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Ausgabe:

Januar/2000

Spalte:

66–68

Kategorie:

Neues Testament

Autor/Hrsg.:

Davies, W. D., and D. C. Allison

Titel/Untertitel:

The Gospel according to Saint Matthew. A critical and exegetical Commentary. II: Commentary on Matthew VIII-XVIII. Latest impression.

Verlag:

Edinburgh: Clark 1998. XVII, 807 S. 8. ISBN 0-567-09545-2.

Rezensent:

Hans-Theo Wrege

Für die formalen Charakteristika dieses Bandes kann auf meine Rezension des Bandes III in ThLZ 124, 1999, 45 f. hingewiesen werden. Wie dort, so ist auch hier die Exegese konsequent an den einzelnen Perikopen des Mt orientiert. Jede von ihnen hat demnach ihr eigenes Literaturverzeichnis.

Auch in der Quellenfrage unterscheiden sich die beiden Bände nicht wesentlich: Die Vff. prüfen für jede Perikope gesondert die klassische Zwei-Quellen-Theorie (Mk und Q) und die Griesbach-Hypothese (Priorität von Mt, Mk = ein Auszug aus Mt, Lk=Bearbeitung von Mt).

Dort, wo die Mt- und Lk-Fassungen allzu weit auseinandergehen - wie z. B. in den beiden Fassungen des Gleichnisses vom verlorenen Schaf Mt 18,10 ff./Lk 15,3 ff - wird mit einschneidenden redaktionellen Eingriffen an der gemeinsamen Grundlage Q gerechnet (753). Wer so hoch von dem Mt-Redaktor nicht denken mag, erfährt wie J. Jeremias (Neutestamentliche Theologie I, 1971, 291) eine Abfuhr (593). Nur gelegentlich ziehen die Vff. die Möglichkeit einer vorredaktionellen Binnendifferenzierung zwischen Q/Mt und Q/Lk in Betracht (z. B. 164.577.582). Entsprechendes gilt auch für die Unterscheidung von M (= mt Sondergut) und mündlicher Überlieferung (s. z. B. 409).

Der Stil der mt Redaktion wird vokabelstatistisch erhoben und im Hinblick auf die Strukturen der Satzsyntax abgesichert. Hinsichtlich der Stellung des Mt zu Israel wird man angesichts des weiten Spektrums der entsprechenden Aussagen im Mt kaum mit einer spannunglosen Systematik der Antworten rechnen können. Die Vff. zeigen sich davon überzeugt, dass Mt - und insbesondere der Mt-Redaktor - die Intention des historischen Jesus treffen, indem sie keinesfalls den Partikularismus des AT mindern oder herabsetzen (z. B. 556 f.). Es besteht also eine theologische Kontinuität zwischen dem AT, Mt und den Verfassern. Die ,Kosten’ solcher auf Kontinuitäten angelegten Perspektiven sind freilich hoch. Denn in jeder Exegese müssen nun diese Kontinuitäten die Divergenzen überspielen. So bleibt es zwar im vollem Umfange beim theologisch begründeten Vorrang Israels (543 f. 556 f.). Gleichwohl schließt der universale Missionsbefehl (Mt 28,16-20) Israel mit ein (557). Israel wird unterschiedslos in den universalen Kreis der Völker einbezogen, denen die Botschaft Jesu missionarisch auszurichten ist.

Jesus ist im vollem Umfange thoragetreu, kann also auch nicht für eine Kritik der kultisch-rituellen Gesetzesteile herangezogen werden. Gleichwohl gilt, dass er letzteren eine ethische Tendenz geben will (z. B. 530 - vgl. auch 308 zu Mt 12,3 f: David und die Schaubrote). Es zeigt sich aber, "that Jesus was not an adept in rabbinic debate". Entsprechend wird auch B. Gerhardsson zitiert "... that he shows very little interest in halachic minutiae but a very strong interest in the central ethos of the mother-tradition which may be summarized in formulas such as ’the great and first commandment (Mt 22.38) ...’" (ebd. 308). Wie sich dies zu entsprechenden Tendenzen im zeitgenössischen Judentum verhält (530 mit Verweis auf Jochanan b. Sakkai), müsste ausführlich diskutiert werden.

Auf S. 320 werden die Vff. dann zu einer Lösung gedrängt, die deutlich Züge der europäischen Aufklärung trägt: "The question is adressed to men as men; and ordinary humanity is expected to supply the answer." Jesu Konflikte ergeben sich nicht aus Konfrontationen mit dem Volk Israel, sondern mit dessen religiösen Eliten, insbesondere den Pharisäern. Hier erwachsen die Konflikte daraus, dass Jesus zwar das geschriebene Gesetz der Pharisäer (also das AT) anerkennt, sich aber oft am mündlichen Gesetz stößt (z. B. 532.537 und 321.318.312. 310.308 in unterschiedlichen Akzentuierungen). Trotz der Ablehnung des Messias beiben die Juden "in some mysterious way" von Gott bevorzugt (558). Hierin - wie auch sonst - stehen sich Mt und Paulus nahe. Gleichwohl können die Vff. davon reden, dass für Mt die Heiligkeit des (jüdischen) Tempels wie auch sonst im NT durch die Heiligkeit einer Person (Jesu - oder der Christen?) ersetzt ("substituting" 642) wird.

Von besonderer Bedeutung für das Verständnis des Kommentars ist die hier vertretene Auffassung der Eschatologie, denn diese wird als völlig geschichtsoffen verstanden. Damit entfällt ein Gebrauch der Eschatologie, der nur die allerersten Anfänge christlicher Verkündigung als authentisch anerkennen will, die nachwachsenden Teile aber der Parusieverzögerung zuweist und damit dem Frühkatholizismus (804 f.) überlässt. Den Vff. sind solche Engführungen fremd. Daraus ergibt sich ein Spektrum von Möglichkeiten, die der deutschsprachigen Exegese einstweilen noch verschlossen sind. Denn es fällt auf, dass der Kommentar Positionen der Patristik mit einer hierzulande ungewohnten Offenheit behandeln kann. Indem er die Verwurzelung Jesu im AT minutiös zur Geltung bringt, schafft er sich weiter die Voraussetzungen für ein Konzept von Heilsgeschichte, deren Verhältnis zur Weltgeschichte aber noch kritisch zu klären wäre, sollte der Verdacht eines gewissen Fundamentalismus in der deutschen Exegese nicht doch aufkommen. Die Geschichtsoffenheit des Kommentars kommt ihm aber auch darin zugute, dass er eine beachtliche Nähe zur Homiletik und zur Seelsorge erreicht, ohne sich damit den historischen Fragestellungen als solche zu verschließen. Die Vff. feiern den Evangelisten Mt mit Ed. Burke als klugen Staatsmann, der seine konservativen Neigungen mit der Fähigkeit zur Reform ausbalanciert (537).

Korrektur: S. 772, Zeile 27 v. o. Schleiermacher, "Die christliche Glaube".