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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

885–888

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Tilly, Michael, Morgenstern, Matthias, u. Volker Henning Drecoll[Hrsg.]

Titel/Untertitel:

L’adversaire de Dieu – Der Widersacher Gottes. 6. Symposium Strasbourg, Tübingen, Uppsala. 27.–29. Juni 2013 in Tübingen. Hrsg. unter Mitarbeit v. H. Stoppel.

Verlag:

Tübingen: Mohr Siebeck 2016. XIV, 359 S. = Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament, 364. Lw. EUR 139,00. ISBN 978-3-16-154236-7.

Rezensent:

Susanne Rudnig-Zelt

Der dreisprachige Band (deutsch, englisch, französisch) präsentiert die Ergebnisse eines Symposiums im Juni 2013. Thema war die Tendenz biblischer Traditionen und ihrer Rezeption im rabbinischen Judentum und in der Alten Kirche, die Gegengestalt zu Gott zu personalisieren und sich tendenziell auf eine Gegengestalt zu konzentrieren. Der Band zeigt die große Vielfalt solcher Gegenfiguren und die komplexen Rezeptionsprozesse im Hintergrund. Dabei be­schränkt sich der Band nicht auf die jüdisch-christliche Welt der Antike (Gabriella Beer zum republikanischen Rom, Volker Drecoll zum Manichäismus und Mikael Larsson über Lars von Trier).
Martin Leuenberger zeigt, dass die Entwicklung der Satansfigur im Alten Testament von altorientalischen Chaoskampfvorstellungen unterschieden werden muss. Zwar seien Chaoskampfvorstellungen im Alten Testament präsent (z. B. Ps 74,12–15), aber mit der Herausbildung des Monotheismus hätten sich die Schwerpunkte theologischen Denkens von der Frage nach dem Chaos in der Natur zur Frage nach dem Chaos im menschlichen Leben verschoben. In diesem Zusammenhang sei die Satansfigur in der Perserzeit neu eingeführt worden. Für Göran Eidevall kommt es bei den Feinden in Jes und den Psalmen gerade nicht darauf an, diese Feinde mit bestimmten historischen oder mythologischen Größen gleichzusetzen. Vielmehr sollten sich Jahwe und die Frommen gegen gemeinsame Feinde verbünden. Jan Joosten diskutiert die Übersetzungsprobleme von Ps 8. Besonders betrachtet er die Feinde Gottes in V. 3. Die Deutung auf menschliche Feinde sei im Gesamtzusammenhang des Psalms wenig plausibel. Hier gehe es um Götter. Weil der Mensch nach dem Bild Gottes geschaffen sei (Gen 1,26–28) und über die Welt herrsche, trete er an die Stelle der Götter, die nun sang- und klanglos verschwänden (vgl. Dtn 32; Ps 82). Hermann Lichtenberger führt an zahlreichen Textbeispielen vor, wie vor allem Antiochus IV. zum Gottesfeind stilisiert wurde. Er stellt die unterschiedlichen Vorbilder aus biblischen und paganen Traditionen dar und zeigt, wie Jüdisches und Paganes sich immer wieder berühren, etwa wenn der Gottesfeind bei lebendigem Leib von Würmern gefressen wird (z. B. Jes 14,11; II Makk 9,8–10; Act 21,21–23; Ant. Iud. 19, 343–352; Herodot, Historien IV, 205). Christian Grappe zieht eine Fülle biblischer und zwischentestamentlicher Texte heran (z. B. Ps 91; 1QS), um zu zeigen, dass in der Taufe und Versuchung Jesu (vor allem Mk 1,10–13) Schöpfungsmotive anklingen. Tord Fornberg geht den Hintergründen der Teufelsbezeichnung Beelzebul nach (Mt 12,24; Mk 3,22; Lk 11,15). Seiner Meinung nach handelt es sich um eine polemische Übersetzung von Zeus Olympios, wobei das hebräische לבז (»Wohnung Gottes«) Olympios vertrete. Ziel dieser Neuprägung sei, gegen die von seleukidischer Religionspolitik geforderte Verehrung des Zeus Olympios im Jerusalemer Tempel zu polemisieren.
Gudrun Holtz zeichnet in Auseinandersetzung mit Hans Conzelmann ein differenziertes Bild von den Wirkungsmöglichkeiten des Satans bei Lukas. Sie unterscheidet zwei Phasen. Die eine Phase umfasst das Auftreten Jesu und seine nachösterliche Verkündigung. Während dieser Phase werde die Macht des Satans Stück für Stück zurückgedrängt. Dennoch könne der Satan selbständig agieren. Die andere Phase, nämlich Jesu Leiden, ist für den Satan paradox. Auf der einen Seite ist seine Macht entfesselt, auf der anderen Seite wird er gerade so zum Werkzeug Gottes und verliert seine Selbständigkeit. James A. Kelhofer beschäftigt sich dagegen mit den menschlichen Widersachern Gottes in Act. Das sind alle, die Gottes Volk verfolgen, also zuerst einige Juden und dann sogar die jüdische religiöse Führung in Jerusalem. Daraus ergibt sich die Frage, wie Gottes jüdisches Volk zugleich Gottes