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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

901–903

Kategorie:

Kirchengeschichte: Mittelalter

Autor/Hrsg.:

Clement, Michael

Titel/Untertitel:

»In te consistito!«. Selbststand, Verantwortung und christlicher Glaube bei Bernhard von Clairvaux.

Verlag:

Münster: Aschendorff Verlag 2017. 404 S. = Beiträge zur Geschichte der Philosophie und Theologie des Mittelalters. Neue Folge, 81. Kart. EUR 55,00. ISBN 978-3-402-10295-4.

Rezensent:

Maria Lissek

Michael Clement ist römisch-katholischer Moraltheologe. Die vorliegende Monographie ist die leicht veränderte Fassung seiner Dissertationsschrift, die durch die Katholisch-Theologische Fakultät der Julius-Maximilians-Universität Würzburg im Wintersemester 2016/17 bei Stephan Ernst angenommen wurde.
Gegenstand der Untersuchung ist der Traktat »De consideratione« (Csi) von Bernhard von Clairvaux. Es handelt sich dabei um dessen letztes vollständiges Werk, das im Auftrag von Papst Eugen III. 1147/48 nach dessen Papstwahl am 15. Februar 1145 verfasst wurde. Während in der Forschung die Bedeutung der Schrift als eine Gelegenheitsschrift zur Anleitung für Päpste Beachtung gefunden hat, baut die Monographie auf der Beobachtung auf, dass sich die Schrift nicht nur an Papst Eugen III. wendet, sondern an einen weiteren Adressatenkreis. Csi ist ein Papstspiegel, der eine Hilfestellung für die Ausübung des Pontifikats bieten will. Indem Bernhard von Clairvaux aber darin, so die Ausgangsbeobachtung C.s, seinen Ansatz einer monastischen Theologie auf die Lebensumstände außerhalb der Klostermauern ausweitet, wendet sich der Traktat auch an jene, die ein ausgewogenes Maß zwischen äußeren Verpflichtungen und inneren, persönlichen sowie geistlichen Bedürfnissen suchen. Diese Ausgewogenheit ist nach Csi 2, 10, 19 durch die Suche nach dem Stand in sich ( in te consistito) zu finden, der sich aus dem Zusammenhang von Selbst- und Gotteserkenntnis ergibt. Es geht dabei konkret um die Frage nach dem Verhältnis von actio und contemplatio, also inwiefern man der Verantwortung in der Welt nachkommen kann, ohne sich dabei selbst zu verlieren. Dies nimmt C. zum Anlass, anhand von Csi und deren Einordnung in das Gesamtwerk Bernhard von Clairvaux’ dessen Anthropologie abzuleiten. Er will davon ausgehend, nach Selbstaussage (31), eine Perspektive auf Csi einnehmen und eine systematische Darstellung der Anthropologie Bernhard von Clairvauxs herausarbeiten. Dabei fragt er nach dem Zusammenspiel zwischen Gottes Wirken und menschlicher Tat, welches ein verantwortliches Handeln des Menschen begründet, und leitet davon die zu beweisende Hypothese ab, dass der Stand in sich nur durch den Glauben an Gott gefunden werden kann. Versucht der Mensch aus eigener Anstrengung den Stand in sich ohne einen Gottesbezug zu erlangen, bleibt dieser vorläufig und kommt nicht zu seiner vollen Geltung.
Um diese Annahme zu entfalten, bietet C. im Anschluss an das Einleitungskapitel, das in klassischer Weise Ausgangspunkt, Fragestellung, Forschungsstand und Methodik thematisiert, ein Überblickskapitel (Teil I), »In sich Stand nehmen als Bernhards Ziel für Eugen III. in De consideratione«. Dieses führt in den theologiegeschichtlichen Kontext sowie das Werk und seinen Verfasser ein. Die sich daran anschließenden beiden Abschnitte bilden die Hauptteile der Arbeit. In ihnen werden anhand von Csi und dem Gesamtwerk Bernhard von Clairvaux’ »der Mensch in vier Dimensionen vor sich selbst« (Teil II) und »die Bedeutung des Glaubens für den Stand in sich selbst« (Teil III) beschrieben.
