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Ausgabe:

Juli/August/2018

Spalte:

848–850

Kategorie:

Ökumenik, Konfessionskunde

Autor/Hrsg.:

Wolf, Hubert

Titel/Untertitel:

Konklave. Die Geheimnisse der Papstwahl. 2. Aufl.

Verlag:

München: C. H. Beck Verlag 2017. 220 S. m. 47 Abb. Geb. EUR 19,95. ISBN 978-3-406-70717-9.

Rezensent:

Heribert Müller

Zweck und Ziel des Buches definiert der Autor in seinem Nachwort: Es »versucht, in der gebotenen Kürze die sieben wichtigsten Fragen, die im Zusammenhang mit Konklave und Papstwahl immer wieder gestellt werden, auf der Basis des historischen Forschungsstandes möglichst allgemein verständlich zu beantworten« (196). Der Versuch ist gelungen, der Leser wird zuverlässig von frühesten Zeiten (in Wolfscher Diktion: von der Erfindung der apostolischen Sukzession) über das von der Stadt Viterbo 1270/71 gegen zerstrittene Kardinäle ersonnene erste Konklave bis hin zu den letzten Wahlen Benedikts XVI. und Franziskus’ 2005 und 2013 in entsprechenden sieben Kapiteln informiert, die indes nicht chronologisch, sondern thematisch angelegt sind. Darin geht es um den Kreis der Wähler und den der wählbaren (d. h. seit Jahrhunderten de facto: kardinalizischen) Kandidaten, um Ort und Modi der Papstwahl, den Erhebungsakt, die (fast nie respektierte) Geheimhaltung des Konklave und schließlich – mit Blick auf Benedikt XVI. – um den Rücktritt des Papstes. Auf kaum mehr als 200 Seiten erörtert Vf. all diese Themen und bietet dazu ausgewählte, meist deutschsprachige Literaturhinweise.
Dass sich das Ganze gut und flüssig liest, der Darstellung hohe Anschaulichkeit eignet, ist bei Wolf nachgerade selbstverständlich und spätestens allgemein bekannt seit seinem opus magnum »Die Nonnen von Sant’Ambrogio«, das wissenschaftliche Qualität mit der eines Bestseller-Krimis vereint (1.-3. Aufl. 2013, 4. Aufl. 2017). Der Meister suggestiver Kurztitel versteht sich nach »Index« (2006), »Papst und Teufel« (2008) und »Krypta« (2015) in »Konklave« einmal mehr auf die mit eigenen Forschungen unterfütterte Kunst der in Frankreich angesehenen haute vulgarisation. Er hat ein Gespür für Themen, die ankommen, und weiß seine Arbeit zu präsentieren und zu vermarkten (wobei Arbeit wörtlich genommen sein will, denn er hat den Grund für seine wissenschaftliche Karriere mit akribisch-detektivischer Archivtätigkeit als unersättlicher »mangeur des manuscrits«, u. a. bei der Erforschung der römischen Buchzensur, gelegt). Hinzu kommt eine unverhohlene Freude an – insbesondere konservative Kollegen provozierenden – Pointierungen; sein Talent zu systemimmanenter Systemkritik zeigt sich auch in »Konklave«, wenn eben von der Erfindung der apostolischen Sukzession oder wiederholt vom schmutzigen Wahlgeschäft der Kardinäle die Rede ist, aber auch wenn er seine Sympathie für ein papstwählendes Konzilsgremium bzw. ein konziliar geprägtes Wahlkolleg erkennen lässt (45, vgl. 18 8f.). Kurz und gut, der Star seiner Zunft hat wieder ein empfehlenswertes Buch vorgelegt, auch und vor allem mit Blick auf einen breiteren Leserkreis. Allenfalls wenige kleine Fehler mag man vermerken, so etwa wenn die Entstehung der Konstantinischen Schenkung ins 7./8. und nicht ins 8.Jh. – und zwar nach 754! – oder vielleicht auch ins 9. Jh. gelegt und deren Entlarvung als Fälschung nur Nikolaus von Kues und nicht auch dessen Zeitgenossen Lorenzo Valla und Reginald Peacock zu­geschrieben wird (zu 123ff.).
Genug der Beckmesserei; indes bleibt noch auf einen bemerkenswerten und einen etwas fraglichen Punkt hinzuweisen. Zum Ersten auf den Untertitel »Die Geheimnisse der Papstwahl«: Na-türlich will Wolf aufklären, Missverständnisse beseitigen und mit (angeblich) undurchschaubar Abgründigem à la Dan Brown aufräumen, doch liegt ihm durchaus an einer – wohldosierten – Be­wahrung der die Papstwahl nach wie vor umgebenden mystisch-geheimnisvollen Aura – »wie Weihnachten« ist denn auch die Einleitung betitelt. Zur Einmaligkeit der Institution Papsttum, zu deren Traditionen gehört untrennbar das Faszinosum Konklave als »Inszenierung eines großen, einmaligen Geheimnisses«. Gerade für die rationale, entzauberte Welt der Moderne »müsste man das Konklave erfinden, wenn es dieses nicht schon gäbe« (beide Zitate: 82). (Obwohl die Konstitution Johannes Pauls II. Universi Dominici gregis von 1996 samt einem sie 2007 modifizierenden Motu proprio Benedikts XVI. mit ihren das Konklave sakralisierenden und spiritualisierenden Tendenzen eigentlich auf solcher Linie liegen, be­gegnet Wolf ihnen mit Skepsis, weil die den Wahlakt selbst betreffenden Neuerungen für ihn einen gleich mehrfachen Bruch mit über die Jahrhunderte eigentlich bewährten Traditionen bedeuten.)