Widersacher sein kann. Kelhofer expliziert an Act 6,1–7,50; 9,1–30; 23,12-35, wie Lk die Legitimität und jüdische Identität dieser Widersacher in Frage stellt. Anna Maria Schwemer befasst sich mit der Darstellung Agrippas I. und seines Todes bei Josephus und in Act. Der Beitrag zeigt, wie Josephus und Lukas den Tod des Agrippa zwar sehr ähnlich erzählen, aber doch charakteristische Unterschiede machen. So stirbt Agrippa I. nur in Act von Würmern zerfressen, d. h. eindeutig als Gottesfeind, während sein Bild bei Josephus trotz einiger Vorbehalte positiv bleibt. Der Grund für die schärfere Kritik des Lukas sei das Vorgehen von Agrippa I. gegen die ersten Christen. Michael Theobald hebt hervor, dass eine personifizierte Sicht des Widersachers in Joh vor allem die Passionserzählung prägt, damit aber das »christologische Herzstück« (176) des Evangeliums. Theobald kann zeigen, wie der Teufel als Herrscher des Kosmos während der Passion die Fäden zieht und sowohl Judas als auch die jüdischen Autoritäten für sich einsetzt. Es ist klar, dass diese Deutung des Todes Jesu die heutige Theologie herausfordern muss. Madeleine Wieger geht in ihrem Beitrag der Verwendung von διάβολος in der griechischen Literatur nach, bevor das Wort als Übersetzung vor allem von ןטשׂ in der Septuaginta zu einer Teufelsbezeichnung wurde. Im profanen griechischen Gebrauch steht διάβολος für einen intriganten Lügner und gehört eher zur Volkssprache als zur hohen Literatur. Die Verwendung dieses Wortes als Teufelsbezeichnung war erklärungsbedürftig, und Wieger zeichnet nach, wie die altkirchlichen Theologen diesen Sprachgebrauch begründet haben. Gabriella Beer kann einen anderen Blick auf Gegenspielergestalten werfen, weil sie sich nicht mit biblischen Traditionen befasst, sondern mit dem republikanischen Rom. Hier sind die Gegenspieler Götter, und sie stellen sich nicht gegen den einen Gott, sondern gegen Rom. Beer zeigt, wie Livius und Plutarch Juno Regina, die Stadtgöttin von Veii, als Gegnerin Roms darstellen und wie die Römer nach diesen beiden Autoren die Zustimmung der Göttin gewinnen konnten, ihren Sitz nach Rom zu verlegen. Matthias Morgenstern beschäftigt sich mit den Hintergründen der kabbalistischen Vorstellung, Dämonen könnten die schwache 10. Se-fira affizieren, obwohl sie eine Emanation Gottes sei. Morgenstern findet die Wurzeln dieser Vorstellungen in verschiedenen Tendenzen talmudischer Literatur. Diese Tendenzen kann Morgenstern vorführen, indem er den größeren Kontext talmudischer Belege etwa des Todesengels berücksichtigt. Gabriella Aragione fragt, auf welche Traditionen Tatian bei seiner Darstellung des Engelsturzes in der Oratio ad Graecos zurückgegriffen hat. Sie sieht hier in ers-ter Linie biblische und deuterokanonische Texte samt deren altkirchlicher Exegese, nicht die Wächterengelepisode aus 1Henoch. Außerdem stellt sie fest, dass ein Engelsturz während der Schöpfung vor Tatian nicht belegt sei. Volker Drecoll beschäftigt sich mit der Interaktion gnostischer und manichäischer Vorstellungen. Dabei kann er am Beispiel des Namen Saklas zeigen, dass eine Konzeption nicht zwingend von der Gnosis in den Manichäismus übernommen wurde, sondern dass auch der umgekehrte Weg möglich ist. Mikael Larson interpretiert Lars von Triers Film »Antichrist« analog zu einem Computerspiel. Entscheidend für diesen Ansatz ist, dass der Zuschauer die dargebotenen Handlungsmöglichkeiten, An­spielungen und Zitate immer neu zusammensetzt. So kann Larson zeigen, welche Fülle von Interpretationsmöglichkeiten »An­ti-christ« freisetzt. Sowohl die männliche als auch die weibliche Hauptfigur hätten Züge des Antichristen, seien aber nicht mit ihm identisch. Die feministische Kritik dieses Films greife deshalb zu kurz.
Insgesamt bietet der Band einen breiten Überblick auf einem beeindruckend hohen Niveau, was die Arbeit an den Quellen und ihre Kenntnis betrifft. Er ist ein Meilenstein für die Forschung an einem Thema, das zu lange im Hintergrund stand. Zwar geht es nicht in allen Beiträgen um eine einzelne herausgehobene Gegenfigur, und nicht immer ist deutlich, inwiefern es sich um grundsätzliche Gegner Gottes handelt. Aber so wird klar, dass das Phänomen der/des »Widersacher[s] Gottes« kaum auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen ist, auch nicht, wenn man sich weitgehend auf die Rezeption biblischer Traditionen beschränkt.