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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

850–852

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Yang, Fenggang, Tong, Joy K. C., and Allen H. Anderson [Eds.]

Titel/Untertitel:

Global Chinese Pentecostal and Charismatic Chris-tianity.

Verlag:

Leiden u. a.: Brill 2017. XIV, 373 S. = Global Pentecostal and Charismatic Studies, 22. Kart. EUR 68,00. ISBN 978-90-04-33689-6.

Rezensent:

Andreas Heuser

Chinesisches Christentum, mithin die Kirchen und christlichen Bewegungen in der Volksrepublik China und in Taiwan, aber auch Ausprägungen des Christentums in der chinesischen Diaspora, wird religionsstatistischen Prognosen zufolge um die Mitte dieses Jahrhunderts in der obersten Liga des weltweiten Christentums mitspielen. Immer deutlicher kommt dabei die Stadt-Land-Dif-ferenz analytisch in den Blick.
Herkömmliche kirchengeschichtliche Narrative gliedern die Entwicklung des Christentums in der Volksrepublik China in dessen Zugehörigkeit entweder zu der von staatlicher Seite unterstützten und legalisierten sogenannten Patriotischen Drei-Selbst-Bewegung oder zu den Haus- und Untergrundkirchen, die sich religionspolitischer Aufsicht entziehen. Religionsdemographisch und nur mit Blick auf die Kirchen in protestantischer Tradition geht man davon aus, dass die in tausenden von Hauskirchen lose organisierten Christen in China derzeit etwa 30 bis 40 Millionen Gläubige repräsentieren, während die offiziell registrierten »pa­trio­tischen« Kirchen an die 38 Millionen Christen umfassen. Das entspricht einer verhundertfachten Zahl an Protestanten im Vergleich zur Gründungsära der Volksrepublik 1949, in der die protestan-tische Bevölkerung um die 700.000 Menschen zählte. Der gegenwärtig weithin verzeichnete Aufstieg des chinesischen Christentums ist eng verzahnt mit einer enormen Urbanisierungsdynamik, der zufolge die städtische Bevölkerung statistisch mehr als die Hälfte der Gesamtbevölkerung ausmacht. Diese Urbanisierungswelle in der Volksrepublik China hat längst das Christentum er­reicht. In unverkennbarer Parallelität zu der Öffnungspolitik seit den 1990er Jahren wächst das urbane Christentum in China in Aufsehen erregender Weise. Der urbane Kontext spricht insbeson-dere auch pentekostal-charismatische Varianten des chinesischen Christentums an. Die Betonung von Wiedergeburt im Heiligen Geist adressiert sozial aufstiegsorientierte Bildungseliten ebenso wie finanziell ressourcenstarke Bevölkerungsgruppen, die an der ökonomischen Dynamik teilhaben, oder auch soziale Milieus, die mit traditionellen Lebensformen brechen und transnationale Perspektiven eröffnen.
Zu den Charakteristika des chinesischen Christentums gehört aber auch das unvermindert anhaltende ländliche Wachstum, das bereits länger anhält als der urbane Wachstumstrend und seit den 1970er Jahren ansetzt. Im Gegensatz zu der jüngeren, großstäd-tischen Ausprägung repräsentiert das rurale chinesische Christentum weithin marginalisierte Bevölkerungsgruppen ohne Zugang zu politischen, kulturellen und ökonomischen Eliten. Die beiden Großvarianten des chinesischen Christentums der Gegenwart, die sich (vielleicht mehr als durch ihre gesellschaftspolitische) durch ihre sozialgeographische Verortung auszeichnen, kommen im hier besprochenen Band zum Tragen.
Der vorgelegte Sammelband darf zu Recht beanspruchen, die erste umfassende Betrachtung der chinesischen Pfingstbewegung in ihrer historischen Genese, gesellschaftlichen Gegenwartsbedeutung und ihrer globalen Vernetzung anzubieten. Ohne die ländliche Dimension der Pfingstbewegung komplett zu vernachlässigen, rekurriert der vorliegende Sammelband jedoch vorwiegend auf die Attraktivität des urbanen Christentums in China und in der chi-nesischen Diaspora. Die insgesamt 18 Beiträge gehen zurück auf eine Konferenz, die 2013 an der Purdue Universität (Indiana/USA) unter dem Thema »Global Re-Orient: Chinese Pentecostal/Charismatic Movements in the Global East« stattfand.
