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Ausgabe:

September/2018

Spalte:

873–874

Kategorie:

Altertumswissenschaft

Autor/Hrsg.:

Bachvarova, Mary R.

Titel/Untertitel:

From Hittite to Homer. The Anatolian Background of Ancient Greek Epic.

Verlag:

Cambridge: Cambridge University Press 2016. XXXVIII, 649 S. m. 27 Abb., 5 Ktn. u. 4 Tab. Geb. £ 105,00. ISBN 978-0-521-50979-4.

Rezensent:

Eckart Otto

Die Kulturkontakte zwischen Hellas und dem Vorderen Orient haben zunehmend Interesse bei Gräzisten, Althistorikern, Orientalisten und Bibelwissenschaftlern gefunden, nachdem M. L. West (The East Face of Helicon, 1997) zahlreiche Parallelen in Sprache und Motivik zwischen altorientalischen und westmediterran-hellenischen Texten der Epik und Poetik aufzeigen konnte. Er rechnete mit direkten Rezeptionen auf griechischer Seite und rückte dabei die neuassyrische Zeit in den Fokus, was von W. Burkert (Babylonien, Memphis, Persepolis, 2004), J. Haubold (Greece and Mesopotamia, 2013) und C. Metcalf (The Gods Rich in Praise. Early Greek and Mesopotamian Religious Poetry, Oxford 2015) weiter ausgebaut wurde. In der Frage der Kulturkontakte hat I. von Bredow (Kontaktzone Vorderer Orient und Ägypten, 2017; cf. ZAR 23, 2017, 313–315) den Fokus auf den Aufenthalt von griechischen Händlern und Söldnern im Orient zwischen dem 10. und dem 6. Jh. gerichtet. Schon wiederholt wurde die Rezeption von Motiven des Gilgamesch-Epos in hellenischem Kontext beobachtet, doch keine Einigung in der Frage erzielt, wie die Rezeptionen vonstatten gegangen sein sollen.
Mary R. Bachvarova, Professorin an der Willamette University in Oregon, die der Annahme eines direkten Kulturkontaktes zwischen Griechenland und Assyrien eher skeptisch gegenübersteht, rückt als Brücken zwischen ost- und westmediterranen Überlieferungen hurritische und hethitische Rezeptionen ostmediterraner Überlieferungen sowie Anatolien und Zypern als Vermittlungsorte in den Vordergrund, um die Frage zu beantworten, wie die Hellenen mit altorientalischer Motivik, so etwa in Gestalt des Gilgamesch-Epos, in Kontakt kamen und was die Hellenen veranlasste, sie zu rezipieren und in ihre Kultur, insbesondere die homerische Epik, zu integrieren. Dabei misst die Vfn. hethitischen Texten aus den Bibliotheken in Hattu ša eine zentrale Bedeutung für die Rekonstruktion der Vermittlungsprozesse zu, wobei gerade mit der hethitisch-hurritischen Bilingue des Freilassungsepos KBo 32 ein Text zur Verfügung steht, der nur hethitisch ohne mesopotamische Parallelen belegt einschlägig für die von der Vfn. entwickelte Perspektive der anatolischen Vermittlung in hellenischen Kontext ist, da die Vfn. den Einfluss dieses hethitisch-hurritischen Epos auf die homerische Epik aufzeigen kann. In dem als literarische Einheit zu interpretierenden Freilassungsepos geht es um die Zerstörung der syrischen Stadt Ebla, die damit begründet wird, dass eine Bürgerversammlung gegen den Willen des Königs und der Gottheit Teschub die Freilassung von Kriegsgefangenen verweigerte (cf. E. Otto, Studien zu den Bo ğazköy-Texten 45, 2001, 524–531). Das Freilassungsepos weist, wie die Vfn. aufzeigen kann, schon im Plot der Fabel Parallelen mit der homerischen Ilias auf, wenn Troja aufgrund der Weigerung, Helena freizulassen, zerstört wird. Das Freilassungsepos kam mit dem Transfer des Gottes Teschub von Aleppo durch Hattušili I. nach Hattuša, wobei die Faszination durch eine ferne Vergangenheit, die schon die hethitische Rezeption prägt, sich auch noch in der hellenischen Aufnahme zeigt. Das gilt auch für die hellenische Rezeption der hethitisch rezipierten Erzählungen der Taten der akkadischen Könige Sargon und Na­ram-Sin, die sich in der Ilias wiederfinden, wenn Hektor mit Zügen des Königs Sargon ausgestattet wird. Derartige Erzählungen mesopotamischen Ursprungs wurden von reisenden