Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

September/2018

Spalte:

883–885

Kategorie:

Bibelwissenschaft

Autor/Hrsg.:

Koet, Bart J., and Archibald L. H. M. van Wieringen[Eds.]

Titel/Untertitel:

Mul-tiple Teachers in Biblical Texts.

Verlag:

Leuven: Peeters Publishers 2017. XII, 250 S. = Contributions to Biblical Exegesis and Theolology, 88. Kart. EUR 70,00. ISBN 978-90-429-3542-6.

Rezensent:

Beat Weber

Die Beiträge dieses Sammelbandes stammen mehrheitlich von Lehrenden und Forschenden an niederländischen Universitäten, insbesondere aus Tilburg (Tilburg School of Catholic Theology). Anstelle eines Vorworts führen die beiden Herausgeber in die Thematik des Bandes ein. Er enthält mit dieser Einleitung insgesamt dreizehn, durch ein Stellenregister erschlossene Beiträge. Je fünf befassen sich mit alt- bzw. neutestamentlichen Texten, dazu kommen je ein Beitrag aus dem Frühjudentum und der heutigen Religionspädagogik.
Im Einzelnen sind dies: Bart J. Koet/Archibald L. H. M. van Wieringen, In Search of Teachers and Disciples, 1–7; Piet J. van Midden/Archibald L. H. M. van Wieringen, Moses as a Teacher in the Narration about the Gold Bullock: A Communication-Oriented Exegesis of Exodus 32, 9–28; Christiaan Erwich/Eep Talstra, The Text as our Teacher: Participant tracking in Psalm 64, 29–47; Harm W. M. van Grol, Coping with Hellenistic Neighbours: Psalms 137–145: An initiation into royal warriorship, 49–71; Sehoon Jang, God as the Wise Teacher in Job, 83–88; Archibald L. H. M. van Wieringen, The Triple-Layered Communication in the Book of Amos and its Message of Non-appropriation Theology, 89–106; Solomon Pasala, Multiple Teachers and Disciples in Mt 8–9, 107–124; Laurí Thurén, Multiple Communication Layers and the Enigma of the Last Judgment (Matt 25,31–46), 125–146; Bart J. Koet, A Tale of Two Teachers: Jesus about Jesus and John the Baptist (Luke 7,18–35), 147–168; Jan van der Watt, Education and Teaching in John’s Gospel, 169–184; Peter J. Tomson, Paul as a Recipient and Teacher of Tradition, 185–205; Eric Ottenheijm, Hillel as a Teacher: Sayings and Narratives, 207–224; Toke Elshof, Religious Teachers and Students on Biblical Teaching and Discipleship: An Account of a Recent Exploration, 225–237.
Bei den Beiträgen handelt es sich überwiegend um textbasierte, literarische Studien mit einem Schwerpunkt auf die im Text angelegten, oft vielschichtigen kommunikativen Relationen und Vorgänge. Das letztgenannte Moment mit seinem Fokus auf die Adressierung (Wirkung, Rezeption) und den mit den Bibeltexten oft verbundenen di­daktischen Wirkabsichten bildet gleichsam die »Schnittstelle« zur inhaltlichen Thematik von Lehrer-Schüler-Aussagen.
Die alttestamentlichen Beiträge bieten drei Untersuchungen zum dritten (Ps 64; 137–145; Hiob) und je eine zum ersten (Ex 32) und zweiten Kanonteil (Amos) der Hebräischen Bibel. Van Midden und van Wieringen arbeiten anhand einer sorgfältigen Analyse von Ex 32 die im Erzähltext angelegten Kommunikationsebenen heraus. Es stellt sich heraus, dass Mose unterschiedliche Lehrer-Funktionen einnimmt: gegenüber Personen in der Erzählung (einschließlich JHWH) sowie dem textimmanenten Leser. Erwich und Talstra untersuchen unter Auswertung der syntaktischen Textspur die in Ps 64 greifbaren Dialoge und das kommunikative Setting. Aufgrund des mehrfachen Wechsels der Kommunikationsebenen und Redeweisen ergibt sich ein Nebeneinander kontrastierender Erfahrungen. Der Psalm verbindet sie und vermittelt, dass solche zum realen Leben gehören. Van Grol sieht hinter der editierten Gruppe Ps 137–145 Vorläufer der Chasidim, die mit diesen Psalmen der Gefahr hellenistischer Assimilation begegnen. Jang (aus Südkorea) zeigt in seinem luziden Beitrag auf, wie Gott im Hiob-Buch als weiser Lehrer dargestellt wird. Insbesondere die Gottesreden dienen dazu, Gott vorzustellen; ihr Fokus ist »not on condemnation, but rather on discipline« (75). Dabei ist die Schöpfung (mit Behemoth und Leviathan) sein Lehrstoff. Hiob wird als rechter Schüler und Vorbild für den textimmanenten Leser dargestellt. Van Wieringen differenziert unter Heranziehung von Amos 1,1–2,16; 7,10–17; 9,1–4.11–15 im Buch Amos drei Kommunikationsebenen mit Adressierungen an die Königreiche Israel und Juda sowie an die textimmanenten Leser. Die Hauptbotschaft sei eine Nicht-Aneignungs-Theologie (Non-appropriation Theology), die impliziert, dass es dem Menschen nicht zusteht, Verheißungen und Segen zu seinen eigenen Gunsten zu beanspruchen.