Zum Zweiten, ein den Rezensenten als Konzilshistoriker interessierender Punkt: Das 7. Kapitel über den Papstrücktritt verrät deutliches Unbehagen am Verhalten eines auf seinem weißen Habit und der Anrede »Eure Heiligkeit« bestehenden Benedikt XVI., wozu der Hinweis von dessen langjährigem Privatsekretär auf die fortwährende Partizipation des Zurückgetretenen am Petrusdienst passt – Ähnliches liest man übrigens in der jüngsten, fast offiziösen Biographie Benedikts von Elio Guerriero. Eine Rückkehr in den Kardinalsstand wäre da, wie von Wolf vorgeschlagen, sicherlich die sauberste Lösung (wobei der Resignation für ihn grundsätzlich der Makel einer Entmystifizierung des Amts anhaftet). Dafür verweist er nun, wie auch schon andernorts (u. a. FAZ, 20.XI.2014), auf zwei weniger bekannte Beispiele aus dem 15. Jh., die für ihn weitere Exempla aus dem reichen Schatz jener unterdrückten Traditionen der Kirchengeschichte sind, die er etwa in seinem »Krypta«-Buch ausbreitet und die es für ihn zum Nutzen der heutigen Kirche(nreform) zu heben gilt. Weniger der Umstand, dass jener Gregor XII., der 1415 auf dem Konstanzer Konzil seinen Rücktritt erklären ließ und wieder Kardinal wurde, ein Papst ohne Obödienz war – allein auf die Malatestas von Rimini mochte er am Ende noch zählen – als seine zweifelhafte Legitimität lassen hinter ihn ein Fragezeichen setzen. Allen römischen Papstlisten zum Trotz gilt für Gregor XII., was für alle Päpste des Großen Abendländischen Schismas gilt: Auf ihrer Rechtmäßigkeit lastet ein non liquet. Im Fall des vom Basler Konzil 1439/40 als Felix V. erhobenen und nach dem Fehlschlag des Basiliense 1449 zurückgetretenen ehemaligen Savoyerherzogs Amadeus VIII. haben wir es mit einem gescheiterten Gegenpapst zu tun; allerdings konzedierte der römische Pontifex Nikolaus V. dem neuen Kardinalbischof von S. Sabina immerhin das päpstliche Habit und die meisten päpstlichen Insignien, so dass er damit als legatus perpetuus in seinem früheren Herzogtum und den benachbarten Territorien quasi als Vizepapst amten durfte (vgl. N. Valois, Le pape et le concile, 1418-1450, t.II, Paris 1909, 341 f., U. Gießmann, Der letzte Gegenpapst: Felix V. …, Köln u. a. 2014, 385f.). Mithin handelt es sich hier m. E. keineswegs um hieb- und stichfeste Vorbilder aus der römischen Papst- und Kirchengeschichte bzw. bei Felix gar um einen von Rom abgesegneten faktischen Vizepapst. Im Übrigen lohnt im Zusammenhang mit der – für das Buch generell wichtigen – Thematik des Gegenpapsttums der Blick in die Arbeiten von Harald Müller (Gegenpäpste. Ein unerwünschtes mittelalterliches Phänomen, Köln u. a. 2014; Der Verlust der Eindeutigkeit. Zur Krise päpstlicher Autorität im Kampf um die Cathedra Petri, Berlin 2017).
Und zu guter Letzt wäre da noch das in die Zukunft weisende Schlusskapitel über eine fiktive Papstwahlordnung des Jahres 2059 also zum Millennium jenes berühmten Dekrets Nikolaus’ II. –, erlassen von einem in der Nachfolge seines idealistisch-reformerischen Namenvorgängers stehenden Hadrian VII. Wehe, wenn sich der Historiker auf das dünne Eis der Zukunftsschau begibt, denn d. h.: wäre und hätte, Kaffeesatzleserei und Schlimmeres. Doch hier wird der Eisgang zum Eiskunstlauf, künftige Ansätze und Entwicklungen ruhen bei Wolf nämlich auf dem festen Fundament bester und bewahrenswertester Traditionen. Das entworfene Szenario sei hier bewusst nicht resümiert, vielmehr zur Lektüre des Buchs ermuntert, dessen Schluss zur eigenen Stellungnahme geradezu herausfordert. Für seine Person gesteht der Rezensent Sympathien mit den hier vertretenen Positionen, zumal wenn dem Konzilshistoriker dabei gar ein zweites Konstanzer Konzil in Aussicht gestellt wird.