Diese deutliche und für die Forschung ungewöhnliche Trennung des anthropologischen Teils vom ethisch-theologischen wird durch C. bewusst vorgenommen und bereits in der Einleitung begründet. Ihm ist daran gelegen, dem Gedankengang Bernhard von Clairvaux’ eng zu folgen und damit seine Hypothese zu belegen, dass der Mensch danach zum vollen Stand in sich selbst nur durch den Glauben gelangen kann. Entlang der Argumentation des Bernhard von Clairvaux wird nachgezeichnet, dass sich der Mensch in den vier Dimensionen des Menschseins (Höhe, Tiefe, Verantwortung, Endlichkeit) vorfindet und sich für ein verantwortliches Handeln zu ihnen in Beziehung setzen muss. Dabei bieten die Kardinaltugenden eine Hilfestellung, den Menschen zum Stand in sich zu führen. Der so gefundene Stand in sich ist allerdings nicht von Dauer. Er kommt erst durch den Glauben an Gott zu einem vorläufigen Ende. Dabei betont C. anhand seiner Quelleninterpretation, dass Gott nicht eine weitere fünfte Dimension ist, er vielmehr dem Menschen zugewandt ist (dies wird von Bernhard von Clairvaux beispielsweise schöpfungstheologisch begründet). Für den völligen Stand in sich muss der Mensch sich Gott öffnen, damit dieser zu seiner vollen Geltung gelangt. Die abschließende Schlussreflexion bündelt die Ausführungen der drei Hauptteile und legt anhand einer systematisch-theologischen Verortung (Joest, Ebeling, Hiss und andere) dar, dass die Anthropologie des Bernhard von Clairvaux als eine relational-ontologische verstanden werden kann.
C. bietet mit seiner Monographie eine ausführliche Analyse von Csi unter der oben beschriebenen Perspektive und grenzt sich dabei nachvollziehbar von der bisherigen Forschung ab. Auch wenn ein Hauptteil dem historischen Kontext gewidmet ist, ergeben sich die von ihm abgeleiteten theologischen Schlussfolgerungen hauptsächlich aus der literarischen Untersuchung. Der erste Hauptteil fällt dazu verhältnismäßig lang aus und hätte aufgrund seines überblickhaften Informationsgehaltes auch komprimiert oder an den wichtigen Stellen der Quellenanalyse ergänzt werden kön-nen. Insgesamt bietet C. im Anschluss an die Unterkapitel je Zwis chenzusammenfassungen sowie eine Zwischenreflexion zwischen Teil II und III. Diese Abschnitte fassen weitestgehend die zuvor gemachten Aussagen zusammen. Will man also die Monographie kurz überblicken, lohnt es sich, die einschlägigen Zusammenfassungen zu lesen.
Hervorzuheben ist die Herangehensweise C.s, Bernhard von Clairvaux in der Entfaltung seines Gedankengangs ernst zu nehmen. Dadurch wird auch das theologische und weniger historische Anliegen der Arbeit verständlich: nämlich die Frage, wie mit Hilfe der monastischen Theologie des Bernhard von Clairvaux außerhalb der Klostermauern Selbst- und Gotteserkenntnis gedacht und erlangt werden können. Csi dient C. hierbei als Ausgangspunkt, die Frühwerke des Bernhard von Clairvaux in den Blick zu nehmen. Auch wenn er zu Beginn auf die Kontinuität in dessen Denken verweist (21), stellt sich gerade mit Blick auf die in der Arbeit vorgestellte Perspektive die Frage, inwiefern man von Kontinuität sprechen kann, wenn Bernhard von Clairvaux bestimmte Prämissen auf veränderte Situationen anwendet.
Formal zeugt die Arbeit von einer umfassenden Quellenkenntnis über Csi hinaus. Alle Quellen werden im Original angegeben, aber nicht in deutscher Übersetzung. Dagegen ermöglicht der Verzicht auf ausführliche Fußnotendiskussionen einen kontinuierlichen Lesefluss des Haupttextes. Stellenweise sind die Ausführungen in der Monographie paraphrasierend und langatmig.
Nichtsdestotrotz wird durchgängig der Duktus deutlich, dass die Fragen der Menschen des 12. Jh.s und die Antwort Bernhard von Clairvaux’ auch Potential für gegenwärtige Anliegen haben können. Auf diese Weise bietet die Monographie ein Beispiel dafür, wie die Beschäftigung mit historisch-theologischen Quellen auch für die Gegenwart ein Impuls sein kann. Allein schon aus diesem Grund sei sie zur Lektüre empfohlen.