In den neutestamentlichen Beiträgen sind vornehmlich die Evangelien im Blickfeld (zweimal Mt, je einmal Lk und Joh), daneben einmal die paulinischen Briefe. Pasala (aus Indien) entwickelt mit Hilfe kommunikationsanalytischer und narratologischer Beobachtungen die Lesespur und die Dramaturgie von Mt 8–9. Dabei gibt der autoritative Lehrer Anweisungen (Imperative), und der rechte Schüler empfängt diese durch Gehorsam (Indikative). Der Zolleinnehmer Matthäus ist der Modell-Leser; der Jünger folgt nicht nur Jesus selbst nach, sondern in ihm spiegelt sich der im Text angezielte rechte Nachfolger. Thurén (aus Finnland) zeigt, wie in Jesu Gerichtsrede, in der sich die Gattungen Parabel und Prophetie eigentümlich mischen, eine Vielzahl von Einzelnen und Gruppen interagieren. Nach ihm spielt diese Passage eine Schlüsselrolle in der literarischen Strategie dieses Buches insofern, als sie für die bevorstehende Passionsgeschichte und d. h. Jesu Blutvergie ßen zur Vergebung der Sünden zurüstet. Anhand von Lk 7,18–35 und unter Aufweis der Vielschichtigkeit der Kommunikations-muster (mit hilfreicher tabellarischer Zusammenstellung des Textduktus) entfaltet Koet die stufenweise Offenbarung von Jesu Wesen und Handeln. »Jesus invites his audience to engage either with John’s teaching or with his own […] Jesus presents them as being complementary« (162). Van der Watt analysiert die im Johannesevangelium implementierten erzieherischen Prozesse, insbeson-dere anhand der verwendeten Terminologie. Dabei werden zwei unterschiedliche Erziehungssysteme greifbar: das unter Rabbinen geläufige (Nikodemus, geheilter Blinder) und noch stärker dasjenige der familiären Erziehung (Vater-Sohn-Aussagen, Fortführung durch Geist-Paraklet und Zeugenschaft der Nachfolger). Ausgehend von Gal 1,12 und der Entgegensetzung von Offenbarung und Tradition in der neueren (protestantischen) Auslegungsgeschichte analysiert Tomson die halachischen und mystischen Jesus-Überlieferungen, auf die der Apostel Paulus Bezug nehme – unter Einschluss der Art und Weise, wie er dies tut. Kephas/Petrus sei die wahrscheinlichste Quelle für seine Kenntnis der Überlieferung.
In den letzten beiden Essays schreibt Ottenheijm, in welcher Weise Hillel (der Ältere) seine Schüler unterrichtet. Seine Worte lehnen sich oft an biblische Proverbia an und schöpfen aus urbanen Kultur- und Raumvorstellungen (nicht aus Lehrbetrieb und Synagoge). Das tägliche Leben (Straßen, Märkte, Stadttore, Tempel und sogar öffentliche Toiletten) wird zu Auslösern und Anhaltspunkten für seine Schülerbelehrungen. Zum Schluss schlägt Elshof die Brü-cke zur Gegenwart und widmet sich der Vermittlung von biblischen Inhalten in Katechetik und Religionspädagogik unter postmodernen Vorzeichen. Dabei wertet sie Fallstudien von Studierenden der Religionspädagogik aus. Sie unterscheidet drei Funktionen, mit denen sich der Religionslehrer auseinanderzusetzen hat und die er verbinden sollte: Er ist Sachverständiger, Zeuge und Moderator.
Steht bei historisch-kritischen Studien das Woher im Vordergrund, so bei diesen kommunikationsorientierten, textpragmatischen Beiträgen das Wohin. Im Fokus sind also weniger Entstehungsumstände oder Redaktionsstufen, sondern die in den Texten eingelagerten Kommunikationsvorgänge. Exegetische Studien mit derartigen Fragestellungen und Blickpunkten sind theologisch ertragreich und zugleich anschlussfähig für Neuverwendungen biblischer Texte in Wissenschaft und (kirchlicher) Praxis. Die insgesamt auf gutem Niveau stehenden Beiträge bieten profunde Textarbeit, bringen beachtenswerte Aspekte zutage und zeigen die Möglichkeiten narrativer und vor allem kommunikationsanalytischer Zugänge auf. Viele Aufsätze sind anregend und – dem Thema gemäß – lehrreich. Sie lassen sich auch in biblischen Proseminaren und in Ergänzung zu Methodenbüchern verwenden, zumal diese Analytik im heutigen Lehrbetrieb noch nicht hinreichend Eingang gefunden hat. Insgesamt ein empfehlenswerter Band: für Studierende wie Fachleute der Bibelwissenschaften, dann auch der systematisch- und praktisch-theologischen Disziplinen und nicht zuletzt für solche, die in Kirche und Schule die Bibel und ihre Botschaft weitergeben.