Das Buch ist in vier Teile untergliedert: Ein historischer Überblick erfasst Entwicklungen der Pfingstbewegung in China, einschließlich Hongkongs. Besonderes Augenmerk wird gelegt auf die Herausbildung eines »Confucian-style Pentecostalism«, der auf die Formung von persönlichen Tugenden in Relation zu staatspolitischer Ethik bedacht ist und der sich nochmals intensivierte in der politischen Reformära seit den 1990er Jahren. Der zweite Teil widmet sich ganz der »True Jesus Church«, der wohl bekanntesten chinesischen Pfingstkirche. Die 1917 gegründete Kirche geht auf das Wirken amerikanischer Pfingstmissionare der Assemblies of God zurück. Die Einzelbeiträge relativieren zum einen die (aus anti-westlichem Impuls genährte) romantisierende Tendenz in Selbstdarstellungen, die Geschichte der chinesischen Pfingstbewegung komme ohne Verweise auf ihre internationalen Verflechtungen aus. Zum anderen bekräftigen sie, dass das Wachstum der Pfingstbewegung in China vor und nach 1949 hauptsächlich auf das Wirken einheimischer Evangelisten und Prediger zurückgeht. In der dritten Sektion werden Zuordnungsfragen verschiedener einheimischer und autonomer Kirchen thematisiert, also deren Identifiz ierung mit und Abgrenzung von der Pfingstbewegung. Hier kommt auch die katholische charismatische Bewegung zur Sprache ebenso wie die rezente Aufbruchsdynamik im chinesischen Christentum, die pentekostal-charismatischen Zuschnitts ist, ohne sich mit der globalen Pfingstbewegung zu identifizieren. Es ist dies die Geschichte eines nachkonfessionellen, pentekostalisierten Christentums.
Der abschließende Teil geht verstärkt auf die transnationale Vernetzung der chinesischen Pfingstbewegung ein. Hervor sticht mit der in Singapur beheimateten »City Harvest Church« eine der größten Megakirchen in Asien. Weitere Studien gehen auf die besondere Attraktivität der Pfingstbewegung unter der chinesischen Diaspora in Malaysia und den USA ein. Gerade die sino-amerikanische Pfingstbewegung speist gender-bezogene Diskurse in die globale chinesische Pfingstbewegung ein. Ein Diaspora-Kapitel zur hohen Relevanz der chinesischen Pfingstbewegung in Indonesien freilich fehlt.
Insgesamt handelt es sich um eine facettenreiche Pionierstudie zur chinesischen Pfingstbewegung in Ostasien, die sich in deut-lich unterschiedlichen gesellschaftlichen Kontexten verankert. Die Pfingstbewegung tritt als entscheidender religiöser Akteur vor allem im urbanen China in Szene, eben in jenem Feld, in dem sich die vielleicht dramatischste Wachstumsgeschichte des Christentums derzeit ereignet. Besonders wertvoll sind die Innenansichten auf das kirchliche Leben in der Volksrepublik China. Diese gehören noch immer zu den am wenigsten beleuchteten Forschungsgebieten in World Christianity. Der Sammelband gewährt Einsicht in eine heterogene Bewegung mit einem ausgefächerten Repertoire an doktrinären, rituellen und organisatorischen Grundlagen. Die Beiträge sprechen Transformationsprozesse in der chinesischen Gesellschaft durchaus an. Blickfenster in die zugegeben risikoreiche gesellschaftspolitische Positionierung einzelner Pfingstkirchen in der Volksrepublik sind kaum auszumachen. Der Mangel an kritischem Blick fällt jedoch umso mehr ins Gewicht, als gerade einige Megakirchen in der hier so bezeichneten chinesischen Diaspora enorme mediale Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Erst jüngst etwa hat der Leiter der »City Harvest Church«, Kong Hee, eine mehrjährige Haftstrafe wegen massiver Veruntreuung kirchlicher Gelder in Singapur angetreten. In dem Gerichtsverfahren, das sich über mehrere Jahre erstreckte, kamen systematische Finanzmanipulationen, ungeklärte Geldtransfers und Korruptionsvorwürfe ans Licht. Gedeckt wurde der Skandal durch eine als missionarisches Großprojekt ausgegebene Strategie. Kongs Ehefrau, die Sängerin Ho Yeow Sun, sollte unter dem Mantel eines musikalischen »Crossover«-Projekts zur internationalen Popdiva aufgebaut werden.