber nicht vor einem Laiengericht (89). Gegen die Be­schuldigung der Taboriten, der Papst maße sich hinsichtlich der Exkommunikation eine gottgleiche Stellung an, behauptet Jauer, Gott habe dem Papst sowohl die Schlüssel für die Buße als auch für die Jurisdiktion anvertraut, ein mit der Exkommunika-tion »be­strafter Sünder würde aber nicht dem Satan ausgeliefert, um für ewig verdammt zu werden. Vielmehr würde dem Betroffenen da­durch seine Schuld bewusst und er könne anschließend wieder in den Schoß der Kirche zurückkehren« (93). Während für die Hussiten die Ordenskleriker nur Heuchler sind, sehen alle drei Autoren der Gegenschriften das Vorbild für die Orden im Verhalten Jesu und seiner Apostel (127), wobei – worauf P. nicht eingeht – es in der Praxis entgegen der Behauptung dieser Autoren oftmals nicht um einen Lebensweg geht, den die Ordensleute aus freiem Willen ge­wählt haben, sondern der ihnen von ihren Familien aufgezwungen wurde.
Auch bei der Bestrafung öffentlicher Todsünden gibt Jauer »die Hoffnung auf die Erlösung der Sünder nicht auf« (140). Zur Frage nach dem Besitz des Klerus heißt es: »Weder die Bischöfe noch die Kleriker oder der Papst müssten sich mit ihren Gelübden zur Ar­mut verpflichten«, auch hätten Christus und seine Gefährten einen Geldbeutel besessen (150 f.155).
Zum Thema der weltlichen Macht der Kirche hat Jauer sich nicht geäußert, anders zu dem der freien Predigt. Er lehnt sie ab, da die Hussiten nicht über ordentlich geweihte Priester verfügten; die Erlaubnis zur Predigt könne nur die Kirche erteilen. Hier setzt sich die »›alttestamentliche‹ Auffassung vom Priestertum durch, wie sie seit Gregor dem Großen vertreten wurde« (185 f.). Zur Kommunion wird festgestellt, dass die Hussiten die Kommunion der Kinder zu deren Erlösung für notwendig hielten, während ihre Gegner meinten, sie erhielten die dafür nötige Gnade in der Taufe, die Kommunion sei nicht nötig, da die Kinder noch über kein vernünftiges Denken verfügten (188 ff.220). Auch sei die Kommunion unter beiderlei Gestalt für Laien unnötig, diese müssten daran glauben, »dass sich im Brot der ganze Christus befinde« (192). Die Wiener behaupten sogar, Christus »habe den Empfang unter einerlei Gestalt angeordnet« (198).
Das Kapitel »Zusammenfassung« bewertet die Arbeit von Jauer; wobei es vor allem um das »Moment der Häresie« geht. Erstaunlicherweise hebt P. nicht hervor, dass Jauer weithin biblisch argumentiert. Natürlich werden auch als Autoritäten die Kirchenväter und Thomas von Aquin herangezogen. Es gelingt P. nachzuweisen, dass Jauer den bisher weder edierten noch bearbeiteten Genesiskommentar des Heinrich von Langenstein als »grundlegende Quelle« für seine Wertung der hussitischen Häresie heranzieht. Heinrich erweiterte »die Befugnisse des Papstes als Vertreter Christi auf Erden«: Christus habe dem Papst nicht nur im inneren und äußeren Wirkungsbereich Befugnisse zur Verfügung gestellt, sondern auch über das Fegefeuer. Er ordnet es in die Sündenlehre ein, deren Ziel »die Erlösung der Seelen« sei (247.269).
Insgesamt handelt es sich bei vorliegender Arbeit um einen in­teressanten Versuch, die antihussitische Reaktion anhand von Texten mehrerer Autoren darzustellen. Insofern ist der Titel zu eng ge­fasst. P. hätte sich kürzer fassen können, hätte er das, was er unter »Fazit« schreibt, an den Anfang gesetzt. Dann wären zahlreiche Wiederholungen unnötig gewesen. Hervorzuheben ist, dass P. die Schriften von Jauer und den Wienern in den Anmerkungen (vollständig?) ediert.
Am Rande eine Bemerkung: Neben dem Kurfürsten Friedrich I. von Brandenburg war ein Hauptorganisator des Kreuzzuges gegen die Hussiten der Meißner Markgraf Friedrich IV., der Streitbare, der für seine Unterstützung im Kampf gegen die Hussiten von Kaiser Sigismund 1423 das Herzogtum Sachsen und damit die Kurwürde als Kurfürst Friedrich I. erhielt (zu 14).