Intellektuellen, Heilkundigen und Kosmogonisten an adlige Eliten weitergegeben und von ihnen als wertvoller Besitz esoterischen Wissens aus fernen Landen bewahrt. Auch werden im Kontext von Totenkulten und Festen derartige Texte und Ideen über weite Entfernungen tradiert und rezipiert, wovon die Odyssee einen Eindruck vermittelt. Neben Anatolien arbeitet die Vfn. insbesondere Zypern als Vermittlungsort heraus. Hier wurden noch nach dem Ende des hethitischen Reiches im frühen 12. Jh. aufgrund der Verbindung mit den späthethitischen Staaten in Syrien und Cilicien Traditionen aus Hattu ša bewahrt. Hellenen sollen so noch nach dem Untergang der mykenischen Palastkultur um 1200 v. Chr. Zugang zu hethitischen und vermittelt über sie zu ostmediterranen Traditionen gehabt haben. Dass Analogieschlüsse aus späthethitischen Kontexten in Syrien notwendig sind, um fehlende Schriftzeugnisse der dunklen Jahrhunderte in Anatolien und Griechenland zu ersetzen, bleibt nicht aus und liegt in der Natur der Sache.
In Bezug auf die Ilias geht es der Vfn. nicht um die Fragen historischen Geschehens einer griechischen Zerstörung etwa von Troja VI als historischer Kern der Ilias, so dass die u. a. zwischen M. Korfmann und D. Hertel kontrovers geführte Diskussion außen vor bleiben kann (cf. dazu W. Kullmann, Homer und Kleinasien, FS Maronitis, 1999, 189–201). Vielmehr geht es der Vfn. um Antworten auf die Frage, wie Erinnerungen an ein spätbronzezeitliches Troja eisenzeitlich bewahrt und griechisch rezipiert werden konnten. Die Ausgrabungen in Troja zeigen, dass kultische Feiern der Ahnenverehrung vorzeitlicher Helden mit den Ruinen Trojas im Hintergrund bis in das 1. Jt. gefeiert wurden. In die anatolische Epik Trojas, die in die homerische Ilias Eingang gefunden habe, seien die Auseinandersetzungen zwischen anatolischen Bewohnern Trojas und phrygischen Einwanderern eingegangen. Hellenen, die nach Troja kamen und die Ruinen sahen, konnten sich mit ihrem kulturellen Gedächtnis der Zerstörung der mykenischen Palastkultur in der lokalen Epik Trojas wiederfinden. Die Vfn. rechnet dabei mit einem Wettkampf anatolisch-griechischer Barden, der von ionischen Sängern als Ausgangspunkt der homerischen Ilias bis in das 8. Jh. v. Chr. gewonnen wurde. Der ostmediterrane Einfluss auf die homerische Ilias ist also nach Meinung der Vfn. erheblich älter als die sogenannte »orientalisierende Phase« in der griechischen Kunst- und Literaturgeschichte zwischen 750 und 650 v. Chr.; cf. dazu R. Rollinger, The Ancient Greeks and the Impact of the Ancient Near East, in: R. M. Whiting (Hrsg.), Mythology and Mythologies, 2001, 233–254. In einer der Olympianisierung der Ilias vorausgehenden anatolischen Fassung des Epos der Ilias sei noch ein westanatolischer Apollon dem Teschub verwandt die das Geschehen vorantreibende Gottheit gewesen, ehe Zeus das Ruder übernommen habe.
Die Vfn. hat eine den bisherigen Forschungsstand weit hinter sich lassende Perspektive entfaltet, um den ostmediterranen Einfluss auf die Kultur der Hellenen in archaischer Zeit verstehen zu können, wenn sie die hethitischen Traditionen einerseits, ihre Vermittlung über Zypern andererseits zur Geltung bringt. Sie eröffnet damit der Hethitologie und Gräzistik wichtige Arbeitsfelder, die es in Zukunft zu bestellen gilt, vor allem aber auch einer universalen Kultur- und Religionsgeschichte. Die Vermittlungen der orientalischen Wurzeln der Kulturgeschichte Europas in den hellenischen Raum werden noch deutlicher als bisher erkennbar vor Augen geführt. Das lässt sich sehr gut am Beispiel des hethitischen Epos der Freilassung des 2. Jt.s exemplifizieren, dessen zugrunde liegende Tradition des syrischen Raumes (cf. E. Otto, Revue d’assyriologie 92, 1998, 125–160) im 1. Jt. v. Chr. nicht nur bis in den griechischen Raum im Westen, sondern noch bis in die Hebräische Bibel im ­ gewirkt hat.